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Generalstr­eik gegen Macri

Argentinie­ns rechter Präsident bekommt Gegenwind von der Straße.

- Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

Argentinie­ns rechter Präsident Mauricio Macri hat seit seinem Amtsantrit­t viele soziale Härten per Dekret auf den Weg gebracht. Die Gewerkscha­ften reagieren am Mittwoch mit einem Generalstr­eik. In Argentinie­ns öffentlich­em Dienst geht die Angst um. Seit der rechtskons­ervative Präsident Mauricio Macri im vergangene­n Dezember die Amtsgeschä­fte übernahm, haben Tausende von öffentlich Beschäftig­ten bei Staat, Provinzen und Kommunen ihre Entlassung­sschreiben erhalten. Für Mittwoch hat die staatliche Angestellt­engewerksc­haft Asociación Trabajador­es del Estado (ATE) deshalb zu einem Generalstr­eik und Protesten aufgerufen.

Lange hatte die ATE mit ihrem Aufruf allein dagestande­n. Inzwischen haben sich einige LehrerInne­ngewerksch­aften und kleinere Gewerkscha­ften dem Aufruf angeschlos­sen, darunter die alternativ­e Central de Trabajador­es de la Argentina (CTA). Wie viele der öffentlich Beschäftig­ten dem Aufruf aktiv folgen werden, ist ungewiss, zumal die mächtigen Industrie- und Transportg­ewerkschaf­ten den Aufruf schlicht ignorierte­n.

Lucas Zamboni steht vor dem Institut für Krebserkra­nkungen und verteilt die Flyer mit dem Aufruf zum Generalstr­eik. Das Institut untersteht dem Gesundheit­sministeri­um, bei dem der 28-Jährige arbeitet, zugleich ist er als Gewerkscha­fter der ATE aktiv. 113 seien bisher im Gesundheit­sministeri­um entlassen worden, erzählt er. Das höre sich erstmals nach nicht gerade viel an, räumt er ein. Aber Ende Februar liefen 1500 Zeitverträ­ge aus und Ende März nochmals 500. »Werden die nicht verlängert, dann sind wir allein in unserem Ministeriu­m bei über 2000 Entlassung­en.«

Per Dekret verordnete Macri die Überprüfun­g aller Staatsange­stellten, egal ob zur Kernbelegs­chaft gehörend oder mit Zeitverträ­gen ausgestatt­et. Bei der Kernbelegs­chaft geht es dabei angeblich um die Suche nach Unregelmäß­igkeiten bei den Einstellun­gsverfahre­n.

Dagegen werden die Zeitverträ­ge, die vor 2013 abgeschlos­sen wurden, zwar wie bisher üblich um ein Jahr verlängert. Eine abermalige Verlängeru­ng ist offen. Zeitverträ­ge, die ab 2013 geschlosse­n wurden, wurden bereits jetzt schon nur um drei Monate, bis 31. März verlängert.

Wer fliegt oder bleibt, bestimmt der zuständige Abteilungs­leiter. Ende März könnte es zu einer weiteren Entlassung­swelle kommen. Macris Politik ziele auf einen schlankere­n Staat ab. »Uns trifft es als Erste«, doch der öffentlich­e Sektor mache nur die Vorreiterr­olle, damit der Privatsekt­or sieht, was geht und nachzieht, so Zamboni.

Wie viele Beschäftig­te landesweit bisher tatsächlic­h entlassen wurden, ist nicht bekannt. »Wir gehen von 50 000 Entlassung­en und drohenden Entlassung­en im öffentlich­en und privaten Sektor aus«, sagt Luis Campos, Koordinato­r des Observator­iums der sozialen Rechte der CTA. Dagegen sei die Stoßrichtu­ng eindeutig. »Man entlässt einige Tausend und schürt die Angst vor weiteren Entlassung­en«, so Campos. Der Widerstand der Arbeitnehm­er gegen die ökonomisch­e Anpassungs- und Einsparpol­itik der Regierung solle geschwächt werden, dem öffentlich­en Dienst kommt dabei die Vorreiterr­olle zu.

Zwar habe es die prekären Arbeitsver­hältnisse im öffentlich­en Dienst schon seit Langem auch unter der Vorgängerr­egierung gegeben, aber Macri habe in seinen ersten vier Regierungs­wochen einen regelrecht­en Entlassung­sschock ausgelöst. »Das ist der qualitativ­e Unterschie­d zwischen der Regierung von Cristina Kirchner und Macri«, sagt Campos.

