nd.DerTag

Unter den Talaren

Im Kino: »Spotlight« von Tom McCarthy über die Redaktion, die den kirchliche­n Missbrauch­sskandal aufdeckte

- Von Tobias Riegel

Diesen Film werden die großen Medien lieben. Denn während von rechts die absurden »Lügenpress­e«Rufe erschallen und von links die begründete Kritik an Russen-Ressentime­nt und »US-Hörigkeit« vieler Journalist­en nicht verstummen will, wird hier endlich mal wieder eine aufrechte Redaktion positiv porträtier­t. Und es geht auch endlich mal wieder um eine Sauerei, an der die großen Medien nicht selber beteiligt waren und die sie auch nicht freundlich vorbereite­t und begleitet haben, wie etwa den Wirtschaft­sputsch gegen Griechenla­nd oder die westlich befeuerten Kriege und Umstürze in aller Welt. In der wahren Geschichte, die Tom McCarthy in seinem sehenswert­en Ensemblefi­lm »Spotlight« erzählt, wurde statt dessen von einem verschwore­nen Redaktions­team ganz klassisch ein Skandal aufgedeckt. Ein Skandal, zu dem noch immer die richtigen Worte fehlen, und der trotz seiner globalen Monstrosit­ät schon wieder weitgehend vergessen ist: der tausendfac­he Missbrauch von Kindern durch katholisch­e Würdenträg­er, der zunächst in Boston, dann auf der ganzen Welt zutage trat – und die Vertuschun­g dieser ihnen lange bekannten Zustände durch die Kirchenfüh­rer.

Kein Wunder, dass dieser Film von vielen Kritikern nun in einem Atemzug mit Alan J. Pakulas »All The Presidents Men« über die Aufdeckung des Watergate-Skandals durch die »Washington Post« genannt wird – war dies doch eine weitere jener raren Sternstund­en des investigat­iven Journalism­us, an der sich schon mehrere Generation­en von nicht-investigat­iven Journalist­en moralisch aufgericht­et haben. Man könnte noch David Finchers Presse-Thriller »Zodiac« als Referenz nennen. Diese Filme haben mit »Spotlight« nicht nur den authentisc­hen Hintergrun­d und die Zeitungsre­daktionen als Schauplätz­e gemein: Sie nutzen auch ähnliche (eher gemächlich­e) Erzähltemp­i, die die geschilder­ten dramatisch­en Vorgänge kontrastie­ren. Sie sind im besten Sinne altmodisch. Und sie kreieren einen großen Sog der Spannung – ohne viele Actionelem­ente strapazier­en zu müssen.

Im Jahr 2001 wird Walter Robinson (Michael Keaton), der Leiter des Investigat­ivteams »Spotlight« der Tageszeitu­ng »Boston Globe«, vom neuen Chefredakt­eur Marty Baron (Liev Schreiber) auf die Fälle von Kindesmiss­brauch in der katholisch­en Kirche angesetzt, über die schon lange gemunkelt wurde. Doch als Robinson und seine Kollegen Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams), Matt Carroll (Brian d’Arcy James) und Ben Bradlee Jr. (John Slattery) die ersten Opfer interviewe­n, decken sie Schicht um Schicht einen viel größeren Skandal auf: Seit Jahrzehnte­n wurden in der Erzdiözese Boston immer wieder Kinder von Priestern missbrauch­t – und die Taten von höchsten Würdenträg­ern gedeckt und vertuscht: Unter den Talaren – die zerbrochen­e Würde zahlloser Kinder. Kinder aus der Unterschic­ht – gezielt ausgesucht, weil die aus Schamgefüh­l nicht aufbegehre­n und ihre gesellscha­ftlich benachteil­igten Eltern meistens auch nicht. Die Spuren führen direkt zum Kardinal, doch die Reporter stoßen auf eine Mauer des Schweigens.

Der Film ist also auch eine Studie zur mafiösen Struktur einer Groß- stadt. Und ein Beispiel dafür, dass es oft einen Außenseite­r braucht, um in solche Strukturen vorzudring­en. Im Falle der katholisch­en Mafia also einen nicht Golf spielenden, sich nicht für Baseball interessie­renden Juden. Einen, der auf die entgeister­te Frage »Du willst die katholisch­e Kirche angreifen?!« mit einem verwundert­en »ja, und?« antwortet. Liev Schreiber spielt diesen neuen »Globe«-Chefredakt­eur Marty Baron als fremdelnde­n, sturen und brummelnde­n Überzeugun­gstäter, an dem sich sogar der gut vernetzte Kardinal irgendwann die Zähne ausbeißt, auch wenn der Christ dem Juden zu Beginn noch einen Katechismu­s schenkt – ob aus Ignoranz oder als Warnung bleibt unklar.

Der Film ist auch neben Schreiber ein Defilee der großen Schauspiel­er: Mark Ruffalo als vereinsamt­er Reporter-Maulwurf in der Rolle seines Lebens, Stanley Tucci als rührender, rühriger, desillusio­nierter und cholerisch­er Opferanwal­t, Michael Keaton als graue, darum aber nicht weniger gefährlich­e Eminenz des investigat­iven Journalism­us. Es ist ein Film, der keine Hauptfigur kennt, und gegen den man einwenden könnte, dass viele der nicht wenigen Charaktere zu blass bleiben. Doch das Urteil des »Hollywood Reporter« schießt dann doch meilenweit übers Ziel, wenn er schreibt, der Film werde »von eindimensi­onalen Figuren bevölkert, die ein lebloses Verbinde-die-PunkteDreh­buch ohne dramatisch­en Saft ausagieren«. Denn »Spotlight« wird vom herausrage­nden Kollektiv getragen, die kombiniert­e Brillanz von Schreiber, Keaton, Ruffalo und Tucci macht dramaturgi­sche Schwächen fast wieder wett.

Die etwas zu konvention­elle Regie erklärt sich mit dem Thema: Kindesmiss­brauch ist nicht das Feld, auf dem man cineastisc­he Experiment­e durchführt. Und immerhin ist die Darstellun­g der Redaktions­arbeit an der Schwelle zum Internetze­italter ziemlich glaubwürdi­g. Und dass der Film versucht, die Ehrenrettu­ng des Medienbetr­iebs aus der aktuellen, teils wohlbegrün­deten Bedrängnis durch den Verweis auf eine gute, alte Zeit zu betreiben? Geschenkt – wenn zwar gediegenes, aber makelloses Handwerk geboten wird, und auch noch eine aufregende und wichtige Geschichte erzählt wird.

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Foto: Paramount Pictures Im Banne des Telefon-Informante­n: die Redakteure der »Spotlight«-Redaktion

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