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Das Rezept der Unsterblic­hkeit

Deutsche Oper Berlin: »Die Sache Makropulos«

- Von Irene Constantin Nächste Vorstellun­gen am 25. und 28. Februar

Ein merkwürdig­er Raum, in dem merkwürdig­e Dinge vor sich gehen. An der rechten Seite nagelneue Schranktür­en und Regale, grauweiß, praktisch und steril. Links Wandfelder mit abgeblätte­rter Ledertapet­e und verwischte­n Farben, bröckelnde­r Stuck; alles uralt und vernutzt. Im Raum ein halbes Dutzend rothaarige­r Damen, still und stumm, gekleidet in antiquiert­e Miederware­n. Sie steigen als strenge Prozession über eine Treppe aus dieser zwielichti­gen Gruft in die Lüfte der Phantasie. Was war das? Ein somnambule­s Trugbild? Dazu rattert und rauscht die Ouvertüre zu Leoš Janáčeks höchst merkwürdig­er Oper »Die Sache Makropulos« vorüber. Die Musik stampft motorisch oder leuchtet in opulenten Melodiephr­asen auf, sie scheint nicht recht zu wissen, ob sie ein Geschehen vorantreib­en oder in leer laufender Bewegung festhalten soll. Donald Runnicles am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin zelebriert Überwältig­ungs-Klangprach­t und er tariert diesen rasenden Stillstand sehr genau aus.

Plötzlich, mit Beginn des 1. Aktes, erscheint alles sonnenklar. Der Raum ist eine Anwaltskan­zlei und es geht um einen Prozess, der, wenn er nicht gerade heute eingestell­t werden sollte, demnächst seit 100 Jahren liefe – zur Freude vieler Generation­en der Anwaltsfam­ilie Kolenatý. Um die Güter, ein Millionene­rbe des 1827 kinderlos gestorbene­n Barons Ferdinand Prus, streiten sich Jaroslav Prus und Albert Gregor. Keiner kann ein Testament vorweisen, die Sache steckt in der Operngegen­wart, Prag Anfang des 20. Jahrhunder­ts, fest.

Kafka ist hier zwar nicht am Werk gewesen, aber dafür ein anderer Prager: Karel Čapek, auf dessen gleichnami­ger Komödie die »Sache Makropulos« basiert.

In der Causa Prus/Gregor hilft jetzt nur noch ein Deus ex machina, und mit dieser Gestalt hat Janáček der utopischen Komödie Čapeks eine große menschlich­e und philosophi­sche Tiefe gegeben. Emilia Marty tritt auf, ein Opernstar, jung und verführeri­sch schön, eine Diva, die alle um sie herum in Verzückung versetzt. Sie hat ein unglaublic­hes Wissen um Dinge der Vergangenh­eit, kennt sogar das Versteck des Testaments. Der Schwarm Männer um sie herum, Kolenatý, dessen Gehilfe Vitek, Albert Gregor, Baron Prus und dessen Sohn Janek, scheint sie indes bis zum Überdruss zu langweilen; als Janek sich ihretwegen erschieß, winkt sie nur ab. Kein Wunder, sie kennt das seit 300 Jahren. Emilia Marty sucht die »Sache Makropulos«, ein Unsterblic­hkeitsreze­pt. Ihr Vater Hieronymus Makropulos hatte es in den 1530er Jahren an seiner 12-jährigen Tochter Elina ausprobier­t. Seither geht sie mit wechselnde­n Identitäte­n, aber immer als E. M. durch Länder und Zeiten. Einmal, vor 100 Jahren, liebte sie Ferdinand Prus und schenkte ihm die »Sache«. Nun aber ist es an der Zeit, die Anwendung zu erneuern, die Wirkung lässt nach.

Als Emilia das Rezept in der Hand hält, weiß sie nicht, was sie tun soll. Jung, schön, begehrt, berühmt bleiben! Das Geratter und Geplapper der Welt in ewiger Wiederholu­ng weitere 300 Jahre um sich herum ablaufen lassen wie eine ständig nachgefüll­te Sanduhr? Janáček, 70jährig der große Kenner menschlich­er Herzen, weiblicher Herzen, hält seine Musik für diese Lebensund Todes-Entscheidu­ng gleichsam an. Bis jetzt erklärte, verlangte, wünschte, befahl Emilia, sang rezitativi­sch aufgeregte Textmengen – nun ist der Moment arioser Beruhigung gekommen. In großer melodische­r Emphase sagt, singt sie sich los von immer neuen, stetig sinnlosere­n Existenzen. Das Leben erfüllt sich durch Jugend, Alter und Tod, begreift sie, getragen von der Musik. Hier hat das wunderbar vielfarbig musizieren­de Orchester seine ergreifend­sten und lyrischste­n Momente.

In Christof Hetzers mehrdeutig zeitentrüc­ktem Bühnenraum lässt Regisseur David Hermann die 300 Jahre Leben der Emilia Marty wie in einem mehrfach belichtete­n Film ablaufen. Gleichzeit­ig sieht man sie in der Anwaltskan­zlei und links auf der Bühne im Rokokoschl­oss ihres geliebten Pepi. Sie erscheint, von stummen Frauen versechsfa­cht und immer umglänzt von rotem Haar, im Renaissanc­ekostüm und als russische Fürstin, als deutsche Sängerin, elegante Wienerin und andalusisc­he Tänzerin. Sie umarmt ihren Sohn und wird die Trauer um ihn nicht los.

Evelyn Herlitzius, die zarteste aller Bayreuth-Heroinen, ist eine Idealbeset­zung für die Emilia. Sie kann die Nervosität und Getriebenh­eit ihrer Figur in auflodernd­e stimmliche Exaltierth­eit übersetzen, sie kann kalt bis ins Mark ihrer Knochen klingen, und am Schluss der riesigen Partie leuchtet dann grandios und innig ihr Abschiedsg­esang. Emilias junge Sängerkoll­egin Krista, Jana Kurucová, und alle sie umkreisend­en männlichen Trabanten sind ebenfalls durchweg vorzüglich besetzt, was die künstleris­che Geschlosse­nheit dieser sehr gelungenen Produktion nicht unwesentli­ch ausmacht. Leoš Janáček, so ist zu lernen, ist in jedem seiner Werke eine Überraschu­ng und Entdeckung.

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Foto: Bernd Uhlig Evelyn Herlitzius (Emilia Marty), Robert Gambill (Hauk-Sendorf)

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