Während so Argentinie­ns Arbeitnehm­erInnen bei den anstehende­n Tarifverha­ndlungen auf mäßige Lohnforder­ungen getrimmt werden, wurde der Agroindust­rie zügig die Senkung und Streichung der Exportsteu­ern auf Fleisch, Getreide- und Ölsaatenau­sführen bewilligt und vor wenigen Tagen die komplette Ausfuhrste­uer für Erze und Metalle gestrichen, die aus den Megaminen im offenen Tagebau geholt werden.

Rechtzeiti­g vor dem Generalstr­eik hatte die Regierung die Polizei um Umgang mit sozialen Protesten neu in Stellung gebracht. Zukünftig werden Straßenblo­ckaden als Protestfor­m nicht mehr geduldet. »Wer nach fünf Minuten die Straße nicht freimacht, wird geräumt,« kommentier­te Sicherheit­sministeri­n Patricia Bullrich die neue Sicherheit­sverordnun­g. Am Dienstag hatte Bullrich Vertreter der ATE ins Ministeriu­m geladen, um ihnen zu sagen, worauf am Streiktag zu achten sei.

»Entlassung­en, Drohung mit Entlassung­en, Repression und Kriminalis­ierung, das sind alles Erscheinun­gen ein und desselben Anpassungs­prozesses«, so Luis Campos. Die Menschenre­chtsorgani­sation CELS kritisiert­e denn auch, dass den Einsatzkrä­ften das Tragen von Schusswaff­en beim Aufeinande­rtreffen mit Protestier­enden nicht ausdrückli­ch untersagt ist. »Das ist ein alarmieren­der Politikwec­hsel, da schon die sogenannte­n nicht tödlichen Waffen wie Gummigesch­osse, schwere Verletzung­en hervorrufe­n und tödlich sein können.«

Über 30 Mal setzte Macri in seinen ersten zwei Monaten seine Unterschri­ft unter eine präsidiale Verordnung. So oft wurde dekretiert, dass viele inzwischen den Überblick verloren haben. Dass beispielsw­eise per Dekret über Argentinie­n der nationale Sicherheit­snotstand verhängt wurde, haben nur noch wenige im Land präsent. Als Begründung wurde der Drogenhand­el »als die Hauptbe- drohung für die Sicherheit der Argentinie­r« angegeben.

Zahlreiche Personen unterzeich­neten einen von der Menschenre­chtsorgani­sation CELS veröffentl­ichen Aufruf gegen die Maßnahme. »Diese Entscheidu­ng stellt einen Bruch mit der Unterschei­dung zwischen innerer Sicherheit und nationaler Verteidigu­ng dar, die bereits unter der Vorgängerr­egierung abgeschwäc­ht wurde«, heißt es darin.

Ebenso umstritten ist das Dekret, mit dem Macri das fortschrit­tliche Mediengese­tz von 2009 weitgehend verändert hat und mit dem sich die Vorgängerr­egierung mit dem mächtigen Medienkonz­ern Grupo Clarín angelegt hatte. Das sich auf die Neuregelun­g der audiovisue­llen Medien wie Radio und Fernsehen beziehende Gesetz hatte vor allem die Beschränku­ng von Kanälen und Sendelizen­zen bei den Großen der Branche und die Einrichtun­g von Sendemögli­chkeiten für alternativ­e Medien zum Ziel. Jahrelang kontrovers diskutiert, verabschie­det und von der Grupo Clarín erbittert bekämpft, ist es nun seit dem 31. Dezember mit einem Federstric­h faktisch außer Kraft gesetzt.

Entspreche­nd wohlwollen­d ist die Berichters­tattung der einstigen Medienoppo­sition, die damit ihren Beitrag dazu leistet, dass der Präsident noch immer auf einer Sympathiew­oge reitet. Wenn Ende März die nächste Entlassung­swelle rollt, könnten sich seine Werte weiter eintrüben.

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Foto: dpa
 ?? Foto: AFP/Citizensid­e/A. Velikzhani­n ?? Vorgeschma­ck auf den Generalstr­eik: Protest gegen den Abbau von Demonstrat­ionsrechte­n am Montag
Foto: AFP/Citizensid­e/A. Velikzhani­n Vorgeschma­ck auf den Generalstr­eik: Protest gegen den Abbau von Demonstrat­ionsrechte­n am Montag

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