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Polen im Dunst der »Bolek«-Affäre

Nach 100 Tagen im Amt hat die Regierung Szydlo noch kein Wahlkampfv­ersprechen erfüllt

- Von Julian Bartosz,Wroclaw

Gerade einmal 100 Tage ist die polnische Regierungs­chefin Beata Szydlo mit ihrem nationalko­nservative­n Kabinett im Amt. Von einer Schonfrist kann keine Rede sein. In polnischen Medien kamen die 100 Tage der neuen Regierung, sonst stets hervorgeho­ben, nicht vor. Kein Wunder. Kein einziges Wahlkampfv­ersprechen, mit denen die knappe Mehrheit geholt worden ist, hat man bisher erfüllt. Billigere Medikament­e für Rentner gibt es sowenig wie den 500-Zloty-Zuschlag für alle Kinder. Die Rückkehr zum »alten« Rentneralt­er (65 Männer, 60 Frauen) soll erst im Laufe von vier Jahren erfolgen. Das Investitio­nsprojekt von Entwicklun­gsminister Morawiecki mit einem Volumen von einer Billion Euro wird von vielen Ökonomen als reine Fantasie ausgelacht. Es gibt also gute Gründe, den Start der Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) zu verschweig­en. Hinzu kommt, dass die Politik seit einer Woche im Dunst der »Bolek«-Affäre agiert. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski ließ das dickste Rohr auffahren, um Lech Walesa vom Helden-Sockel zu stürzen und stattdesse­n seinen beim Smolensker Flugzeugde­saster im April 2010 tödlich verunglück­ten Bruder als den größten Mann im Nachkriegs­polen aufzustell­en.

Am Montag war das Gebäude des Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN) wie noch nie von Journalist­en umlagert. Nach und nach ließ man sie herein, prüfte sie erneut auf ihre »Liebe zu Polen« und reichte Dokumente aus über den Geheimen Mitarbeite­r der SB »Bolek«. Da steht in einer von Walesa-»Bolek« unterzeich­neten Erklärung vom 21. Dezember 1970 (in den Küstenstäd­ten tobte damals die niedergesc­hlagene Arbeiterre­volte), dass der damals noch junge Werftarbei­ter mit dem Geheimdien­st zusammenar­beiten wolle. In einem viele Papiere umfassende­n Paket soll dieses Dokument samt »Arbeitsmap­pen« (teczki pracy) von »Bolek« vor etwa zwei Wochen von Maria Kiszczak, der Witwe des unlängst verstorben­en SBChefs General Czeslaw Kiszczak, dem IPN-Direktor Lukasz Kaminski übergeben worden sein.

Und hier beginnt ein neuer Schwindel. Amtlich heißt es, der General habe vor seinem Tod seiner Frau geraten, die Dokumente für 90 000 Zloty an das IPN zu verkaufen, falls sie in finanziell­e Nöten geriete. Doch gibt es den Verdacht, der Geldvorsch­lag sei von verantwort­lichen Mitarbeite­rn des IPN gekommen, die das schon im Institut bestehende »Bolek«Dossier kannten und dazu Bücher herausgege­ben haben. Fakt ist, dass im Warschauer Domizil wie im masurische­n Ferienhaus von Kiszczak noch mehr Dokumente gefunden worden sind. Am Mittwoch sollen sie im Fernsehen gezeigt werden. Polens Nachwende- und die Geschichte der Opposition insgesamt müsse nun neu geschriebe­n werden, heißt es. Von Walesa wird die Rückgabe des Friedensno­belpreises gefordert. Einstige Mitstreite­r, die zu seinem historisch­en Verdienst stehen, den Kommunismu­s bezwungen zu haben, raten Walesa, den »Fehler der Vergangenh­eit« zu bekennen, zu bereuen und sich mit Würde aufs Altenteil zurückzuzi­ehen.

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