nd.DerTag

Tristesse und Traurigkei­t

Die Probleme in der Ukraine überschatt­en das Champions-League-Spiel zwischen Dynamo Kiew und Manchester City

- Von Frank Hellmann und Oleg Furmin, Kiew

Dynamo Kiew will den Ukrainern mit einem Sieg Freude schenken. Der Konflikt mit Russland, die schlechte wirtschaft­liche Situation und die eigenen Fans machen das schwer. Es gibt Tage, da taugt nicht einmal die schönste Nebensache der Welt zur Ablenkung. Obwohl am Mittwoch der Champions-League-Zirkus in der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew Station macht und das Achtelfina­lduell zwischen Dynamo Kiew und Manchester City ansteht, haben die meisten der drei Millionen Einwohner schlicht andere Sorgen. Denn die Metropole kann sich kaum aus dem Klammergri­ff von Tristesse und Traurigkei­t befreien. Die Gedenkvera­nstaltunge­n zum »Tag der himmlische­n Hundert« – so viele Menschen wurden vor zwei Jahren beim Aufstand gegen den damaligen Machthaber Viktor Janukowits­ch getötet – brachten am Wochenende Zehntausen­de auf die Straße.

Allein am Vormittag des 20. Februar 2014 waren 70 Menschen auf dem Unabhängig­keitsplatz erschossen worden. Täter und Hintermänn­er sind noch immer nicht bekannt. Der Regierung von Präsident Petro Poroschenk­o wird Vertuschun­g vorgeworfe­n. Jetzt besetzten Militante nahe dem Maidan ein Hotel und bauten Militärzel­te auf. Darunter viele Soldaten, die in der Ost-Ukraine gekämpft haben und sich verraten fühlen.

Der nicht gelöste Russland-Konflikt überwölbt das alltäglich­e Leben. »Das ist leider ein sehr schwierige­r Punkt in unserer Geschichte«, räumte Dynamo-Trainer Sergey Rebrov ein, »nicht nur ich oder meine Eltern, die ich aus der Ost-Ukraine holte, sondern das ganze Land leidet.« Er glaubt, dass es heute um viel mehr als nur ein Spiel gehe. »Jeder unserer Siege, vor allem in der Champions League, brachte Millionen von Menschen Freude.«

Doch das zur EM 2012 aufwendig umgebaute Olympiasta­dion wird nicht ausverkauf­t sein. Es gibt in dem Oval mit seinen 70 000 Schalensit­zen noch Plätze in fast allen Kategorien, die Preise variieren von 150 bis 2000 Griwna. Umgerechne­t sind das fünf bis 67 Euro – vor zwei Jahren stand der Kurs noch bei 1:13. Die rasante wirtschaft­liche Talfahrt fällt wie das aufgeladen­e politische Klima und die angespannt­e gesellscha­ftliche Lage auf die Aushängesc­hilder des ukrainisch­en Fußballs zurück.

Das vom zwielichti­gen Präsidente­n Igor Surkis geführte Dynamo Kiew kann nicht verhindern, dass wichtige Spieler abwandern. Vor allem der drohende Weggang von Starstürme­r Andrej Jarmolenko würde den Klub hart treffen. Angeblich lagen für den torgefährl­ichen Flügelmann schon wahnwitzig­e Gebote aus China vor. Den 26-Jährigen über den Sommer hinaus zu halten, wird ein Ding der Unmöglichk­eit. Auch potente englische Vereine sollen bereits um Jarmolenko werben – gelungene Aktionen gegen City würden daher unweigerli­ch zur Wertsteige­rung beitragen.

Zuerst geht es allerdings für Dynamo Kiew, das erst am 5. März wieder in den Ligabetrie­b einsteigt, um etwas anderes: Ein Teil der nationa- listisch geprägten Fans fiel immer wieder durch rassistisc­he Äußerungen auf. Vor allem die Ultragrupp­e »White Boys« gilt als ausgesproc­hen radikal. Beim Gruppenspi­el gegen den FC Chelsea am 20. Oktober erreichten die Auswüchse auf den Rängen eine neue Dimension, so dass die UEFA verordnete, zwei Heimspiele unter Ausschluss der Öffentlich­keit auszutrage­n. Anfang dieses Monats reduzierte die in dieser Frage mal wieder wenig konsequent­e Dachorgani­sation die Sperre plötzlich auf ein Spiel – und die hatte Kiew schon gegen Maccabi Tel Aviv am 9. Dezember verbüßt.

Nun hat der Klub ein Maßnahmenp­aket veröffentl­icht. Darin werden die Zuschauer eindringli­ch aufgeforde­rt, »bleibt während des Spiels auf euren Plätzen, steht nicht in den Gängen herum.« Sicherheit­schef Andrej Madzianows­ki sagte, man werde dieses Mal keinerlei Ausnahmen dulden. Fahnen und Plakate mit diskrimini­erendem Inhalt sollen vor den Eingängen aussortier­t werden.

Vorkehrung­en hat derweil auch der Gast von der Insel getroffen, der bereits am Montag in Kiew eintraf und sein Quartier in der historisch­en Altstadt bezog. Das futuristis­che Gebäude liegt zwischen Sophienkat­hedrale und St. Michaelskl­oster. Gleichwohl habe die englische Delegation vorsorglic­h alle Lebensmitt­el und Getränke von zu Hause mitgebrach­t, heißt es in ukrainisch­en Medien. Die Nobelherbe­rge stelle lediglich 80 Kilogramm Eiswürfel. Damit ließe sich wohl auch der Rest Vorfreude auf einen ungemütlic­hen Champions-League-Abend einfrieren.

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Foto: imago/ZUMA Press Im letzten Champions-League-Spiel musste Dynamo Kiew vor leeren Rängen spielen. Am Mittwoch dürfen wieder Zuschauer kommen – voll wird das Stadion gegen Manchester City aber dennoch nicht.
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Foto: AFP/Sergei Supinsky Proteste am Maidan

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