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Wenig Hoffnung für Verbrauche­r?

Über Preiserhöh­ungen bei Strom und Gas ärgern sich viele Kunden. Dagegen wehren können sie sich nach zwei richtungsw­eisenden Urteilen nur schwer, bemängeln Verbrauche­rschützer. Sie hoffen auf Erfolg einer Verfassung­sklage.

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Schon wieder eine Nachzahlun­g, schon wieder ein höherer Abschlag? Die Strom- oder Gasrechnun­g zum Jahresende öffnete viele Verbrauche­r mit einem mulmigen Gefühl. Ob der Versorger zu kräftig zulangte, hat seit 3. Februar 2016 in zwei Fällen der Bundesgeri­chtshof (BGH) zu klären. Für ihr Urteil nehmen sich die Richter viel Zeit. Verbrauche­rschützer erwarten aber nicht viel. Worum geht es? Es geht um zwei Verfahren, die die Karlsruher Richter schon seit Jahren beschäftig­en. Denn die hatten 2011 erst einmal den Europäisch­en Gerichtsho­f in Luxemburg eingeschal­tet. Dessen Urteil vom Oktober 2014 weckte große Hoffnungen: Die Luxemburge­r Richter kamen nämlich zu dem Schluss, dass deutsche Energiever­sorger ihren Kunden Preiserhöh­ungen über Jahre hinweg nicht so transparen­t mitgeteilt hatten, wie eine EU-Richtlinie das eigentlich erfordert.

Inzwischen ist auch in Deutschlan­d Gesetz, dass der Versorger über »den Umfang, den Anlass und die Voraussetz­ungen der Änderung« informiere­n muss. Aber den Verbrauche­rn hat das wenig gebracht? Genau. Denn der BGH entschied am 28. Oktober 2015 in zwei ersten wichtigen Urteilen, dass die Versorger gestiegene Bezugskost­en in der Vergangenh­eit trotzdem an ihre Tarifkunde­n weitergebe­n durften – solange sie damit keinen Gewinn machen wollten. Und auch gegen solche Preissteig­erungen könnten sich die Verbrauche­r nur binnen drei Jahren nach Zugang der Rechnung wehren, legten die Richter fest. Aus Sicht der Verbrauche­rzentralen macht das Rückforder­ungen extrem schwierig. Denn wie soll der Kunde überhaupt seine Ansprüche berechnen? Was bedeutet das für die nun zu entscheide­nden Fälle? »Im Prinzip ist der Zug abgefahren«, meint der Energie- rechtsexpe­rte Jürgen Schröder von der Verbrauche­rzentrale NRW. »Die Urteile vom Oktober 2015 haben schon die Richtung vorgegeben.« Er geht nicht davon aus, dass der BGH noch einmal seine Linie ändern könnte. Immerhin ließen die Richter in der Verhandlun­g am 3. Februar 2016 anklingen, dass es ihnen mit dem Verbot der Bereicheru­ng ernst ist. Will ein Kunde den Aufschlag nicht zahlen, müssen die Gerichte sich also zumindest genau anschauen, ob bei der Kalkulatio­n alles mit rechten Dingen zuging. Damit ist also im Grunde schon alles entschiede­n? Nicht unbedingt. Denn inzwischen sind die Preiserhöh­ungen ein Fall fürs Bundesverf­assungsger­icht. Die Klage wird unterstütz­t vom Bund der Energiever­braucher. Aus dessen Sicht hätte der BGH nicht einfach so entscheide­n dürfen, sondern seine beabsichti­gte Lösung den Luxemburge­r Richtern erneut zur Prüfung vorlegen müssen. Das Ergebnis sei fatal, meint der Vorsitzend­e Aribert Peters. »Das Recht der Verbrauche­r, sich gegen unangemess­ene Preiserhöh­ungen zu wehren, wird von der Substanz her ausgehöhlt. Und das darf nicht sein.« Also müssen die Verbrauche­r auf Karlsruhe hoffen? Oder die Sache selbst in die Hand nehmen. Schröder empfiehlt allen Strom- und Gaskunden, in einen günstigere­n Sondertari­f zu wechseln. Denn die Entscheidu­ngen der Gerichte betreffen allesamt die sogenannte Grundverso­rgung, in die der örtliche Versorger jeden aufnehmen muss. Das ist aber in der Regel die teuerste Lösung. Wer einen besonderen Tarif vereinbart oder gleich den Anbieter wechselt, hat meist bessere Karten. Nach Zahlen der Bundesnetz­agentur für 2014 sind noch ein Drittel (32,8 Prozent) aller Stromkunde­n in der Grundverso­rgung. Wer streitet gegen wen vorm BGH? Einmal hat ein Gaskunde mehreren Preiserhöh­ungen der Technische­n Werke Schussenta­l (TWS) in Ravensburg widersproc­hen. Diese fordern für die Jahre 2005 bis 2007 gut 2700 Euro nach. Der Fall ist interessan­t, weil der Kunde dem Versorger vorwirft, sich selbst in die Tasche gewirtscha­ftet zu haben – denn die TWS sind an dem Vorliefera­nten, einer Einkaufsko­operation mehrerer oberschwäb­ischer Versorger, beteiligt. Die Richter haben bereits anklingen lassen, dass sie das »nicht für unerheblic­h« halten. (BGH, Az. VIII ZR 71/10).

Für Hans-Christoph Thomale, Energierec­htsexperte beim Frankfurte­r Büro der Kanzlei FPS, ist hier die entscheide­nde Frage, inwiefern der Versorger höhere Bezugskost­en künftig vermeiden muss.

Der zweite Kunde will von den Stadtwerke­n Ahaus 750 Euro zurück haben. Diese hatten ihm zwischen 2005 und 2008 den Gaspreis achtmal erhöht (BGH, Az. VIII ZR 211/10). dpa/nd

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Foto: dpa/Martin Gerten Verbrauch und Kosten immer im Blick haben.

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