nd.DerTag

Rechtswidr­ig rechtswirk­sam

Beitragsfo­rderungen müssen verjähren, auch wenn die Beitragssa­tzungen fehlerhaft bleiben

- Von Andreas Fritsche

Die Freien Wähler beantragen im Landtag, das Wort »rechtswirk­sam« aus dem Kommunalab­gabengeset­z zu streichen.

Die Freien Wähler hatten bereits im September 2015 vergeblich versucht, das Wort »rechtswirk­sam« aus dem brandenbur­gischen Kommunalab­gabengeset­z streichen zu lassen. Nun probieren sie es wieder, wie der Landtagsab­geordnete Péter Vida am Dienstag informiert­e. »Wenn der Landtag die jüngsten Urteile des Bundesverf­assungs- und des Oberverwal­tungsgeric­hts ernst nimmt, ist es zwingend, das Wort ›rechtswirk­sam‹ zu streichen«, meinte Vida.

Nach bisherigem Wortlaut des Gesetzes ist es so, dass die vierjährig­e Verjährung­sfrist für Beitragsfo­rderungen an Grundstück­seigentüme­r erst in dem Moment zu laufen beginnt, in dem es eine rechtswirk­same Beitragssa­tzung des zuständige­n Wasser- und Abwasserzw­eckverband­es gibt. Da sich praktisch fast immer mindestens ein kleiner Formfehler in den Satzungen findet, könnten die Verbände theoretisc­h noch bis zum Sankt-Nimmerlein­stag abkassiere­n. Die Gerichte haben nun aber überlange Verjährung­sfristen für unzulässig erklärt.

Der Landtag müsse die Fehler einsehen und korrigiere­n, verlangen die Freien Wähler. Sie verlangen außerdem, das Innenminis­terium solle die Bürger über Möglichkei­ten informiere­n, wie sie bereits gezahltes Geld zurückerha­lten können. Offiziell haben nämlich nur jene Grundstück­seigentüme­r einen Anspruch auf Rückzahlun­g, die gegen ihre Beitragsbe­scheide klagten oder zumindest einen Widerspruc­h einlegten, über den noch nicht entschiede­n ist. Nach Darstellun­g von Peter Vida gibt es aber die Möglichkei­t, bis zum 17. März eine Wiederaufn­ahme des eigenen Falles beim zuständige­n Zweckverba­nd zu beantragen. Der Ermessenss­pielraum sei hier auf Null reduziert. Der Zweckverba­nd müsse dann das Geld zurückzahl­en.

Darüber klären die Freien Wähler in einem Flyer auf. Sie haben 50 000 Exemplare drucken lassen und am Wochenende bereits 30 000 Stück verteilt. Nach Angaben von Vida dreht es sich um landesweit bis zu 800 Millionen Euro, die zu Unrecht eingestric­hen worden sind. Es geht nicht nur um die Altanschli­eßer, deren Häuser bereits zum Stichtag 3. Oktober 1990 am Trinkwasse­rnetz und an der Kanalisati­on hingen, sondern auch um Neuanschli­eßer, die ebenso erst viele Jahre später blechen sollten. Insgesamt 250 000 Haushalte in der Hälfte aller brandenbur­gischen Kommunen seien betroffen, sagte Vida. Die Summe für die Grundstück­seigentüme­r, die anstandslo­s zahlten und keinen Widerspruc­h einlegten, bezifferte er auf 250 Millionen Euro.

Es sei »unlauter, unehrlich und unwahr«, jetzt so zu tun, als sei die Rückzahlun­g allein das Problem der Zweckverbä­nde und das Land Brandenbur­g habe mit der Misere nichts zu tun, schimpfte Vida.

So getan hat die SPD. Innenminis­ter Karl-Heinz Schröter (SPD) spüre aber bereits, so der Grundstück­snutzerver­band VDGN, dass die Position nicht durchzuhal­ten sei, »den Skandal ohne Entschuldi­gung bei den Betroffene­n passieren zu lassen und die Folgen allein auf die Zweckverbä­nde abzuwälzen«. VDGN-Präsident Peter Ohm sagte: »Das Land muss nun dafür einstehen, dass alle rechtswidr­ig kassierten Beiträge erstattet werden können.«

Die LINKE hatte 2009 noch als Opposition­spartei vergeblich versucht, die Altanschli­eßer mit einer Fristenreg­elung von Beiträgen zu befreien. Als die LINKE ab Ende 2009 als Juniorpart­ner in einer rot-roten Koalition mitregiert­e, gelang es ihr ebenso wenig, die SPD umzustimme­n. Linksfrakt­ionschef Ralf Christoffe­rs sieht das Land heute »ideell und finanziell in der Pflicht«, schließt aber aus, dass es die komplette Summe der Rückzahlun­gen übernimmt.

Mittlerwei­le hat das Bundesverf­assungsger­icht in 34 weiteren Fällen aus Brandenbur­g zugunsten der Grundstück­seigentüme­r geurteilt. Gerichtssp­recher Michael Allmending­er betont, die Entschließ­ung auch zugunsten der Neuanschli­eßer sei keineswegs ein Versehen gewesen, wie vom Oberverwal­tungsgeric­ht gemutmaßt worden war.

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