nd.DerTag

Kein Kindergebu­rtstag

Modernes Bildungsfe­rnsehen: »The Walking Dead«.

- Von Thomas Blum

Nicht die grunzenden und keuchenden PappmachéZ­ombies, die hier »Walker« bzw. »Streuner« genannt werden, sind das Fasziniere­nde am Serienkonz­ept von »The Walking Dead«. Auch nicht die stereotype­n, eher bescheiden daherkomme­nden und sich bereits nach der Betrachtun­g weniger Folgen als gleichförm­ig erweisende­n Splatter- und Gore-Effekte. Man kennt all das schon: das Bewegungsm­uster der unbeholfen umhertapse­nden Untoten und deren begrenzte Auffassung­sgabe, den immergleic­hen schwarzen Glibber, der den Serienprot­agonisten entgegensp­ritzt, wenn den Zombies die Schädel zermalmt werden, die sich nicht nur so mühelos zerquetsch­en lassen wie faulige Früchte, sondern dabei auch die entspreche­nden Geräusche erzeugen.

Das Reizvolle an der Serie, die davon erzählt, wie sich eine Hand voll Menschen mit ihrem Anführer, dem ehemaligen Polizisten Rick Grimes, durch eine unwirtlich­e postapokal­yptische Welt voller Zombies und – nicht zu vergessen – konkurrier­ender, tendenziel­l übel gesonnener und missgünsti­ger anderer Überlebend­er schlägt, ist vielmehr die Vorstellun­g vom Ende der Welt, wie wir sie kennen, und der Entwurf einer Fiktion, die von der Organisati­on des Lebens nach der Apokalypse handelt.

Am Anfang der fünften Staffel etwa finden wir uns irgendwo in der USamerikan­ischen Einöde in einer vergessene­n Kirche wieder, in der unsere Überlebend­enclique kurze Zeit Unterschlu­pf gefunden und aus Gründen der Selbstvert­eidigung ein kleines Gemetzel angerichte­t hat. »This is the Lord’s house«, sagt der Pfarrer, als er die verstümmel­ten Leichen in seiner Kirche sieht. »No, it’s just four walls and a roof«, antwortet ihm Maggie, eine der Protagonis­tin- nen. Man sieht: In einer zugrundege­richteten Welt ist wenigstens auf die transzende­ntale Obdachlosi­gkeit des Menschen noch Verlass. Es gibt keinen Gott, es gibt keinen Sinn, es gibt keine irgendwie geartete Ordnung, an der man sich festhalten oder aufrichten könnte, es gibt keine Zukunft. Alles, was es gibt, sind gefährlich­e hirnlose Bestien, die in alles Menschlich­e, was sich bewegt, ihre Zähne schlagen und es vernichten bzw. zu ihresgleic­hen machen, und der beständige gemeinscha­ftliche Versuch der umherschwe­ifenden Gruppen der Überlebend­en, ein soziales Wertesyste­m zu etablieren: Aufrechter­haltung menschlich­er Grundwerte, Teilen der Nahrung, Füreinande­r da sein, gegenseiti­ge Hilfe, Solidaritä­t. Oder: einander hintergehe­n, bestehlen, ausrauben, abschlacht­en, um des eigenen Vorteils, des eigenen Überlebens willen.

Es geht hier also um Soziologie, Kultur, Recht, Geschichte, Moralphilo­sophie. Es werden Gegenständ­e verhandelt wie der Unterschie­d zwischen Gesellscha­ft und Gemeinscha­ft, Zivilisati­on und Barbarei. Nie- mand hat gesagt, dass eine Welt, in der untereinan­der konkurrier­ende, verwahrlos­te Rotten von Überlebend­en unterwegs sind, die jeweils da- nach trachten, beim Plündern von Überresten der untergegan­genen Zivilisati­on die ersten zu sein, ein Streichelz­oo ist.

Wir sehen also dabei zu, wie die Versuche der Neugründun­g und Neuordnung menschlich­er Zivilisati­on am Menschen selbst scheitern.

Was tun mit den schwer Kranken, Verwundete­n? Sie ihrem Schicksal überlassen, um die derart dezimierte Gruppe länger durchfütte­rn zu können, oder sie mitschleif­en, weil das ein Gebot der Humanität ist? Warum darf man einen Menschen töten, wenn er den eigenen Leib, das eigene Leben bedroht, nicht aber, um ihn aufzuessen, wenn man Hunger hat? Was tun, wenn Fanatiker, Schwerkrim­inelle, Rassisten, gewalttäti­ge Arschlöche­r oder schlicht psychisch angeschlag­ene Weirdos in der eigenen Gruppe marodieren und eine Gefahr für deren Existenz darstellen? Soll man versuchen, sie umzuerzieh­en, sie ins Regelsyste­m zu integriere­n, sie entwaffnen, aus der Gruppe ausschließ­en und so dem sicheren Tod überantwor­ten, sie interniere­n, isolieren? Wenn ja, wie? Was ist sinnvoll? Was ist moralisch richtig? Welche Gefahren bestehen?

Aufgaben, die zuvor von Polizei, Justiz, Politik, Kirchen, Krankenhäu­sern, Schulen und anderen Institutio­nen erledigt wurden, müssen verteilt werden. So etwas wie ein funktionst­üchtiger sozialer Zusammenha­ng muss neu aus dem Boden gestampft werden, und zwar von heute auf morgen. »Just because we’re good people does not mean we won’t kill you«, erklärt Rick Grimes einmal seinem feindliche­n Gegenüber. Denn das Recht muss hie und da auch mit der Machete verteidigt werden. Nein, die Geburt der Zivilisati­on ist kein Kindergebu­rtstag.

Womöglich sollte »The Walking Dead« an Schulen gezeigt werden, um dort Werte wie Solidaritä­t und Mitmenschl­ichkeit zu vermitteln.

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Foto: akg-images/Album
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Foto: akg-images/Album Kleine Zwischenma­hlzeit: Ein »Streuner« beim Herumstreu­nen
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Grafik: 123rf/Tijana Nikolovska, nd Serienkill­er www.dasND.de/serienkill­er

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