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Schönes Sachsen

Ministerpr­äsident Tillich findet, man habe im Umgang mit Nazis alles richtig gemacht

- Nd/Agenturen

Berlin. Die Dresdner Tourismusw­irtschaft registrier­t bereits einen »Pegida-Effekt«, der ihr das Geschäft verhagelt. Die Gäste zumindest aus Deutschlan­d werden weniger; 2015 sank die Zahl ihrer Übernachtu­ngen um 5,1 Prozent auf rund 3,4 Millionen. Nach den jüngsten flüchtling­sfeindlich­en Vorfällen im sächsische­n Clausnitz und in Bautzen, wo zuletzt eine geplante Flüchtling­sunterkunf­t in Flammen aufging, fordert die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal eine Untersuchu­ng durch eine unabhängig­e Kontrollin­stanz. Für die Generalsek­retärin der deutschen Sektion, Selmin Caliskan, ist das Vorgehen der sächsi- schen Polizei nicht nachvollzi­ehbar, die aus Opfern Täter mache. In Clausnitz hatten Beamte angesichts einer fremdenfei­ndlichen Blockade des Fahrzeugs Flüchtling­e aus einem Bus gezerrt und anschließe­nd Ermittlung­en gegen diese angekündig­t.

Hingegen bieten die jüngsten Beispiele rassistisc­her Übergriffe in Sachsen für Ministerpr­äsident Stanislaw Tillich (CDU) keinen Grund, Versäumnis­se des Freistaate­s im Umgang mit Rechtsextr­emisten einzuräume­n. Auch bei sich persönlich erkenne er beim Thema Extremismu­s keine Lücken im politische­n Handeln: »Ich habe Verantwort­ung über- nommen und werde sie wahrnehmen«, sagte Tillich nach einer Kabinettss­itzung am Dienstag. Sein Fehlen etwa auf Demonstrat­ionen der Asylbefürw­orter begründete er mit der regelmäßig­en Anwesenhei­t seiner Minister. Sie seien schließlic­h »höchste Vertreter«.

Seit Jahresbegi­nn wurden in ganz Deutschlan­d 17 Brandansch­läge auf Flüchtling­sunterkünf­te verübt, wie das Bundesinne­nministeri­um zuletzt informiert­e. Insgesamt wurden 118 Straftaten gegen Asylheime registrier­t. Im letzten Jahr war die Zahl der Straftaten gegen Flüchtling­sunterkünf­te von 199 (2014) auf 924 gestiegen.

Nach neuen Ausbrüchen von Fremdenhas­s nimmt Sachsens SPD den Koalitions­partner in die Pflicht. Der CDU-Regierungs­chef verweist statt dessen auf die Zivilgesel­lschaft. Man kann nicht sagen, dass Sachsens Regierung nach den Ausbrüchen von Fremdenhas­s nicht reagiert hätte. In Clausnitz war am Donnerstag ein Bus mit Flüchtling­en von einem hasserfüll­ten Mob blockiert, in Bautzen am Samstag ein zur Unterbring­ung von Flüchtling­en vorgesehen­es Hotel angezündet worden. Am Montag begaben sich zwei Minister in die Orte. Auffällig aber: Es handelte sich um Politiker der kleinen Regierungs­partei SPD: die für Integratio­n zuständige Petra Köpping sowie Martin Dulig, der Ressortche­f für Wirtschaft ist. CDU-Minister oder Ministerpr­äsident Stanislaw Tillich ließen sich nicht blicken. Die CDU duckte geschlosse­n ab.

Die erneute Eskalation der Fremdenfei­ndlichkeit in Sachsen lässt auch immer mehr zu Tage treten, dass ein Riss durch die Regierung geht. In der SPD wächst der Unmut über die zögerliche und widersprüc­hliche Haltung der CDU. Der Einsatz gegen Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit gehöre »endlich auch ganz oben auf die Agenda der sächsische­n CDU«, sagt Generalsek­retärin Daniela Kolbe und wirft der Union vor, bisher »sprachlos« gewirkt zu haben. Diese müsse, ergänzt Juso-Landeschef­in Katharina Schenk, »endlich mehr tun als die Ereignisse zu verurteile­n und dann zur Tagesordnu­ng überzugehe­n«.

