Hass auf das System
NSU-Untersuchungsausschuss in Baden Württemberg veröffentlicht Abschlussbericht – mit vielen offenen Fragen
Eine erschossene Polizistin – mutmaßlich aus Systemhass umgebracht – , sowie weitere mysteriöse Todesfälle. Die Aufarbeitung des NSU-Terrors in Baden Württemberg ist längst noch nicht beendet. Der NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg setzte einen Schlusspunkt. Vorläufig zumindest. 15 Monate hatte das Landtagsgremium getagt, vernahm dabei 136 Zeugen und holte 18 Gutachten ein; Ende vergangener Woche veröffentlichte der Ausschuss nun einstimmig einen Tausend Seiten umfassenden Abschlussbericht über den rechten Terror im Südwesten der Republik.
Vordringlich geht es in der Aufarbeitung um die Frage, warum die NSU-Terroristen ausgerechnet in Heilbronn 2007 zuschlugen und die Polizistin Michèle Kiesewetter mit einem Kopfschuss exekutierten sowie ihren Kollegen Martin Arnold lebensgefährlich verletzten. Die einzige Überlebende des NSU-Trios, Beate Zschäpe, behauptete vor dem Münchener Oberlandesgericht, es sei ihren Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos lediglich um die Pistolen der beiden Polizisten gegangen. Der Ausschuss hält »Hass auf das System« für ein wichtiges Motiv. Keine begründeten Zweifel gebe es an der Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos, sagte Wolfgang Drexler (SPD), Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, am Freitag in Stuttgart. Der Ausschuss könne zwar nicht grundsätzlich ausschließen, dass es noch weitere Täter gebe, handfeste Beweise habe er aber nicht gefunden.
Einen weiteren Komplex in der Aufarbeitung bildet der Tod des Neonazis Florian H. 2013 beim Cannstatter Wasen. H. war tot in einem brennenden Wagen gefunden worden. Spekulationen, er könne einem Femenmord zum Opfer gefallen sein, erhielten dadurch Nahrung, dass er sich zuvor damit gebrüstet hatte, den Mörder von Kiesewetter zu kennen. Das bezweifelt der Ausschuss jedoch, und Gründe, er könne ermordet wor- den seien, sieht das Gremium ebenfalls keine. Allerdings sei die Polizeiarbeit damals vor Ort mit »grob mangelhaft« zu bewerten, sagte Drexler. Vor einem Jahr verstarb dann plötzlich die Ex-Freundin von Florian H. mit 20 Jahren an einer Lungenembolie. Sie hatte zuvor im Ausschuss als Zeugin ausgesagt – weil sie sich bedroht fühlte, in nicht öffentlicher Sitzung. Am 8. Februar verstarb dann plötzlich auch ihr letzter Lebenspartner. »Alles deutet auf einen Selbstmord hin«, lauten die Untersuchungsergebnisse der Karlsruher Staatsanwaltschaft.
Von nicht geringem Interesse sind zudem die Netzwerke des European White Knights of the Ku Klux Klan (EWK KKK) in den baden-württembergischen Polizeistrukturen. Der Abschlussbericht spricht von zwei Polizisten, denen eine Mitgliedschaft in der rassistischen Organisation nachgewiesen werden konnte. Einer davon war der Gruppenführer der Bereitschaftspolizei in Böblingen, bei dem auch Kiesewetter und Arnold Dienst taten. Wie die »Stuttgarter Nachrichten« berichteten, drängten noch mindestens zehn bis 20 weitere Polizisten auf eine KKK-Mitgliedschaft.
Viele Spekulationen, viele Ungereimtheiten und wenig Erkenntnisse bleiben nach 15-monatiger Arbeit des Gremiums zu konstatieren. Angesichts der mageren Ergebnisse verwundert es sehr, dass der Ausschuss in steter Selbstbeweihräucherung seine mageren Ergebnisse lobt, die herausgearbeiteten Fakten hervorhebt und auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller vier Landtagsfraktionen verweist.
Zu einer ganz anderen Einschätzung kommen Vertreter einer kritischen Gegenöffentlichkeit. Lucius Teidelbaum von »NSU-Watch Baden Württemberg« kritisiert, dass der Ausschuss so gut wie keine Ergebnisse über die NSU-Strukturen in Baden Württemberg präsentierte. Vor allem auch der Geheimdienst habe immer nur so viel bekannt gegeben, wie nach eigener Einschätzung ohnehin öffentlich wurde. Michael Menzel von Radio Dreyeckland bemängelt die seltenen und oftmals oberflächlichen Nachfragen des Gremiums. Alles werde unter den Tisch gekehrt, der Verfassungsschutz viel zu sehr geschont und die Verbindungen des NSU nach Baden Württemberg nicht ansatzweise aufgeklärt.
Es handelt sich bei der Veröffentlichung jedoch nur um einen Zwischenbericht. Ein neuer Ausschuss wird in der nächsten Legislatur weiter nachhaken, um die vielen noch offenen Fragen so gut es geht zu beantworten. Allen Prognosen zufolge wird dann auch die AfD mit einem zweistelligen Ergebnis im Landtag sitzen. Doch ob die Ausschussmitglieder der rechtspopulistischen Partei ein Interesse an einer Aufklärung der Hintergründe des NSU-Terrors in BadenWürttemberg haben, das darf bezweifelt werden.
»Die Ermittlungsarbeit der Stuttgarter Polizei in diesem Fall war grob mangelhaft.« Wolfgang Drexler (SPD) über die Untersuchungen zum Tod von Florian H.