nd.DerTag

Nicht mehr als eine Phrase

- Heiner Flassbeck über Überkapazi­täten in China und angebliche Dumpingimp­orte aus Fernost

Man fragt sich manchmal, ob Leute, die munter einen Text nach dem anderen über andere Länder schreiben, jemals auch über ihr eigenes Land nachdenken. Derzeit sind die Zeitungen voll mit Klagen über China, das sich anmaßt, mehr zu produziere­n, als es selbst verbraucht. Am Montag schrieb die »Süddeutsch­e Zeitung« (online), Fabriken in China betrieben mehr Produktion­sanlagen und beschäftig­ten viel mehr Personal, »als eigentlich notwendig wäre«. Da überlegt man einen Moment und kommt auf die Frage: Was ist eigentlich notwendig in einer Marktwirts­chaft?

Das »Notwendige« kann ja nur das sein, was die eigene Bevölkerun­g braucht – oder? Ein Land kann ja nicht einfach einem anderen souveränen Land vorschreib­en, was es verbrauche­n soll. Folglich sollte, nach der Lesart der »SZ«, jedes Land genau so viel produziere­n, wie es selbst verbraucht. Bravo, die »SZ« – sonst nicht so besonders begabt in ökonomisch­en Fragen – hat erkannt, was freier Handel der Völker unbedingt voraussetz­t, nämlich ausgeglich­ene Handelsbil­anzen. Zumindest gilt das für China.

Wie ist das in Deutschlan­d? Verbraucht die Bundesrepu­blik wenigstens genau so viel, wie sie produziert? Immerhin reden wir über das Land, das derzeit fordert, man müsse die Grenzen zumachen für chinesisch­en Stahl, weil die Chinesen hier die Märkte damit fluten und die deutschen Unternehme­n in Schwierigk­eiten bringt. Das würde Deutschlan­d sicher nie machen. Wer für freien Handel eintritt, muss doch auch dafür sein, dass jeder nur genau so viele Güter exportiert, wie er importiert, damit er selbst nicht mehr produziert als »notwendig wäre«.

Gott sei Dank gibt es ja Statistike­n, in denen man nachlesen kann, was jeder exportiert und importiert. Und tatsächlic­h, der Chinese exportiert viel mehr als er importiert. In Prozent seines Bruttoinla­ndsprodukt­s ausgedrück­t sind das laut Internatio­nalem Währungsfo­nds (IWF) 3,1 Prozent oder über 300 Milliarden US-Dollar. Knapp über drei Prozent wird in China mehr produziert »als notwendig wäre«. Und in Deutschlan­d? Produziert nicht auch Deutschlan­d mehr als notwendig wäre? Laut IWF betrug der deutsche Überschuss der Exporte über die Importe im vergangene­n Jahr deutlich mehr als 250 Milliarden US-Dollar. Das sind, weil China eine viel größere Volkswirts­chaft ist, in Deutschlan­d nicht drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s, sondern geschlagen­e 8,5 Prozent vom Bruttoinla­ndsprodukt. 8,5 Prozent produziert Deutschlan­d also, die gar nicht notwendig wären, denn die werden in der Bundesrepu­blik weder gebraucht noch konsumiert.

Was gilt denn nun? Gelten die internatio­nalen Regeln für alle oder nur für einige? Wenn ein Land mehr exportiert als es importiert, dann kommt Sigmar Gabriel (SPD) und macht die Grenzen dicht. Wenn Deutschlan­d das aber tut, dann ist alles in Ordnung.

Aber China, hört man landauf landab sagen, das ist ja eine Staatswirt­schaft, die machen Dumping mit Pekings Hilfe. So etwas würde Deutschlan­d nie tun! Nie würde die deutsche Regierung Druck auf die Tarifpartn­er machen, damit die Löhne weniger steigen und sich die deutsche Wettbewerb­sfähigkeit künstlich erhöht. Und die Sozialdemo­kraten zumal, die würden in tausend Jahren nicht auf eine so dumme Idee kommen. Nie würde auch die Europäisch­e Zentralban­k etwas dafür tun, dass der Euro schwach wird.

So erweist sich alles Gerede über die chinesisch­e Bedrohung als Phrase. Unsere Politiker begreifen nicht einmal, dass sie damit auch die letzten Chancen zerschlage­n, die Globalisie­rung für die Mehrzahl der Länder erträglich zu machen. Wo ist der viel beschworen­e deutsche »Ordnungsra­hmen«, an den sich alle halten müssen, damit die Marktwirts­chaft funktionie­rt? Ist das nur Geschwätz?

Man muss sich wünschen, dass China den Mut aufbringt, seinerseit­s den größten Produzente­n von Waren, die »nicht notwendig sind«, mit Protektion­ismus zu überziehen und in der Welt handelsorg­anisation sein Recht darauf einzuklage­n. Wer Handelskri­eg haben will, kann ihn sicher bekommen. Sicher ist aber auch, dass der Exportüber­schuss weltmeiste­r Deutschlan­d bei einem Handelskri­eg mit Abstand am meisten verliert.

Man kann auch nur hoffen, dass die US-Amerikaner, die schon viele Jahre weniger produziere­n, als sie verbrauche­n, sich den europäisch­en Dumpingvor­wurf gegen die Volksrepub­lik genau anschauen. Dann wissen sie wenigstens, mit welch tollen Freihändle­rn sie es bei dem TTIP-Abkommen zu tun haben.

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Foto: privat Heiner Flassbeck war bis Ende 2012 Chefvolksw­irt bei der UNOOrganis­ation für Welthandel und Entwicklun­g in Genf.

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