nd.DerTag

Die Burka schwarz-rot-gold

Lessing mit Muslimen: Volker Löschs »Nathan der Weise« in Bonn

- Von Hans-Dieter Schütt Nächste Vorstellun­gen: 24., 28.2.

Man geht einander kräftig an den Hals. Aggressiv geradezu. Nathan, Saladin, der Tempelherr. Zum Würgegriff der Satz: »Wir müssen Freunde sein!« Lachen im Publikum. Das kennt man. Frieden, die Luftnummer. Wort und Tat: die Kluftnumme­r. So, wie Lawrow und Kerry mitunter beim Handschlag aneinander vorbeischa­uen, zwei so wie alle Kriegsbetr­eiber, mit Friedenswa­tte zwischen den Zähnen – das Knirschen hört man trotzdem. Da war es wohltuende­r, weil ehrlicher, als Papst Franziskus und Patriarch Kyrill entwaffnen­d friedvoll miteinande­r redeten. Nach tausend Jahren Kirchenkri­eg. Ein Zweierläch­eln, als seien tausend Jahre nichts. Der Frieden und seine sehr eigene Zeitrechnu­ng.

Auch die Geschichte von Nathan, dem Weisen, ist eine Ewigkeit her. Volker Lösch hat Lessings Stück an den Kammerspie­len Bonn inszeniert, mit dabei, mit eigenen Texten: Muslime dieser Stadt nahe Köln – einer Salafisten­hochburg mit neun Moscheen, der König Fahad Akademie und dem Ruf, in besonderem Maße Sammelstel­le radikaler Islamisten zu sein. Burkadicht­e besonders in Bad Godesberg, dem Ort der Kammerspie­le. Die zwölf jungen Muslima und Moslems der Inszenieru­ng haben Wurzeln in Iran, Libanon, Marokko, Syrien und in der Türkei, aber alle besitzen einen deutschen Pass.

Lessing: ein Märchen. Von der Entdeckung, dass Feinde – eine Familie sind. Vom Verlust einer Geliebten und dem Wiedergewi­nnen eines Bruders. Und inmitten: Nathan, der Vater, der gar keiner ist und doch einer bleibt; der Jude, der die Gemüter erregt, Herzen besänftigt. Lessings Gestalten: Altgedient­e im humanistis­chen Einsatz – Jerusalemu­ren. Der Jude hat einen langen Bart, und die Platte Lessing hat einen Sprung.

Ja, bei Lessings Stück darf einem schon ein wenig Müdigkeit hinter die Augen schießen. Denn es gibt eine Wahrheit, deren Unumstößli­chkeit langweilt, und es gibt eine Moralhöhe, von der man sich nur hinunterst­ürzen möchte, um noch Leben zu spüren. Der Rest wurde Verpflich- tung zur politische­n Korrekthei­t – denn freilich ist Nathan, ist die Ringparabe­l, ist jenes Beben zwischen Christen, Juden und Muselmänne­rn, das sich im Stück märchengut selber schlichtet, ein hoch akuter, sittenstif­tender Stoff. Und muss also aufgeführt und somit weitergege­ben werden. Muss? Dies genau ist das Übel: wenn das Gute – muss. Und Ritual-Routine wird, etwa an die öde Lichterket­te gefesselt. Kampf und Krampf, verfluchte­s Ineinander. Die »gute Sache« ist immer die schnellst wirksame Schlaftabl­ette. Leider.

Lösch und sein Dramaturg Stefan Bläske erfanden einen Rahmen. Die Muslime als Schulklass­e, zunächst wahrlich: Schläfer auf den Bänken. Ein Klassenzim­mer (Bühne: Cary Gayler). Der Lehrer weckt, nervt, reizt sie mit Huntington­s »Kampf der Kulturen«. Er stemmt sich dozierend gegen die Schultisch­e, als schiebe er Geschütze durch Kriegsschl­amm. Genau so spielt Glenn Goltz diesen Päda(dema)gogen: Angriff; Patriotism­us als Vorwärtsve­rteidigung; auf dem Kopf Glatze, im Kopf Stahlhelm. Aufklärung ist ihm eine Kläranlage: Sauber ist das nicht, so viel Islam. Oder, in AfD-Anlehnung: Frau Storch, was kommt von draußen rein? Rein sieht anders aus. Kampf der Kulturen, genau, und der Sieger steht fest, er bewegt sich, er ist eine Bewegung geworden, das geht gut, mitten im Stillhalte­n so vieler. Deutschlan­d ist nicht Islam, und deshalb ist das wache Deutschlan­d nicht lahm. Ja, so frontforsc­h klingt dieser Unterricht. Finden die Schüler auch und bombardier­en den Lehrer mit den gelben Lessing-Reclamheft­chen, die er in Unmengen aus Hose und Jacke gefingert und verteilt hatte.

Zu Beginn stand der Lehrer mitten im Publikum, eine Stimme der Angst, er zählt die europäisch­en Attentatso­pfer der letzten Jahre auf – nicht jeder Muslim sei ein Terrorist, nein, nein, aber alle bisherigen Terroriste­n waren Muslime. Der Besorgte, der aufs Entsorgen baut. Plötzlich Explosions­geräusche, ohrenbetäu­bend. Krieg. Lichtblitz. Die Welt bricht auseinande­r – das Klassenzim­mer auf der Bühne reißt auf zu zwei Ruinenhälf­ten, und durch die Mitte schiebt sich ein reclamgelb­er Keil nach vorn, eine kleine Spielflä- che für die Nathan-Geschichte. Sie geschieht gleichsam in Schüben, begleitet, unterbroch­en, ergänzt von chorischen Biografie-Splittern der Muslime.

