Staatsdiener als Sündenbock
DGB-Vize mahnt Erfassung von Gewalttaten gegen Mitarbeiter im öffentlichen Dienst an
Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sehen sich zunehmend Gewalttätigkeiten von Menschen ausgesetzt, die ihre Kunden sind. Das Problem war Thema einer Tagung am Mittwoch in Berlin. Betroffen sind in erster Linie Polizeibeamte, aber auch Mitarbeiter der Feuerwehr, der Jobcenter und Bürgerämter, Eisenbahner, Busfahrer oder Lehrer kennen Beispiele von Gewalt. Die Palette reicht von Beschimpfungen und Bedrohungen bis hin zu körperlichen Attacken, teilweise sogar mit Waffen. Vorfälle dieser Art nehmen zu – was sie zum Thema einer Tagung machte, die der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Hans-Böckler-Stiftung am Mittwoch in der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin veranstalteten.
Statistisch erfasst sind bislang nur angezeigte Straftaten gegen Polizisten, die zwischen 2011 und 2014 um sieben Prozent auf 62 770 Fälle zunahmen. Die stellvertretende DGBVorsitzende Elke Hannack mahnte daher eine möglichst lückenlose Erfassung der Übergriffe an, auch um eine Grundlage für die Entwicklung von Gegenstrategien zu haben. Zudem müssten Bund und Länder als Dienstherren und Gesetzgeber ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten umfassend wahrnehmen. Grundlage eines funktionsfähigen öffentlichen Dienstes seien vor allem eine angemessene Besoldung und eine bedarfsgerechte Personalausstattung, aber auch die umfassende Betreuung von Gewaltopfern sowie konkrete Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten
Der Kriminologe und frühere niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer warnte hingegen vor »Zerrbildern«. Anders als in der öffentlichen Wahrnehmung seien Gewaltdelikte deutlich rückläufig, auch in der Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Eine wichtige Rolle bei Übergriffen auf Polizisten spielten Einsätze bei häuslicher Gewalt, also einem Rechtsgebiet, das erst seit einigen Jahren überhaupt konsequente Eingriffsmöglichkeiten, wie zum Beispiel den Verweis eines prügelnden Ehemannes aus der Wohnung, er- mögliche. Auch hier spiele eine gute Ausbildung der Beamten in Bezug auf Deeskalationsstrategien eine große Rolle. Viele Polizisten litten aber permanent unter Stress, vor allem wegen der vielen Überstunden. Pfeiffer ver- wies auch auf die sozialen Ursachen der Aggressionen gegen Polizisten und andere Staatsbedienstete. Die Kluft zwischen Arm und Reich wachse beständig, immer mehr Menschen fühlten sich bereits in ihrer Jugend weitgehend »abgehängt«. Gerade die Integration junger Männer aus »MachoKulturen« sei eine »Herkulesaufgabe«, für die alle zur Verfügung stehenden Ressourcen mobilisiert werden müssten, vor allem im Bildungswesen.
Einen Widerspruch herausfordernden Auftritt lieferte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow. Er stelle sich wie viele Kollegen die Frage, ob die der Polizei verordnete »Bürgerzuwendung und defensive Kommunikationsstrategie der richtige Weg« sei oder vielleicht Gewalttäter eher ermutige. Polizisten müssten »klare An- sagen machen« und einen »starken Staat repräsentieren«. Malchow forderte neben besserer Ausrüstung und mehr Stellen besondere Gesetze, um Übergriffe gegen Amtsträger mit angemessenen Strafen ahnden zu können. Dabei müsse »nicht erst der Schlag, sondern schon die erhobene Hand« als Straftat gewertet werden. Die Frage nach regelmäßiger übermäßiger Polizeigewalt zum Beispiel gegen friedliche Demonstranten wies er brüsk zurück. Dies sei »hier nicht das Thema«. Außerdem handele es sich um »Einzelfälle«. Auch der Vorwurf der »Kameraderie« innerhalb der Polizei zur Vertuschung solcher Vorkommnisse sei aus der Luft gegriffen. Für eine offene, sachliche Diskussion über Gewalt in der Gesellschaft und speziell gegen Angehörige des öffentlichen Dienstes sind derartige Statements wohl wenig hilfreich.
Die Palette reicht von Beschimpfungen und Bedrohungen bis hin zu körperlichen Attacken, sogar mit Waffen.