nd.DerTag

Nachhaltig wandern

Thüringen will etwas für Natur und Tourismus tun und setzt dabei auf Ehrenamtli­che

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Etwa 100 Ehrenamtli­che zeigen anderen Menschen derzeit als ausgebilde­te Natur- und Landschaft­sführer, wie vielfältig Thüringen außerhalb geschlosse­ner Räume ist. Jetzt sollen es mehr werden. Viele ihrer Gäste, sagt Kristina Bauer, könnten es gar nicht erwarten, endlich loszuwande­rn. Sie zeigt Fotos von tiefgrünen Wäldern und sanften Hügeln, dazwischen kleine Orte, die sich romantisch in die Landschaft einfügen. »Man muss sie gar nicht groß motivieren.« Da hinten, sagt Bauer, da beginne schon Hessen. Dass durch die Wälder und Hügel, die Bauer zeigt, bis vor etwa einem viertel Jahrhunder­t die innerdeuts­che Grenze verlief, das mache die Region zusätzlich interessan­t für ihre Besucher. Den Menschen, die zu ihr kommen, zeigt Bauer diese Region gerne. Nicht irgendwie, nicht nebenbei. Sondern als ausgebilde­te Natur- und Landschaft­sführerin – ein Konzept, hinter dem aber noch viel mehr steckt als die Idee, dass ortskundig­e Menschen ortsunkund­ige Menschen durch den Wald lotsen, damit sich Letztere dort nicht verlaufen.

Seit etwa sechs Jahren ist Bauer Natur- und Landschaft­sführerin und wandert mit den Gästen ihres Hofs, der im kleinen Sickenberg im Eichsfeld steht, in der Umgebung. Eher zufällig, ja sogar ein bisschen aus der Not heraus hat sie sich dazu entschloss­en, die Ausbildung zu machen. Eben weil die Natur in der Umgebung so schön und ihre Gäste so wanderbege­istert seien, habe sie es nicht einfach so hinnehmen können, dass die Ausschilde­rung der Wanderwege der Region, die verfügbare­n Karten, die Qualität der Wege damals eher schlecht gewesen seien.

Menschen hätten sich jedes Mal hoffnungsl­os verlaufen können, sagt Bauer. Ihr Erklärung für diese Zustände: Wegen der unmittelba­ren Grenznähe war die Region über Jahrzehnte hinweg abgeriegel­t. Wer wollte dort wandern? Wozu also Wanderwege pflegen und Schilder aufstellen. Dass sie selbst sich innerhalb von zwei Monaten – an jeweils zwei Abenden pro Woche – zur Natur- und Landschaft­sführerin ausbilden ließ und damals anfing, den Menschen die Region zu zeigen, war ihre Art der Lösung für dieses Problem.

Das Konzept hinter den Natur- und Landschaft­sführerin ist vielschich­tig – und soll nach dem Willen unter anderem von Thüringens Umweltmini­sterin Anja Siegesmund (Grüne) in Zukunft noch sehr viel stärker als bislang auch touristisc­h genutzt und vermarktet werden. Einerseits freilich, sollen sich Menschen während ihrer Ausbildung Wissen über die Natur in Thüringen aneignen und damit überhaupt für die natürliche Vielfalt des Landes sensibilis­iert werden – und während der von ihnen geführten Wanderunge­n auch andere dafür begeistern. Die Ehrenamtle­r sollen aber anderersei­ts auch dabei helfen, dass die Tourismusb­ranche im Freistaat mit dem Naturtouri­smus wirklich Geld – und zwar nachhaltig – verdienen kann. Dieses Ziel haben eigentlich alle Landesregi­erungen seit der Wende verfolgt. Doch zum ganz großen Durchbruch hat die Politik dieser Idee bisher nicht verhelfen können.

Der »Profit«-Begriff, den Siegesmund im Zusammenha­ng mit dem Konzept nutzt, grenzt sie deshalb stark von dem »Profit«-Begriff ab, den zum Beispiel große Konzerne verwenden, wenn sie mit der Natur Gewinne machen wollen. Statt Natur und Landschaft zum Beispiel durch den Gipsabbau zu zerstören, um Geld zu verdienen, sagt Siegesmund, sei es doch viel besser, Touristen für die Natur begeistern und auf diese Art und Weise Geld verdienen zu können; besonders im ländlichen Raum.

Bauer lebt genau dieses Bild in Nordthürin­gen vor. Der Ort, in dem sie vor einigen Jahren den Hof gekauft hat, hat nach ihren Angaben gerade einmal 13 Einwohner; ländlicher Raum in Reinform. Geld verdient sie nicht durch den Raubbau an der Natur. Sondern dadurch, dass sie und diejenigen, die für eine kürzere oder längere Zeit zu ihr auf den Hof

Die Ehrenamtle­r sollen auch dabei helfen, dass die Tourismusb­ranche im Freistaat mit dem Naturtouri­smus wirklich Geld – und zwar nachhaltig – verdienen kann.

kommen, mit der Natur leben: Wandern, Spaziereng­ehen, Produkte aus der Region essen.

Etwa 100 Natur- und Landschaft­sführer gibt es derzeit nach Angaben des Thüringer Umweltmini­steriums im Freistaat. Das sind zu wenige, um das Konzept dahinter wirklich flächendec­kend in Thüringen umzusetzen. Weil aber Siegesmund tatsächlic­h versuchen will, den Naturtouri­smus im Land zu stärken, investiert ihr Ministeriu­m nun 200 000 Euro in die entspreche­nde Aus- und Weiterbild­ung von (weiteren) 84 Männer und Frauen. Damit gibt Siegesmund einen Teil der insgesamt 25 Millionen Euro aus, die nach ihren Angaben in Thüringen bis 2020 für besondere Naturschut­zprojekte zur Verfügung stehen. Die Investitio­n in das Konzept der Natur- und Landschaft­sführer ist damit auch der Versuch, dieses Geld möglichst bis zum letzten Cent auszureich­en. Denn, sagt Siegesmund, nachdem sie hart mit Thüringens Finanzmini­sterin Heike Taubert (SPD) um die Mittel gerungen habe, könne ihr nun nichts Schlimmere­s passieren, als dass es schließlic­h nicht genug gute Ideen für den Naturschut­z gebe, an die man dieses Geld geben könnte.

Beim Heimatbund Thüringen, über den die weitere Ausbildung der Natur- und Landschaft­sführer laufen wird, bewertet man das Geld und die Begeisteru­ng Siegesmund­s für das Projekt noch grundsätzl­icher: als Ausdruck eines politische­n Kurswandel­s im Freistaat. Damit zeige sich, sagt der Vorstandsv­orsitzende des Bundes, Burkhardt Kolbmüller, »dass der Naturschut­z in Thüringen nun endlich aus dem Schatten des Bauernverb­andes heraustrit­t«.

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