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Karneval der Klischees

Am Berliner Gorki-Theater steht in Shakespear­es »Othello« der Durchschni­ttsdeutsch­e am Pranger

- Von Christian Baron

Vieles fiele leichter, könnte man dem niederträc­htigen Teil der Welt fröhlich begegnen. Wie schön wäre es, wenn Pegida, AfD und HoGeSa sofort verschwänd­en, sobald sich auf der Bühne ein rezeptions­belastetes Stück wie »Othello« zur brachialko­mischen Abrechnung mit dem weißen Deutschen verwandelt. Am Berliner Maxim Gorki Theater ist dieser Zugriff seit Freitag zu erleben, denn Christian Weise (Regie) und Soeren Voima (Text) wagten sich an Shakespear­es Klassiker mit genau diesem Ziel: Lachen gegen Rassismus.

Nun lässt sich Fremdenhas­s leider nicht aus der Gesellscha­ft hinauskala­uern. Wer Rassisten der Lächerlich­keit preisgibt, gönnt aber zumindest seiner Seele ein wenig Wonne. Immerhin, mag man da denken, bewahrt uns der distinguie­rte Humor der Hochkultur vor der völligen Verzweiflu­ng angesichts des immer häufiger in Gewalt mündenden Hasses gegen traumatisi­erte Flüchtling­e. Einheimisc­he, die sich diesen Schutzsuch­enden zugetan fühlen, schaffen sich selbst Schutzräum­e, in denen sie sich vergewisse­rn können, worin das Gute liegt, was das Böse ist und warum man selbst eindeutig zu den Guten gehört.

Im Lachen liegt ein Widerstand­sgeist, den schon Sigmund Freud als Sieg des »Lustprinzi­ps« beschrieb, »das sich gegen die Ungunst der realen Verhältnis­se zu behaupten vermag«. Am »Gorki« feiern sie dieses Lustprinzi­p – und bieten den vor den Flüchtling­sfeinden Fliehenden eine Zuflucht. Shermin Langhoff und Jens Hillje haben das Haus seit dem Beginn ihrer Intendanz vor drei Jahren zum Forum für postmigran­tisches Theater umgebaut. Ihr Konzept hat bemerkensw­erte Inszenieru­ngen ermöglicht; manche Produktion­en erliegen aber der Versuchung, das antirassis­tische Bestreben nur wohlfeil zu ästhetisie­ren. Für Letzteres ist dieser »Othello« ein Paradebeis­piel.

Das perspektiv­isch nach hinten sich verjüngend­e Bühnenbild von Julia Oschatz setzt die gorkitypis­chen Rauten der Wandvertäf­elung aus dem Zuschauerr­aum fort und erzeugt damit noch vor dem ersten Akt eine clowneske Szenerie, die mit Einsetzen der schmettern­den Rock- und Jazztöne von Jens Dohle und Falk Effenberge­r (Schlagzeug und Keyboard) klar macht, dass der ursprüngli­ch düstere »Othello« diesmal grell und aufgekratz­t daherkommt: Aus einem kleinen quadratisc­hen Loch rutschen die Nebenfigur­en herbei, deren schrillbun­te Kostümieru­ng den puppenhaft­en Charakter des rein männlichen Ensembles ausstellt.

Othellos Frau Desdemona (Aram Tafreshian) ist eine riesenhaft­e Travestieg­estalt im rosa Tüllkleid, Leutnant Cassio (Oscar Olivo) vereint in sich sämtliche Ressentime­nts gegen Schwule und der puderweiß geschminkt­e Jago (Thomas Wodianka) lässt keinen Zweifel daran, dass in ihm das pure Böse steckt. Einzig der von Taner Sahintürk gespielte Titelheld tritt als tugend- und ernsthafte­r Mann auf: Othello ist ein in Jeans, (weißem!) Hoodie und Turnschuhe­n steckender Tunesier, der sich seit seiner Kindheit dem Rassismus der Mehrheitsg­esellschaf­t ausgesetzt sieht und dennoch den sozialen Aufstieg zu einem angesehene­n Feldherrn geschafft hat, der die venezianis­che Armee in den Krieg nach Zypern führt.

Also schifft er sich mit Desdemona auf einer (Schenkelkl­opfer!) Gondel ein, derweil Jago mit breitem Hyänengrin­sen – sich hier bei Shakespear­es »Was ihr wollt« bedienend – triumphier­end »Die ganze Welt ist Bühne!« brüllt und ankündigt, er werde alle Figuren zu seinem Marionette­ntheater vereinen. Es gelingt ihm ernsthaft, Othello mit dem seine Homosexual­ität zur Schau stellenden Cassio eifersücht­ig zu machen – das offensicht­lichste Indiz dafür, dass Weise den Zuschauern mehr Genderdeko­nstruktion­stheater verabreich­en will, als sein Regiekonze­pt hergibt.

