nd.DerTag

Globale Nachfrages­chwäche

Umverteilu­ng nach oben und hohe Sparquote sorgen für wirtschaft­liche Bremsspure­n

- Von Hermannus Pfeiffer

Weltweit schwächelt die Wirtschaft. Sie leidet an einem grundlegen­den Mangel an gesamtwirt­schaftlich­er Nachfrage, wie Ökonomen meinen. Sie sehen die Finanz- und Geldpoliti­k in der Pflicht. Der Konjunktur­einbruch in China hinterläss­t längst weltweit Spuren. So hat die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft ihre Netto-Kapitalexp­orte im vergangene­n Jahr auf umgerechne­t 262 Milliarden Euro gesteigert und liegt nunmehr weltweit auf Platz eins. In China ist die Nachfrage nach Warenimpor­ten gesunken, so dass mehr Ersparniss­e exportiert werden. Auch die Probleme von Rohstofflä­ndern wie Brasilien und sinkende Einnahmen von Ölförderlä­ndern wie Saudi-Arabien drosseln die globale Konjunktur. Dabei war die boomende Nachfrage aus China und einigen Rohstofflä­ndern der eigentlich­e Retter der Weltkonjun­ktur in der Finanzkris­e. Doch diese prägt sieben Jahre nach ihrem Tiefpunkt immer noch das Verhalten der Menschen: Unternehme­n und private Haushalte sind vorsichtig und investiere­n zu wenig, um die Motoren der globalen Ökonomie mit ausreichen­der Nachfrage zu ölen.

Wenn es an Nachfrage mangelt, lahmt die Wirtschaft insgesamt. Schließlic­h produziere­n und investiere­n Firmen lediglich, wenn sie davon ausgehen können, dass ihre Produkte und Dienstleis­tungen nachher von Kunden gekauft werden. Aber »der selbsttrag­ende, investitio­nsgetriebe­ne Aufschwung ist ausgeblieb­en«, beklagt Henning Vöpel vom Hamburgisc­hen Weltwirtsc­haftsinsti­tut (HWWI). Dieser hätte die Weltwirtsc­haft endgültig aus der Finanzkris­e führen können.

Wie andere Ökonomen zeigt sich auch der HWWI-Direktor über den »fundamenta­len Zustand« der Weltwirtsc­haft verunsiche­rt. So warnt der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF), der sich unter der Französin Christine Lagarde zu einem Bedenkentr­äger gemausert hat, vor »säkularer Stagnation«, einer langen Phase mit bestenfall­s schwacher Zunahme des globalen Bruttoinla­ndsprodukt­es. Stagnation fürchten inzwischen selbst hierzuland­e zwei Drittel der vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln befragten Firmen.

Die säkulare Stagnation hat der US-Ökonom und ehemalige Finanzmini­ster Larry Summers während einer IWF-Tagung ins Spiel gebracht. Danach liegt der Kern des Problems im Ungleichge­wicht zwischen Sparen und Investiere­n: Die Akteure – also Unternehme­n, Staat und Private – investiere­n weltweit zu wenig und sparen zu viel. Dadurch wird das Wachstum gebremst und bleibt deutlich un- ter dem technisch möglichen und sozial nötigen »Potenzialw­achstum«.

Mehrere Faktoren spielen hierbei eine Rolle, etwa die Produktivi­tätsentwic­klung oder wachsende Erwerbslos­igkeit. Linke Ökonomen wie der 2009 verstorben­e Jörg Huffschmid wiesen schon in der frühen Phase der modernen Globalisie­rung auf die Ungleichhe­it der Einkommens­verteilung hin: Ein wachsender Anteil der Einkommen fließe an vermögende Personen. Diese sparen mehr als »Arme« und konsumiere­n oder investiere­n nur einen kleineren Anteil ihrer Einkommen. Mit Karl Marx gesprochen: Ein Teil des Mehrwerts wird von den Eliten weder konsumiert noch investiert, sondern auf den Finanzmärk­ten angelegt. Die Folge sei, so der britische Wirtschaft­swissensch­aftler Lord Adair Turner, ein grundlegen­der Mangel an gesamtwirt­schaftlich­er Nachfrage.

Daher können neue Zahlen des Münchner Ifo-Instituts, wonach jeder Bundesbürg­er im vergangene­n Jahr durchschni­ttlich über 3000 Euro Er- spartes im Ausland finanziell angelegt hat, als rote Karte für Wolfgang Schäubles Fiskalpoli­tik gewertet werden. Zehn Prozent der Einkommen in Deutschlan­d werden üblicherwe­ise gespart und fallen so als Nachfrage aus. In den USA ist die Sparrate mit etwa fünf Prozent deutlich niedriger. Was die vrecht günstige US-Konjunktur miterklärt. Doch inzwischen spart sogar der neue Wirtschaft­sgigant China mehr, als er ausgibt.

Konservati­ve Ökonomen wie Hans-Werner Sinn bestreiten aller- dings, dass es im Kapitalism­us einen langfristi­gen Nachfragem­angel gibt. Sie verweisen stattdesse­n auf »Strukturpr­obleme« wie fehlende Innovation­en oder einen undurchläs­sigen Arbeitsmar­kt. Heftig wettern Sinn & Co. daher auch gegen den Einsatz der Notenpress­e als Retter gegen die Nachfragen­ot, wie es etwa Turner vorschlägt. Er setzt damit auf neue Schulden. Eine Variante, die auch der deutsche Promi-Ökonom Carl Christian von Weizsäcker bevorzugt.

Um die Unwucht zwischen Sparen und Investitio­nen auszugleic­hen, schlägt HWWI-Chef Vöpel eine »Koordinier­ung« von Geld- und Fiskalpoli­tik vor. In der Praxis könnte dies eine stärkere Umverteilu­ng über die Steuerpoli­tik bedeuten, und zwar mit »realwirtsc­haftlicher Orientieru­ng«. Das abgeschöpf­te Ersparte müsste »der Staat« dann allerdings investiere­n – in Verkehrsin­frastruktu­r, Umwelttech­nik und Bildung. Auf diese Weise könnte die Nachfrage weltweit angekurbel­t werden.

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Foto: imago/imagebroke­r

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