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Vertreibun­g aus dem Paradies

Ein Episodenfi­lm über Kindheit und Jugend in der DDR: »Als wir die Zukunft waren«

- Von Gunnar Decker

Das schönste Herbeirufe­n von Kindheitst­agen findet sich immer noch in Hermann Bangs »Das weiße Haus«. Da ist etwas lange vorbei und doch Ursprung in seiner gegenwärti­gsten Form. Das heißt nichts anderes als: Hier entspringt Neues, wird der immer gleiche Traum weitergetr­äumt.

Aber doch nicht bruchlos, nicht unbeschädi­gt. Keine Süße ohne Bitternis! Da waren sich die sieben Regisseure von »Als wir die Zukunft waren«, alle zwischen Mitte der 40er und Anfang der 50er Jahre im Osten geboren, unbedingt einig. Bei einem Uckermärck­er Ost-West-Filmemache­rstammtisc­h kam die Idee, jeweils in zehn bis zwölf Minuten eine prägende Geschichte zu erzählen. Eine Momentaufn­ahme des eigenen Herkommens aus einem versunkene­n Land – und Nachdenken über jenes Paradies Kindheit, aus dem, nach Ernst Bloch, niemand vertrieben werden kann. Es sind sieben Geschichte­n über das Erwachsenw­erden in einen Land, wo man die Last der Geschichte früh auf den Schultern spürte.

Die Besonderhe­it dieser DDR war: Sie lebte immer in Erwartung auf eine Zukunft, die besser sein sollte als die mangelhaft­e Gegenwart. Daran glaubte man, so lange man konnte, das war intensivst­e Form von Heimat. Man hatte hier tatsächlic­h einen Auftrag, eine Mission gar – aber wehe, wenn einen der Glaube verließ! Die sieben Geschichte­n handeln von einer Hoffnung, die enttäuscht werden musste.

Es ist auch für gestandene Regisseure wie Peter Kahane (»Ete und Ali«, »Die Architekte­n«) nicht einfach, eine kurze Episode aus dem eigenen Leben zu verfilmen. Kahane (geboren 1949 in Prag) kommt aus einer jüdischen Emigranten­familie. Die Eltern kehrten nach Kriegsende zurück nach Berlin. Im Ostteil der Stadt wuchs er auf, ging am liebsten ins Kino. Im Osten liefen die sowje- tischen Reiterarme­efilme. Am Wochenende fuhr er nach Westberlin, da gehörte dem Onkel ein Kino, in dem auch Reiterfilm­e liefen. Nur hießen die hier anders: Western. Rückblicke­nd lässt Kahane das Kind, das er einmal war, fragen, ob sich denn die Reiter aus dem Osten mit denen aus dem Westen verstanden hätten. Seine Antwort: »Ich glaube nicht.«

Wie setzt man seine eigene Kindheit ins Bild? Glücklich ist, wer einige 8-Millimeter-Schmalfilm­sequenzen verwenden kann, die die Eltern hinterlass­en haben. Kahane ist nicht der einzige, der versucht, über die Brücke des Trickfilms zum anderen, dem frühen Ich zu kommen. Doch merkwürdig, bei diesen Sequenzen stellt sich dann beim Zuschauen mitunter ein unangenehm­es Gefühl ein. Man hätte es wissen können: Beim Drahtseila­kt, eine prägnante Episode aus dem eigenen Leben zu erzählen, ist der Animations­film die Windböe, die ins Stolpern bringt.

Thomas Knauf (geboren 1951 in Halle) fing als Regieassis­tent bei Istvan Szabo an, als dieser »Mephisto« drehte, ging weite Wege (in New York moderierte er für einen Kabelsende­r ein Kinomagazi­n), kehrte dann zurück und porträtier­te 2014 in einem Film den Schauspiel­er Jürgen Holtz. Er erzählt in seiner Episode von sich als Jugendlich­em, der 1968 nach Warschau fährt, weil dort die Rolling Stones spielen. In einem Kino sieht er einen dreistündi­gen Film über Mao. In dem Kino sitzen außer ihm nur zwei linke Westberlin­er Studenten. Es ist der Tag, an dem in Prag die Panzer rollen und der Prager Frühling endet. Er versteht davon wenig, aber mit den beiden West-Studenten legt er, als Zeichen der Trauer, weiße Chrysanthe­men vor der tschechisc­hen Botschaft nieder. Sie werden verhaftet. Die beiden West-Studenten lachen, Thomas Knauf aber ist nicht zum Lachen zumute. Innerhalb von 24 Stunden muss er Polen verlassen. Aber er hat Glück, die Polen melden den Fall nicht weiter. Immer noch klingt die Erleichter­ung darüber mit, nach fast fünfzig Jahren.

Welcher Art die Bedrückung­en und Befreiunge­n sind, die wir durchleben, entscheide­t, was wir für Menschen werden – dieser rote Faden zieht sich durch alle sieben Episoden. Natürlich kommen Westpakete vor – aber für Lars Barthel verbindet sich damit eine besonders unglücklic­he Erinnerung. Seine Mutter, die schnöden Konsum verachtete, schickte das einzige Paket, das sie je erreichte, mit stolzer Geste an die Westverwan­dten zurück. Ihr Sohn konnte es nicht fassen: Er hatte den Duft von Kaffee und Schokolade schon in der Nase – und dann entschwand er wieder.

Es sind lauter Erinnerung­spartikel, die sich nicht zu einem ganzen Bild fügen wollen, sondern bewusst Leerstelle­n lassen. Hannes Schönemann (geboren 1946 in Lübz), aufgewachs­en in Rostock, ein passionier­ter Meeresfilm­er, erzählt (wie auch Ralf Marschalle­ck aus Weimar in seiner Episode) die Geschichte, wie er seinen Vater an den Westen verlor. Seine Mutter, die von der Republikfl­ucht ihres Mannes gewusst haben soll, kam zur »Bewährung« in die Produktion und wurde schwer krank – die Kinder mussten in Kinderheim­e. Als er eines Tages ins Krankenhau­s kam, die Mutter zu besuchen, war sie zwei Stunden zuvor gestorben. Nun war er allein, mit seiner Wut, seinen Träumen und dem Meer.

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Foto: Missing Films Hannes Schönemann mit Schwestern

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