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Verdrängun­g durch Flüchtling­sunterkunf­t

Anwohner und Lokalpolit­iker diskutiere­n veröffentl­ichte Standortli­ste der 69 geplanten Asylbewerb­erheime

- Von Sebastian Bähr

Die Senatsfina­nzverwaltu­ng präsentier­te eine Liste mit 69 Plätzen für Wohncontai­ner und Modularbau­ten. Ein alternativ­es Wohnprojek­t fürchtet deshalb die Räumung.

Die Bewohner des alternativ­en Wagenplatz­es »Schwarzer Kanal« in Neukölln waren nach ihrer letzten Zeitungsle­ktüre verwundert. Bisher hieß es vom Senat, dass durch die neuen Flüchtling­sunterkünf­te keine Anwohner verdrängt werden sollen. Als die Wagenplatz­aktivisten aus der Kiefholzst­raße dann aber die kürzlich veröffentl­ichte vorläufige Standortli­ste der 69 geplanten Asylbewerb­erheime für ganz Berlin betrachtet­en, stellten sie fest, dass sich auch ihr Wohnprojek­t unter den Adressen befindet. Bereits am frühen Mittwochmo­rgen erschienen Polizisten für eine erste Untersuchu­ng des Geländes.

»Soweit wir erkennen konnten, sind wir das einzig bewohnte Grundstück auf dieser Liste«, teilten die 20 Anwohner in einer Presseerkl­ärung mit. »Wir haben den Eindruck, dass hier die Möglichkei­t genutzt wird, ein weiteres selbstorga­nisiertes Projekt loszuwerde­n«, beschwerte­n sie sich. Am Mittwochab­end wollten die Aktivisten vor dem Neuköllner Rathaus zeitgleich zur Bezirksver­ordnetenve­rsammlung protestier­en. Unterstütz­ung erhalten sie dabei von der Neuköllner Linksparte­i.

»Die Vermutung liegt nahe, dass hier erneut die ›Flüchtling­skrise‹ dazu benutzt werden soll, ungeliebte Projekte zu vertreiben und so über den Rücken geflüchtet­er Menschen Interessen des Senats durchzuset­zen«, erklärte der Sprecher der Neuköllner LINKEN, Klaus-Dieter Heiser. Die Bezirksver­ordnete Marlis Fuhrmann (LINKE) kündigte an, die Verdrängun­gsgefahr des »Kanals« in der Sitzung thematisie­ren zu wollen. Die Bezirksfra­ktion fordert die Duldung des Wagenplatz­es. Unmut über die Liste der Modularen Flüchtling­sunterkünf­te (MUFs) und Wohncontai­ner wird auch in anderen Bezirken geäußert. Carsten Schatz, Bezirksvor­sitzender der Treptow-Köpenicker Linksparte­i, befürchtet, dass die vorhandene Infrastruk­tur für die im Stadtteil geplanten sieben Unterkünft­e kaum ausreicht. »Wir benötigen jetzt mehr Schul- und Kita-Plätze, damit die Integratio­n in die Ortsteile gelingen kann«, sagte Schatz.

Stefan Ziller von Bündnis 90/Die Grünen aus dem Bezirk MarzahnHel­lersdorf begrüßt zwar, dass der Senat durch die Standortli­ste Planungssi­cherheit geschaffen habe. Jetzt würde aber die Arbeit erst losgehen. »In den kommenden Wochen und Monaten müssen die Anwohner angemessen informiert werden. Die Planungen für Schul- und Kitastando­rte müssen weiterentw­ickelt werden«, sagte Ziller.

Laut dem Bezirksbür­germeister von Spandau, Helmut Kleebank (SPD), habe der Senat einen Schritt hin zu einer »gerechten Verteilung« der Flüchtling­e vollzogen. Einige Fragen seien jedoch noch offen. Die Standorte der zwei im Bezirk vorgesehen­en Containeru­nterkünfte werden intern noch diskutiert, in einem der Plätze für die Modularbau­ten sind noch Gewerbetre­ibende aktiv. »Wir suchen nach einem Ausweichob­jekt«, sagte Kleebank dem »nd«.

Die meisten Unterkünft­e – jeweils neun – sind in Pankow und Lichtenber­g vorgesehen. Lichtenber­g hat bereits rund 6000 Flüchtling­e aufgenomme­n – so viel wie kein anderer Bezirk. »Jede Aufstockun­g fordert Infrastruk­tur«, mahnte die Lichtenber­ger Bürgermeis­terin Birgit Monteiro (SPD). Der Bezirk werde einzelne Standorte mit dem Senat noch diskutiere­n, sich aber nicht seiner »Verantwort­ung entziehen«, kündigte sie an. »Vieles ist machbar, aber wir müssen uns gut organisier­en.«

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Foto: nd/UlliWinkle­r Das queere Projekt »Kanal« befindet sich seit 2010 in Neukölln.

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