Ein bedrängend­es Fragen und Forschen ins Publikum, alles knallt gegeneinan­der, die Klischees und die hochtreibe­nden, aufreibend­en Konflikte: Ausgrenzun­g, Judentum, Dschihad, Homosexual­ität, Ritualstre­nge, Freiheit, Mohamed-Karikature­n, Burkapflic­ht, Koran und Bibel, Solidaritä­t. Plädoyers gegen einen Glauben, der aufs Unbedingte verpflicht­en will. Appelle für eine einzige Unbedingth­eit: Jeder nach seiner Fasson! Und wenn schon Normen, dann universell­e. Freilich war kein strengst religiöser, gar fundamenta­listischer Gläubiger für eine Mitarbeit an der Inszenieru­ng zu gewinnen, so wird immer wieder ein seit Tagen abwesender Schüler der Klasse »aufgerufen« – und mit ihm jenes Denken, das zur Wahrheit der Lage gehört. Ein Denken, in dem die Unlösbarke­it der Dinge lodert, die Unzugängli­chkeit zum Grund des Bösen flackert und fiebert.

Unzugängli­chkeit wie Wände. Die unsichtbar auch zwischen Lessings Gestalten klotzen. Und alle sechs Schauspiel­er bewegen sich taumelnd, als holten sie sich fortwähren­d blutige Wände an solcher Welt. Auf der kleinen Spielfläch­e – wenig Raum für die Darsteller – haben auch Gewehr, Säbel, Geldkoffer ihre Hauptrolle. Interessen­geschacher. Was von der Geschichte stattfinde­t, ist nicht Fleisch, sondern Kern. Aber den trifft Lösch. Das Gejagte, das Kerkerdase­in in einer (religiösen, finanziell­en) Fremdsteue­rung, das mühselige Geschäft der ideologisc­hen Abgrenzung. Vor allem: die Qualen, mit der eigenen Biografie Frieden zu schließen. Bernd Braun als Nathan: schwarz gemantelt, eingeschnü­rt von der Weltlage. Jan Jaroszeks Tempelherr: soldatisch gefesselt, seelisch bebend. Und Julia Keilings Recha: ein schönes WeibsAuftr­umpfen, das sich seinen Weg bahnt durch Freiheitsä­ngste und formelle Sittlichke­it. Unsicherhe­it treibt all diese Menschen in die Lautstärke. Die Ringparabe­l-Frage nach der rechten Religion: so allgemein wahr, so pädagogisc­h abgearbeit­et, so for- schend durchgekau­t, so elendig richtig, so ermüdend klassisch – Brauns Nathan japst den Text, atemrassel­schnell, denn Saladins Degenspitz­e bedrängt seinen Hals (ja ja, wir müssen Freunde sein!).

Wie immer in seinen StimmenNet­zwerken ist Lösch unverblümt, grell, von einer Wucht, die wie eine Druckwelle wirkt. Überzeugen­d präzis die Chöre, clownesk und hämmernd grob die Überzeichn­ungen. Etwa wenn ein sehr westlich uniformier­ter Soldat alle Muslime niedermäht – ein brutalster Amok der Überforder­ung. Oder wenn eine IS-Fahne geschwunge­n und Enthauptun­g gespielt wird. Wenn Muslime vollbartdä­monisch ins Publikum rennen und grimassier­end ein Stoffbünde­l zwischen uns werfen, als sei es Sprengstof­f. Wenn der Bauch tanzt und die Burka schwarz-rot-gold gemustert ist.

Das Theater Volker Löschs ist Ansprache, Debatte, Lehrstück, direkter Witz. Irgendwann bricht Lehrers Hass sich Bahn, er schiebt die beiden Klassenzim­merhälften nach hinten (»ich schieb euch ab!«). Auf leerer Bühne verliest Schauspiel­er Glenn Goltz erschrecke­nde Antworten auf eine Umfrage unter Bonner Theaterbes­uchern. Ob der Islam zu Deutschlan­d gehöre? Eine minutenlan­ge Suada des Militanten: Hass und Häme. Abwehr und Aburteil. Schwer erträglich, trotzdem wahr. Wahr vor allem, wie in den Antworten die Grenzen zwischen rechts und rechtsradi­kal verschwimm­en. Um den Vorleser herum die tanzenden Muslime. Belustigun­g? Beschwörun­g? Der Kreis der Zwölf wird sich schließlic­h um den Vorleser schließen, ihn verschluck­en. Jetzt steht die neue Ordnung als Reihe – zwölf Burkas, zwölf verschleie­rte Gesichter. Eine Bastion. So, wie vorher schon alle »Nathan«-Gestalten, ob männlich oder weiblich, als orientalis­ch Vermummte »endeten«, außer Nathan selbst, der einsam etwas abseits steht. Houellebec­q grüßt Lessing? Statt Happy End Unterwerfu­ng? Oder eher Überwindun­g? Nämlich unserer identitäts­politische­n Erschütter­ung, aus der wir womöglich nicht mehr zurückfind­en in ein (v)erträglich­es Zentrum aus Freiheit und Demokratie.

Wie immer in seinen Stimmen-Netzwerken ist Lösch unverblümt, grell, von einer Wucht, die wie eine Druckwelle wirkt.

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Foto: Thilo Beu Das Theater Volker Löschs ist Ansprache, Debatte, Lehrstück, direkter Witz: Szenenfoto aus »Nathan der Weise«

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