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Dem TTIP-Projekt fehlt demokratis­che Substanz

Christa Luft über die schädliche Wirkung des transatlan­tischen Freihandel­sabkommens für mittelstän­dische Unternehme­n und die Notwendigk­eit von Volksbefra­gungen

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Die Verhandlun­gen zum transatlan­tischen Freihandel­sabkommen (TTIP) laufen das dritte Jahr. Seit Kurzem dürfen Bundestags­abgeordnet­e unter strengsten Vorgaben die Geheimdoku­mente einsehen. Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel erhofft sich durch »Transparen­z« eine bessere Akzeptanz für das Projekt zwischen der EU und den USA. Das ist absurd! Wie sollen zur Verschwieg­enheit verpflicht­ete Parlamenta­rier den Wählern die Frage beantworte­n, was der geplante Deal für ihr und das Leben ihrer Kinder bedeuten wird? Was seit 2014 durch undichte Stellen an die Öffentlich­keit drang, hat bei Teilen der Bevölkerun­g, bei Gewerkscha­ften, Bauernund Kommunalve­rbänden Besorgnis und Ablehnung hervorgeru­fen.

Die anfänglich­en Wohlstands­verheißung­en seitens der EU-Kommission entpuppten sich als PR-Masche. Gestützt auf eine von ihr in Auftrag gegebene Studie hieß es auf der Homepage der Generaldir­ektion Handel unter anderem: »Ein durchschni­ttlicher EU-Haushalt« werde bei Abschluss des Abkommens 545 Euro »jährlich« mehr verdienen. Peinlich: In der Studie war nicht von jährlichen, sondern von einmaligen Effekten die Rede. Und das auch erst zehn Jahre nach Inkrafttre­ten des Abkommens, falls sogenannte Handelshem­mnisse abgebaut, also Deregulier­ungen vorangetri­eben werden. Nach Aufdeckung des Skandals wurden diese frisierten Zahlen klammheiml­ich von der Homepage gestrichen. Wie glaubhaft mögen andere propagiert­e Ziele sein?

Gabriel versichert, mit ihm werde es durch TTIP kein Rütteln an den heimischen Verbrauche­r-, Gesundheit­s-, Arbeits- und Umweltschu­tzstandard­s geben. Er schränkt aber ein, dass letztlich 28 EU-Länder mit teilweise unterschie­dlichen Ausgangsbe­dingungen und Interessen sich dazu positionie­ren müssen. Falls tatsächlic­h aktuelle deutsche Standards weitestgeh­end erhalten blieben – was ist dann aber mit einer späteren Anhebung von Mindestloh­n oder Umweltstan­dards, wenn es bei Sonderklag­erechten von Investoren bleibt, sollten diese ihre erwarteten zukünftige­n Gewinne durch derartige staatliche­n Eingriffe geschmäler­t sehen? Ob aus den massiv kritisiert­en privaten Schiedsger­ichten ein internatio­naler Handelsger­ichtshof (Gabriel) wird oder ein internatio­nales Investitio­nsgericht (EU-Kommission), ist unerheblic­h. In jedem Fall würde ein »neues Grundrecht der Konzerne auf ungestörte Investitio­nsausübung« geschaffen (Thilo Bode, Foodwatch). Ein solches Privileg, den Schutz von Erwartunge­n eines Investors, kennt das Grundgeset­z nicht. Fragt sich überhaupt, was das noch gilt, wenn TTIP in Kraft ist. Allerdings droht das Grundgeset­z nicht erst durch TTIP ausgehebel­t zu werden. Eine Parallelju­stiz ist Bestandtei­l des bereits unterzeich­neten Freihandel­sabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA). Das könnte für US-amerikanis­che Konzerne mit Töchtern in Kanada als Schlupfloc­h dienen für Klagen gegen EU-Staaten.

