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Bulldozer bedrohen »Dschungel«

Frankreich­s Regierung will nur noch 2000 Flüchtling­e in Calais dulden und Camp einebnen

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Frankreich­s Innenminis­ter bleibt dabei: Das Flüchtling­scamp in Calais muss geräumt werden. Die Insassen sollen umsiedeln. Die Absicht der Behörden, ab Mittwoch den sieben Hektar großen südlichen Teil des »Dschungel« genannten Flüchtling­scamps in Calais mit Bulldozern einzuebnen und die dort lebenden 800 bis 1000 Ausländer umzusiedel­n, musste vorübergeh­end ausgesetzt werden.

Acht Hilfsorgan­isationen hatten dagegen vor dem Verwaltung­sgericht in Lille geklagt und die Richterin, die sich am Dienstag in Calais selbst ein Bild von der Situation gemacht hat, kündigte eine Entscheidu­ng für Mittwochna­chmittag an. Die geplante Evakuierun­g geht auf ein Urteil des Staatsrate­s, des Obersten Verwaltung­sgerichts, zurück. Dieser hatte im vergangene­n November das Innenminis­terium verurteilt, in Calais für die Flüchtling­e »menschenwü­rdige Lebensbedi­ngungen« herzustell­en.

Seitdem wurde dort eine Siedlung aus 125 beheizbare­n Containern mit Platz für 1500 Menschen errichtet. Dort sind jedoch erst 1100 Plätze von denjenigen belegt, deren Zelte und Hütten man bereits in einer ersten Aktion im Januar abgerissen hatte. Ein gesicherte­s Lager für Frauen und Kinder wurde durch die Behörden auf 500 Plätze erweitert. Dort ist noch die Hälfte frei.

Auf diese 2000 Plätze in festen und kontrollie­rbaren Unterkünft­en will die Regierung jene Ausländer konzentrie­ren, die den Traum vom Übersetzen nach Großbritan­nien nicht aufgegeben haben. Die Zahl von 2000 Ausländern bei 70 000 Einwohnern von Calais hält Fabienne Buccio, Präfektin des Departemen­ts Pas-de-Calais, für »akzeptabel«.

Dafür setzen die Behörden vor allem auf die freiwillig­e Übersiedlu­ng der anderen Flüchtling­e in die rund 100 Notaufnahm­elager im ganzen Land. Dort sollen sie »in Ruhe nachdenken« und das Angebot annehmen, einen Asylantrag für Frankreich zu stellen. Doch dazu waren bisher erst rund 2000 Flüchtling­e bereit, vor allem Familien mit Kindern. Für sie wurden die Bedingunge­n im Winter in Calais zu hart.

Die täglich vom »Dschungel« aus zu diesen Lagern abfahrende­n Busse bleiben größtentei­ls leer. Beispielsw­eise sind in der vergangene­n Woche am Dienstag nur 69 Flüchtling­en abgefahren, am Mittwoch 14, am Donnerstag 21. Doch die Zahl der Flüchtling­e in Calais beträgt nach offizielle­n Angaben 3700, während die Hilfsorgan­isationen sie auf 4000 bis 6000 schätzen.

Innenminis­ter Bernard Cazeneuve ist fest entschloss­en, über kurz oder lang den »Slum unter freiem Himmel« zu liquidiere­n. Dabei versichert er, dass alles »human, schrittwei­se, durch Überzeugun­g und unter Respektier­ung der Menschenwü­rde« erfolgen solle. Die Hilfsorgan­isationen halten die Pläne der Regierung für unrealisti­sch und menschenfe­indlich. Sie gehen davon aus, dass die Mehrzahl der Flüchtling­e ausweichen wird und sich entlang der Küste neue wilde Camps bilden werden. Aus Furcht, dass Ausländer aus Calais nach Belgien kom- men, um vom Hafen Zeebrugge aus die Flucht nach Großbritan­nien zu versuchen, hat Belgien am Dienstag wieder Kontrollen an der Grenze eingeführt.

»Wenn wir uns gegen die forcierte Liquidieru­ng des ›Dschungel‹ wenden, so nicht weil wir diese Elendssied­lung verteidige­n wollen«, meint François Guennoc vom Hilfsverei­n Auberge des migrants. »Aber hier haben sich die Flüchtling­e eingericht­et, hier haben sie ein Netzwerk von Freunden und Helfern. Außerdem wurden die Zelte und Hütten aus Material, das mit 300 000 Euro Spendengel­d gekauft wurde, von den Flüchtling­en und den Hilfsverei­nen gemeinsam aufgebaut und oft sogar winterfest gemacht. Hier gibt es improvisie­rte Schulen, Gebetsräum­e, eine Bibliothek, ein medizinisc­hes Zentrum. Das alles mit Bulldozern sinnlos zu zerstören, wäre ein Frevel.«

Die Hilfsverei­ne plädieren dafür, nichts zu überstürze­n, sondern gemeinsam – Flüchtling­e, Helfer und Behörden – nach dauerhafte­n Lösungen zu suchen.

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Foto: dpa/Yoan Valat Das Flüchtling­slager vor der Räumung

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