Rechtswidrig rechtswirksam
Beitragsforderungen müssen verjähren, auch wenn die Beitragssatzungen fehlerhaft bleiben
Die Freien Wähler beantragen im Landtag, das Wort »rechtswirksam« aus dem Kommunalabgabengesetz zu streichen.
Die Freien Wähler hatten bereits im September 2015 vergeblich versucht, das Wort »rechtswirksam« aus dem brandenburgischen Kommunalabgabengesetz streichen zu lassen. Nun probieren sie es wieder, wie der Landtagsabgeordnete Péter Vida am Dienstag informierte. »Wenn der Landtag die jüngsten Urteile des Bundesverfassungs- und des Oberverwaltungsgerichts ernst nimmt, ist es zwingend, das Wort ›rechtswirksam‹ zu streichen«, meinte Vida.
Nach bisherigem Wortlaut des Gesetzes ist es so, dass die vierjährige Verjährungsfrist für Beitragsforderungen an Grundstückseigentümer erst in dem Moment zu laufen beginnt, in dem es eine rechtswirksame Beitragssatzung des zuständigen Wasser- und Abwasserzweckverbandes gibt. Da sich praktisch fast immer mindestens ein kleiner Formfehler in den Satzungen findet, könnten die Verbände theoretisch noch bis zum Sankt-Nimmerleinstag abkassieren. Die Gerichte haben nun aber überlange Verjährungsfristen für unzulässig erklärt.
Der Landtag müsse die Fehler einsehen und korrigieren, verlangen die Freien Wähler. Sie verlangen außerdem, das Innenministerium solle die Bürger über Möglichkeiten informieren, wie sie bereits gezahltes Geld zurückerhalten können. Offiziell haben nämlich nur jene Grundstückseigentümer einen Anspruch auf Rückzahlung, die gegen ihre Beitragsbescheide klagten oder zumindest einen Widerspruch einlegten, über den noch nicht entschieden ist. Nach Darstellung von Peter Vida gibt es aber die Möglichkeit, bis zum 17. März eine Wiederaufnahme des eigenen Falles beim zuständigen Zweckverband zu beantragen. Der Ermessensspielraum sei hier auf Null reduziert. Der Zweckverband müsse dann das Geld zurückzahlen.
Darüber klären die Freien Wähler in einem Flyer auf. Sie haben 50 000 Exemplare drucken lassen und am Wochenende bereits 30 000 Stück verteilt. Nach Angaben von Vida dreht es sich um landesweit bis zu 800 Millionen Euro, die zu Unrecht eingestrichen worden sind. Es geht nicht nur um die Altanschließer, deren Häuser bereits zum Stichtag 3. Oktober 1990 am Trinkwassernetz und an der Kanalisation hingen, sondern auch um Neuanschließer, die ebenso erst viele Jahre später blechen sollten. Insgesamt 250 000 Haushalte in der Hälfte aller brandenburgischen Kommunen seien betroffen, sagte Vida. Die Summe für die Grundstückseigentümer, die anstandslos zahlten und keinen Widerspruch einlegten, bezifferte er auf 250 Millionen Euro.
Es sei »unlauter, unehrlich und unwahr«, jetzt so zu tun, als sei die Rückzahlung allein das Problem der Zweckverbände und das Land Brandenburg habe mit der Misere nichts zu tun, schimpfte Vida.
So getan hat die SPD. Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) spüre aber bereits, so der Grundstücksnutzerverband VDGN, dass die Position nicht durchzuhalten sei, »den Skandal ohne Entschuldigung bei den Betroffenen passieren zu lassen und die Folgen allein auf die Zweckverbände abzuwälzen«. VDGN-Präsident Peter Ohm sagte: »Das Land muss nun dafür einstehen, dass alle rechtswidrig kassierten Beiträge erstattet werden können.«
Die LINKE hatte 2009 noch als Oppositionspartei vergeblich versucht, die Altanschließer mit einer Fristenregelung von Beiträgen zu befreien. Als die LINKE ab Ende 2009 als Juniorpartner in einer rot-roten Koalition mitregierte, gelang es ihr ebenso wenig, die SPD umzustimmen. Linksfraktionschef Ralf Christoffers sieht das Land heute »ideell und finanziell in der Pflicht«, schließt aber aus, dass es die komplette Summe der Rückzahlungen übernimmt.
Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht in 34 weiteren Fällen aus Brandenburg zugunsten der Grundstückseigentümer geurteilt. Gerichtssprecher Michael Allmendinger betont, die Entschließung auch zugunsten der Neuanschließer sei keineswegs ein Versehen gewesen, wie vom Oberverwaltungsgericht gemutmaßt worden war.