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Johannes und der Strichcode

- Martin Leidenfros­t besuchte moldawisch­e Großmütter, die mit Gott gegen den biometrisc­hen Ausweis kämpfen österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

Eigentlich wollte ich mich mit jenen moldawisch­en Omas verbrüdern. Ich hörte vor Jahren von ihnen, als mir in der nächtliche­n moldawisch­en Hauptstadt ein Zeltlager vor einer Kirche auffiel. Meine moldawisch­en Freunde erklärten kichernd: »Da drin schlafen Omas, die gegen die satanische­n Nummern in den neuen Pässen protestier­en.« Später hörte ich von einem Teilsieg der christlich-orthodoxen Gläubigen, der Staat gewährte ihnen eine Ausnahme, sie wurden von der neuen 13-stelligen Identifizi­erungsnumm­er befreit. Ohne die Omas zu kennen, sah ich sie spontan als Heldinnen an.

Neugierig klopfte ich an ihrer farblosen Baracke im Zentrum von Kischinau. In der dem Moskauer Patriarcha­t unterstehe­nden Gemeinde »Toaca« sind auch ein paar Jüngere aktiv, doch öffnete mir ein moldawisch­es Großmütter­chen wie aus dem Bilderbuch. Sie ließ mich nur ein, weil es winterlich kalt war, verwies mich aber an den Popen. Sie gab mir Exemplare ihrer Zeitschrif­t auf Rumänisch und auf Russisch. Die Tendenz der Artikel war eher voraufklär­erisch; Juden, Papisten, Freimaurer und Amerikaner kamen ganz schlecht weg. Die braunhaari­g-braunäugig­e Alte war bei den Protesten vorneweg marschiert, langsam löste sich ihre Zunge doch.

Ich fragte sie, wie sie ohne einen EU- und US-konformen Pass reisen kann. »Ich kann nirgendwoh­in reisen, aber wozu auch« – sie wies auf die Ikonenwand – »wenn es hier so schön ist!« Ihre Kinder und Enkel hatten sich solche biometrisc­he Pässe ausstellen lassen. »Gut ist das nicht«, sagte sie, »aber die kommen auch noch drauf«. Da ich schon mal da war, ließ ich sie meinen österreich­ischen Pass anschauen. Schweigend versenkte sie sich in das vollgestem- pelte Dokument, strich misstrauis­ch über alte Visa. Sie überprüfte, ob mein Pass keinen Strichcode hatte. Sie überprüfte, ob mein Pass keine 13stellige Nummer aufwies. Sie überprüfte, ob in meinen Pass kein Chip eingeschwe­ißt war, mit dem ich weltweit zu orten wäre. Patriotisc­he Gefühle schwollen in meiner Brust – mein Pass ist clean.

Nach endlosem Zögern kramte sie unter dem Pult die Broschüre hervor, welche die Ablehnung solcher IDNummern aus der Offenbarun­g des Johannes begründete. Die Broschüre musste mehrmals eingeweich­t worden sein, vielleicht bei der 40 Tage

Martin Leidenfros­t, und 1200 Kilometer langen Wallfahrt der Omas entlang der moldawisch­en Grenze. Persönlich glaube ich, man muss nicht religiös sein, um sich vor der lebenslang­en Verwaltung eines Menschen mit Hilfe einer Nummer zu gruseln. Auch die Broschüre warnte vor Entfremdun­g, Vertierung und Verdinglic­hung des Menschen. Zitiert wurden Bibelstell­en, laut denen die Namen der Geretteten »im Himmel geschriebe­n sind«. Der Verlust des Namens be- deute »die Herrschaft des Tieres, unter der sich die Menschen in eine entpersönl­ichte kybernetis­ierte Biomasse verwandeln«. So hatte ich das noch nicht gesehen.

Bei all meiner Sympathie war mit der Oma nicht gut Kirschen essen. Die historisch­e Begegnung zwischen Patriarch Kyrill und Papst Franziskus auf dem Flughafen von Havanna hatte wenig bei ihr ausgelöst, sie fand den Katholizis­mus richtig scheiße. Jedes Mal, wenn ich den Orthodoxen ein Kompliment machte, blickte die Frau ihren braunen Mantel runter und wiegte ungläubig den Kopf. Sie warf mir den gregoriani­schen Kalender und das katholisch­e Kreuzzeich­en vor, »das ist doch falsch«. Als ich die Schönheit ihres Kruzifixes lobte, zeigte sie auf die nebeneinan­der angenagelt­en Füße: »Und warum stellen ihn die Katholiken mit überkreuzt­en Füßen dar? So war das doch gar nicht!« Ich hätte einwenden sollen, dass Velazquez im Barock ohnehin zum Viernagelt­ypus zurückgeke­hrt war; leider wusste ich das noch nicht. Ich fragte sie, welches Land ihrem christlich-orthodoxen Ideal am nächsten komme: »Russland!«

Einmal fragte ich sie, was sie von den Zeltlagern und Massendemo­s hielt, mit denen seit Monaten gegen das verkommene prowestlic­he Regime Moldawiens protestier­t wird. Zu meiner Überraschu­ng wiegte sie wieder skeptisch den Kopf. »Die haben dem Volk eine Milliarde Dollar gestohlen«, rief ich, »das stört Sie nicht?« Sie zuckte mit den Schultern: »Die werden sich selbst verantwort­en müssen.« Und fügte hinzu: »Wenn die Menschen hier reicher wären, würden sie dann nicht weniger beten?« Als ich ging, wünschte ich ihr ehrlich alles Gute. Von ein paar Kleinigkei­ten abgesehen, finde ich die Omas ohne Strichcode cool.

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