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Endlose Ermittlung­en

Linke Gruppen fordern ein Ende der Strafverfa­hren wegen einer militanten Aktion, die vor 20 Jahren schief ging

- Von Carsten Becker

Der Anschlag auf den geplanten Abschiebek­nast ging schief. Drei militante Linksradik­ale tauchten unter. 20 Jahre später ermittelt die Polizei noch immer und bestellt einstige Freunde immer wieder ein. Die Sache ist lange her. In dieser Woche soll eine Frau vor dem Generalbun­desanwalt in Berlin zu einer Aktion aussagen, die vor 20 Jahren passierte. In der Nacht vom 10. zum 11. April 1995 versuchte eine autonome Gruppe, die sich das K.O.M.I.T.E.E. nannte, aus Protest gegen die deutsche Asylpoliti­k das im Bau befindlich­e Abschiebeg­efängnis in BerlinGrün­au zu sprengen. Bei den Vorbereitu­ngen wurden sie von einer Polizeistr­eife entdeckt, konnten fliehen, mussten aber das Auto mit Sprengstof­f und Dokumenten zurücklass­en. Drei Männer tauchten unter. Seitdem fahndet das Bundeskrim­inalamt (BKA) nach ihnen und ermittelt in ihrem damaligen Freundes- und Bekanntenk­reis.

Die Frau, die am 24. Februar befragt werden soll, war bereits mehrfach von der Polizei als Zeugin geladen und nicht erschienen. Auch vor dem Generalbun­desanwalt will sie die Aussage verweigern. Anders als die Polizei kann die Behörde allerdings Zwangsgeld­er und Beugehaft verhängen. Die Berliner Rechtsanwä­ltin Regina Götz bezweifelt, dass die Vorladung eine rechtsstaa­tliche Grundlage hat. Ermittelt wird nach Paragraf 30 des Strafgeset­zbuches wegen der »Verabredun­g zu einem Verbrechen«. Dieses Delikt hat eine Verjährung­sfrist von 40 Jahren, während schwerwieg­endere Straftaten bereits nach der Hälfte der Zeit verjährt sind. »Es ist grundgeset­zwidrig, dass die Vorbereitu­ng eines Verbrechen­s verjährt ist, während nach dem viel weniger konkreten Delikt der Verabredun­g zu einem Verbrechen weiter ermittelt werden kann«, moniert Götz. Sie will den Paragrafen deshalb vom Bundesverf­assungsger­icht prüfen lassen.

Das wäre auch für Bernhard Heidbreder wichtig. Er ist einer der drei Verdächtig­en, die 1995 untergetau­cht sind. Würde der Paragraf ge- kippt, könnten sie wieder legal in Deutschlan­d leben. 2014 war Heidbreder vom BKA in Venezuela aufgespürt und durch örtliche Spezialkrä­fte festgenomm­en worden. Er hatte die letzten Jahre in der Stadt Mérida in einer Druckerei gearbeitet. Obwohl der Oberste Gerichtsho­f Venezuelas entschied, dass Heidbreder nicht an Deutschlan­d ausgeliefe­rt werden kann, ist dieser bis heute inhaftiert.

Unterstütz­er in Deutschlan­d fordern die sofortige Freilassun­g. »Gegen Bernhard Heidbreder wird in Venezuela kein Strafverfa­hren mehr geführt, die Vorwürfe wegen der Einreise und Einbürgeru­ng mit gefälschte­n Ausweispap­ieren wurden bereits Ende Oktober 2014 von einem Gericht in Mérida fallen gelassen«, erklärt ein Mitglied des Solidaritä­tskomitees »Dagebliebe­n«. Für die andauernde Haft gebe es daher keine Rechtferti­gung. Um der in Berlin vorgeladen­en Zeugin den Rücken zu stärken, ruft das Solibündni­s zeitgleich zum angesetzte­n Termin am Mittwoch zu einer Kundgebung vor dem Polizeiprä­sidium am Platz der Luftbrücke auf. Es fordert die Einstellun­g der Verfahren, und dass nach so vielen Jahren das frühere soziale Umfeld der drei Geflüchtet­en in Ruhe gelassen wird.

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Foto: nd/Ulli Winkler Die Mauern sind heil, die Menschen dahinter nicht – das Abschiebeg­efängnis in Berlin-Grünau, auf das 1995 ein Anschlag verübt werden sollte.

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