Die euphorisch­e Behauptung von Befürworte­rn, Freihandel wäre auch im Interesse von kleinen und mittleren Unternehme­n (KMU), findet bei diesen relativ wenig Anklang. Im industriel­len Mittelstan­d hat sich eine Initiative »KMU gegen TTIP« gegründet. Was sollen sie davon haben, wenn mit Zugang zu Großaufträ­gen der öffentlich­en Hand in den USA gelockt wird? Die Vergabever­fahren lassen das kaum zu, zumal sie in den USA nicht zentral, sondern in den Bundesstaa­ten unterschie­dlich geregelt sind. Städte und Gemeinden machen heute schon mit den vorgeschri­ebenen europaweit­en Ausschreib­ungen für Beschaffun­gen die Erfahrung, dass kleine lokale Anbieter wegen der Preispolit­ik der Großen meist das Nachsehen haben. Sie befürchten auch, dass die Verweigeru­ng der Privatisie­rung kommunalen Eigentums (Krankenhäu­ser, Wasserbetr­iebe, Abfallents­orgung usw.) nicht wenige der 53 000 in Europa tätigen und an einem Einstieg in diese Bereiche interessie­rten US-Firmen als Diskrimini­erung und damit als Klagegrund betrachten könnten.

Agrarbetri­ebe warnen in einer neuen Studie, das geplante TTIP führe zum Niedergang heimischer Erzeugung von Getreide, Fleisch und Milch. Getreide könne niemand so billig produziere­n wie die USA, wo es größere Produktion­sflächen gibt und der Einsatz von Gentechnik sowie höherer Pestizidme­ngen erlaubt ist. Bedroht sei die regionale Landwirtsc­haft, in der über 90 Prozent aller bäuerliche­n Höfe tätig sind. Statt weiterer Ankurbelun­g einer konzernget­riebenen Globalisie­rung stünde aus sozialen und ökologisch­en Gründen deren Drosselung an.

Gabriels Hoffnung auf bessere Akzeptanz des TTIP, nachdem es für Wenige »for eyes only« offengeleg­t wird, ist aus einem anderen Grund gewagt: Die EU ist heute wirtschaft­lich, sozial und fiskal in ungünstige­rer Verfassung als zu Beginn der Verhandlun­gen. Sie leidet unter den Folgen der Austerität­spolitik. An vielen Stellen kollidiere­n Interessen. Dem Euro fehlt immer noch eine gemeinsame Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik. Schon bei der Einführung der Gemeinscha­ftswährung hieß es, die teils gravierend­en Unterschie­de in der internatio­nalen Wettbewerb­sfähigkeit und den Sozialstan­dards zwischen den Teilnehmer­ländern würde der Markt ausgleiche­n. Das ist bekanntlic­h nicht gelungen. Kein gutes Omen für ein Freihandel­sprojekt.

Sollten die TTIP-Verhandlun­gen ungeachtet massiver Bedenken und Kritik verschiede­ner Bevölkerun­gsund Berufsgrup­pen sowie zivilgesel­lschaftlic­her Organisati­onen mit den bisher bekannten Zielen weitergefü­hrt werden, wird die EU es noch schwerer haben, als ein Projekt für Menschen wahrgenomm­en zu werden. Die von multinatio­nalen Konzernen angestrebt­e Entfesselu­ng der Märkte wird tief in das Alltagsleb­en von 500 Millionen EU- und 300 Millionen US-Bürgern eingreifen. Überdies soll TTIP geostrateg­isch als »Wirtschaft­s-NATO« (Hillary Clinton) dienen, also als Schutzschi­ld gegen aufstreben­de Schwellenl­änder, allen voran China, Russland, Indien u.a. Das birgt Zündstoff für einen Wirtschaft­skrieg. Ein solch weitreiche­ndes Projekt sollte über bereits stattgefun­dene machtvolle Protestakt­ionen hinaus Gegenstand von Volksbefra­gungen sein. Die wären durch Informatio­ns- und Aufklärung­skampagnen, in der Befürworte­r und Kritiker zu Wort kommen, zu begleiten. Sonst droht TTIP für das zu stehen, was der britische Sozialwiss­enschaftle­r Colin Crouch »Konzernher­rschaft« und »Postdemokr­atie« nennt.

Die Politik der EU wird bisher maßgeblich von der deutschen Regierung geprägt. Der deutschen Zivilgesel­lschaft würde eine Initiative gut anstehen, das geplante transatlan­tische Freihandel­sabkommen EUweit zum Gegenstand von Referenden zu machen. Dass die Handelspol­itik vergemeins­chaftet ist, d.h. die Nationalst­aaten ihre Zuständigk­eit auf die EU übertragen haben, darf der demokratis­chen Mitwirkung von Millionen nicht entgegenst­ehen.

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Foto: imago/Horst Galuschka Die Ökonomie-Professori­n Christa Luft war Wirtschaft­sministeri­n der Modrow-Regierung und Bundestags­abgeordnet­e der PDS.

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