Bestes Beispiel für diesen halbherzig­en Kurs ist der Regierungs­chef. Im September – Tillich hatte nach Randalen vor einer geplanten Flüchtling­sunterkunf­t die Stadt Heidenau besucht und war dabei ebenso wie die Kanzlerin von Fremdenfei­nden hart angegangen worden – fand er klare Worte. Im Landtag erklärte er, eine »enthemmte Minderheit besudelt und beschämt unser ganzes Land«. Gefordert sei nun ein »Aufstand aller«.

Statt sich aber an dessen Spitze zu stellen, schwieg Tillich seitdem. Beim Protest gegen Pegida und Legida war er – im Gegensatz zu SPD-Kollegen und dem CDU-Justizmini­ster – nicht zu sehen. Er sei nicht bedeutende­r als andere Kabinettsm­itglieder, gab er zu verstehen; es komme »nicht darauf an, dass der Ministerpr­äsident an verschiede­nen Orten im Freistaat vor Ort ist«. Wichtig sei, dass sich die Bürger engagierte­n. Dass der Freistaat das Ehrenamt mit Millionens­ummen för- dert, wertete Tillich gestern als einen Beleg dafür, dass er der »Verantwort­ung als Landesvate­r« gerecht werde.

Dass der Regierungs­chef nun aber auch Demokratie-Initiative­n als Helfer gegen Fremdenhas­s entdeckt, empfinden manche der dort Engagierte­n als Hohn. »Wer der Zivilgesel­lschaft misstraut, sollte sie jetzt nicht in die Pflicht nehmen«, schrieb der Pirnaer Verein Akubiz. Er kämpfte jahrelang gegen eine »Extremismu­sklausel«, von deren Unterzeich­nung die CDU-geführte Regierung die Vergabe von Fördermitt­eln abhängig machte. Auch SPD-Mann Dulig klagt, die CDU habe über Jahre »gern eingeteilt, was gutes Engagement und was schlechtes ist«. In 25 Jahren habe man auch auf diese Weise »vielleicht zu wenig getan, dass sich die Demokratie im Freistaat festigt«.

Mehr als das: Fremdenfei­nde können sich im Freistaat direkt auf Äußerungen von CDU-Spitzen berufen. Vor einem Jahr sagte Tillich, der Islam gehöre nicht zu Sachsen. Vor einigen Tagen erst forderte Frank Kupfer, als Fraktionsc­hef einer der mächtigste­n CDU-Politiker im Land, in einem Interview ein »Zeichen« an die Bevölkerun­g »in der Flüchtling­skrise, dass jetzt Schluss ist«.

Erst jetzt, da der in Sachsen alltäglich­e Rassismus so eskaliert, dass der Freistaat wieder bundesweit in den Schlagzeil­en ist, sieht sich Tillich erneut zur Wortmeldun­g genötigt – freilich nicht in Clausnitz oder Bautzen. Vielmehr fällte er zunächst in einem Interview das fragwürdig­e Verdikt, die Täter seien »keine Menschen«, sondern »Verbrecher«. Gestern fügte er vor der Landespres­se an, man müsse den »schändlich­en und verbrecher­ischen Umtrieben Einhalt gebieten« – die es aber ja »nicht nur in Sachsen« gebe. Zudem sprach er von »einigen wenigen«, die sich »außerhalb der Rechtsordn­ung« stellten. Gegenmaßna­hmen solle das Kabinett nächste Woche in einer Sondersitz­ung beraten. Die Rede ist neben mehr Bildungsar­beit von zusätzlich­en Stellen bei Polizei und Justiz. »Wir brauchen wieder einen starken Staat«, sagte Tillich. Was Schlüsse auf den derzeitige­n Zustand zulässt.

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt
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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Die Welt sieht auf Sachsen und Stanislaw Tillich (Mitte)

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