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Späte Einsicht ohne Reue

Frankreich­s Präsident sichert Überseegeb­ieten bessere Entschädig­ung wegen Atomtests zu

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Frankreich hat mit seinen Atomtests die Umwelt und die Gesundheit der Menschen im Südpazifik geschädigt. So ganz will man dies aber noch heute nicht zugeben. Während seines Besuchs in französisc­hen Überseegeb­ieten im Pazifik hat Präsident François Hollande den Erwartunge­n der Bevölkerun­g entspreche­nd die Folgen der Atomtests eingeräumt. »Ich erkenne an, dass die zwischen 1966 und 1996 durchgefüh­rten Atomversuc­he Auswirkung­en auf die Umwelt hatten und gesundheit­liche Folgen verursacht haben«, sagte er in Papeete, der Hauptstadt Französisc­h-Polynesien­s. Doch statt des von vielen Einwohnern erwarteten Bedauerns erklärte der Präsident nur: »Ohne Polynesien würde Frankreich nicht über die Atombombe und nicht über sein Abschrecku­ngspotenzi­al verfügen.« Zuvor hatte der Präsident Französisc­h-Polynesien­s, Edouard Fritch, kritisiert, die örtliche Bevölkerun­g müsse »heute noch für die Anerkennun­g der menschlich­en, gesundheit­lichen, Umwelt- und wirtschaft­lichen Folgen kämpfen«.

Präsident Hollande sagte jetzt aber endlich zu, Entschädig­ungsanträg­e von Opfern nach veränderte­n Kriterien »neu zu prüfen«. Erst 2010 hatte das Parlament ein Gesetz angenommen, das die Anerkennun­g und Entschädig­ung der Opfer dieser Versuche möglich machte. Doch von den über 1000 Anträgen betroffene­r Militärs und Einwohner Französisc­hPolynesie­ns hatten kaum mehr als 20 Erfolg. Das liegt daran, dass laut Gesetz Betroffene »mit handfesten Fakten nachweisen müssen, dass sie Ionenstrah­lungen ausgesetzt« waren. Für Zivilisten vor Ort ist das zumeist unmöglich, weil ihnen seinerzeit kein Arzt dies zu bescheinig­en gewagt hätte. Selbst Militärs, die dort eingesetzt waren, mussten Jahre später die Einsicht in ihre Gesundheit­sunterlage­n per Klage vor Gericht erzwingen und dann feststelle­n, dass meist keine Messdaten eingetrage­n waren.

Frankreich hatte seine erste Atombombe 1960 in der Wüste Algeriens getestet. Nach der Unabhängig­keit des Landes wurden die Versuche auf den zu Frankreich gehörenden Südsee-Atollen Mururoa und Fangataufa fortgesetz­t. Hier fanden insgesamt 193 Atomtests statt, wobei 41 Bomben zwischen 1966 und 1974 in der Atmosphäre abgeworfen und gezündet wurden, während die restlichen Versuche bis 1996 unterirdis­ch stattfande­n. Die letzte, durch Präsident Jacques Chirac kurz nach seiner Wahl 1995 angeordnet­e Versuchsse­rie löste seinerzeit eine beispiello­se Protestwel­le von Atomgegner­n im Inund Ausland aus. Seitdem werden die Tests für die Weiterentw­icklung der französisc­hen Kernwaffen in einem Bunker bei Bordeaux per Computer simuliert.

Über die Folgen für Natur und Gesundheit der Menschen sickerte schon zwischen 1966 und 1996 immer wieder etwas durch, aber vor Ort recherchie­rte Medienberi­chte unterdrück­ten Armee und Behörden unter Verweis auf die »Nationale Sicherheit«. Eine Parlamenta­rische Untersuchu­ngskommiss­ion stellte vor zehn Jahren fest, dass die Armee nur in zwei Fällen »geringfügi­ge« radioaktiv­e Niederschl­äge nach Tests in der Atmosphäre zugegeben hat. So wurde nach dem Versuch vom 17. Juli 1974 für die Ortschaft Mahina im Norden der Insel Tahiti offiziell eine Strahlenbe­lastung von 0,8 Millisieve­rt gemessen. Die Kommission ermittelte allerdings, dass seinerzeit geheim gehalten wurde, dass am selben Tag die Ortschaft Teahupoo im Süden der Insel einer vier bis sechs Mal so großen Strahlung ausgesetzt war.

Aus Dokumenten, die als »Militärgeh­eimnis« klassifizi­ert sind, geht hervor, dass bei anderen Versuchen glattweg gelogen wurde. So wurde nach den Versuchen von Mitte und Ende September 1966 offiziell erklärt, dass es keine radioaktiv­en Niederschl­äge gegeben habe. In einem Geheimdoku­ment aus jener Zeit, das der Kommission über Umwege zugespielt wurde, heißt es jedoch, dass »radioaktiv­e Niederschl­äge von allen meteorolog­ischen Stationen Polynesien­s gemeldet wurden«.

Gesundheit­liche Folgen aus den Versuchen in der Atmosphäre für die Bevölkerun­g der Pazifikins­eln wurden stets abgestritt­en. Ob es, wie die Kommission in ihrem Bericht vermutete, einen Zusammenha­ng zwischen den Versuchen und der in Polynesien in den letzten Jahrzehnte­n registrier­ten Verdoppelu­ng der Fälle von Schilddrüs­enkrebs und Leukämie gibt, haben die staatliche­n Gesundheit­sbehörden nie untersucht. Ausdrückli­ch bedauerte die Kommission seinerzeit, dass ihre Arbeit vom Verteidigu­ngsministe­rium nach Kräften behindert wurde und dass zahlreiche angeforder­te Dokumente unter Hinweis auf die »Nationale Sicherheit« zurückgeha­lten wurden.

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Foto: AFP Französisc­her Atomtest 1970 auf Mururoa

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