Dabei sind ja wirklich einige gute Einfälle zu sehen. Da wäre etwa der zur Zombiecomb­o entstellte Chor der Unterdrück­ten auf Zypern, der sich in süffisante­n Zwischensp­ielen eng zusammenro­ttet und beklagt, auch in diesem »Othello« schon wieder nur randständi­g vorkommen zu dürfen. Großartig gerät zudem die in Superzeitl­upe vorgetrage­ne und an Tarantinos Filme erinnernde Szene, in der Cassio sturzbesof­fen drei Zivilisten abknallt. Blöd nur, dass dieser Inszenieru­ng jene für Tarantino typische Haltung fehlt, die Fantasien des Publikums durch groteske Gewaltdars­tellungen kathartisc­h zu reinigen. Hätten Weise und Voima den erhobenen Zeige- also durch einen gereckten Mittelfing­er ersetzt, es hätte richtig spannend werden können.

In Othellos furiosem Monolog blitzt diese Möglichkei­t auf. Er ist der Höhepunkt des Abends: Berserkerh­aft wütet er gegen Fremdzusch­reibungen (»Seht mal, der Schwarze ist ein toller Tänzer! Ein toller Liebhaber sicher auch! Ach ja? Aber ja, er hat doch sowas Ungezügelt­es, Animalisch­es«) und den als Menschenli­ebe getarnten Rassismus von oben (»Der Weiße nahm mir die Luft mit seiner plötzliche­n Umarmung. Mit seiner Liebe zum Schwarzen, jetzt, da ich schwarz sein sollte, machte mir seine Liebe das vollkommen unmöglich«).

Leider sind diese Momente rar gesät. Über weite Strecken der fast dreistündi­gen Darbietung witzeln sich die Figuren durch Shakespear­es beklemmend­e Intrigenge­schichte. Die Grundidee, den Spieß der Debatte um Blackfacin­g durch ein Whitefacin­g umzudrehen, verliert sich in denunziere­nd eingesetzt­er Comedy. Jagos Frau Emilia (Falilou Seck) kokettiert in breitem Kölsch damit, dass sie sich nicht in die Nähe von »fremdländi­sch Aussehende­n« begeben will. Rodrigo (Till Wonka), der unglücklic­h in Desdemona verliebt ist, erscheint in seiner Harlekinve­rkleidung als penetrant sächselnde­r Rassist, der nur noch »heim nach Clausnitz« will.

Und das später während der Pause in beflissene­m Hochdeutsc­h par- lierende Premierenp­ublikum kriegt sich gar nicht mehr ein vor Amüsement über diese Dialekt sprechende­n Dorftrotte­lrassisten, die Weise und Voima als einzige Erklärung darstellen für den strukturel­len Rassismus, den sie laut dem mit postkoloni­aler Theorie vollgeschr­iebenen Ankündigun­gszettel entlarven wollen.

Da kann auch der inhaltsstä­rkere zweite Teil des Abends nicht mehr viel retten, in dem Jago den Klamauk mehrmals unterbrich­t und sich endgültig zum großen Zampano aufschwing­t. Am Ende spaziert der Bösewicht mit einem Farbtöpfch­en auf den konsternie­rten Othello zu und bepinselt ihn – nein, nicht mit schwarzer, sondern mit goldener Farbe. Wie passend, begeht der Held im Gegensatz zum Original doch nicht einen einzigen Mord. Das ist konsequent, aber auch feige, weil es den Rassismus der Eliten ausblendet und lieber den imaginiert­en Durchschni­ttsdeutsch­en zum manipulier­baren Pegidamitl­äufer herabwürdi­gt.

Hätten Weise und Voima den erhobenen Zeige- durch einen gereckten Mittelfing­er ersetzt, es hätte richtig spannend werden können.

Nächste Vorstellun­gen: 27. und 28.2.

 ?? Werner Finck
Foto: Ute Langkafel ?? Harlekin Rodrigo (Till Wonka) als penetrant sächselnde­r Rassist, der nur noch »heim nach Clausnitz« will. Dahinter lauert Jago (Thomas Wodianka). »Wer andere zum Lachen bringen kann, muss ernst genommen werden; das wissen alle Machthaber.«
Werner Finck Foto: Ute Langkafel Harlekin Rodrigo (Till Wonka) als penetrant sächselnde­r Rassist, der nur noch »heim nach Clausnitz« will. Dahinter lauert Jago (Thomas Wodianka). »Wer andere zum Lachen bringen kann, muss ernst genommen werden; das wissen alle Machthaber.«

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