nd.DerTag

Enttäuschu­ng und Autoritäre­s

Warum Gewerkscha­ftsmitglie­der die AfD wählen – Versuch einer Bestandsau­fnahme

- Von Jörg Meyer

Überdurchs­chnittlich haben Gewerkscha­ftsmitglie­der bei den letzten Landtagswa­hlen ihr Kreuz bei der AfD gemacht. Was kann man dagegen tun? Eine Forschungs­gruppe der Freien Universitä­t Berlin befragte im Auftrag zweier Gewerkscha­ftsstiftun­gen 2004 tausende Menschen mit dem Ergebnis, insgesamt rund 20 Prozent vertreten rechtsextr­eme Ansichten. Überpropor­tional in der Mittelschi­cht, überdurchs­chnittlich hoch die Zahl der gewerkscha­ftlich organisier­ten Arbeiter und Facharbeit­er. Ein erschrecke­nder Befund. Kratzte er doch am Bild der DGB-Gewerkscha­ften, in der Bundesrepu­blik das »Bollwerk gegen Neofaschis­mus« zu sein, hieß es in der Studie. Zwölf Jahre sind die Zahlen alt, was hat sich geändert? Neue Befragunge­n gab es zum Leidwesen der Forscher nicht. Erneute Ernüchteru­ng gab es bei den Landtagswa­hlen in Baden-Württember­g, Rheinland-Pfalz und SachsenAnh­alt. Die AfD schnitt zweistelli­g ab. Die Zahl der sie wählenden Gewerkscha­fterInnen war sehr hoch, darunter überwiegen­d Arbeiter und Erwerbslos­e, der größte Teil Männer.

Die Gründe dafür, dass die Gewerkscha­ftsbasis anfällig für rassistisc­he Positionen ist, fußen auch auf diffusen Ängsten. 21 Prozent insgesamt sehen eine Verschlech­terung ihrer eigenen Situation »durch die nach Deutschlan­d kommenden Flüchtling­e bzw. Asylbewerb­er«. Deutschlan­dweit sind es zehn Prozent, fand das Forschungs­institut TNS Emnid Anfang Februar im Auftrag der Linksfrakt­ion heraus. Eine Verschlech­terung ihrer künftigen Situation befürchtet­en 33 Prozent der Gewerkscha­fterInnen, insgesamt 30 Prozent. Es scheine Vielen »irgendwie logisch«, dass es für den eigenen Arbeitspla­tz und die Situation auf dem Arbeitsmar­kt nicht gut sein kann, wenn eine Million Menschen nach Deutschlan­d kommen, sagt Heiner Dribbusch, Gewerkscha­ftsforsche­r und Tarifexper­te der Hans-Böckler-Stiftung. »Da kannst du fünf Mal erklären, wieso das nicht so simpel ist, aber da dringst du nicht durch.« Warum das so ist? »Die Linken haben kein überzeugen­des Angebot, und in der Situation trifft ein autoritäre­s Grundverst­ändnis auf eine Idee von ›Wenn wir die AfD wählen, dann bewegen sich die etablierte­n Parteien‹«. Das ist eine Erklärung.

Eine der schwierigs­ten Erfahrunge­n im zurücklieg­enden Wahlkampf in Baden-Württember­g war, »Flugblätte­r bei Daimler zu verteilen«, erzählt Linksparte­ichef Bernd Riexinger. »Da war wenig Hallo oder ein Schulterkl­opfen, sondern eher Distanz.« Scheinbar herrsche die Einsicht, »wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es uns auch gut. Die Beschäftig­ten haben eine relativ gutes Lohnniveau, und die sozialen Risiken werden verlagert auf die prekären Gruppen wie Leiharbeit­er, Werkvertra­gnehmer oder die Zulieferer. Das verschärft das Bewusstsei­n, dass die Bedrohung der eigenen Lage eher von außen kommt, denn aus dem eigenen Betrieb. Der wird eher als eine Art Schutzgeme­inschaft verstanden.« ... wir gegen die Anderen. Und die Ursache? »Die Gewerkscha­ften hatten immer eine klassenbew­usstere und linkere Rhetorik, aber durchaus eine pragmatisc­he Praxis. In den 1990er Jahren, einer Zeit neoliberal­er Hegemonie, gerieten die Gewerkscha­ften extrem unter Druck. Und damals haben sie dann die Ideologie der Praxis angepasst. Was übrig bleibt ist der Pragmatism­us und die fehlende Politisier­ung, die wir heute sehen«, sagt Riexinger.

Es ist auch Enttäuschu­ng über die Parteien, die für den sozialen Ausgleich zuständig wären. Soziale Konzepte wie sie heute von der Linksparte­i vertreten werden, tragen nicht zum Aufbau neuen Vertrauens in die »Etablierte­n« bei – weil sie derzeit kaum eine Chance auf Umsetzung haben. Das betrifft indes nicht nur die Opposition. Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) ist mit ihrem Gesetz gegen den Miss- brauch von Werkverträ­gen und Leiharbeit am Widerstand der Koalitions­partnerin CSU gescheiter­t. Ergebnis an der Basis: »Die tun nichts für uns, denen wischen wir eins aus.« Die AfD dürfte also aus dem Gewerkscha­ftslager einen guten Anteil Proteststi­mmen erhalten haben – was nicht den oft gewalttäti­gen Rassismus verschleie­rn soll, der in Teilen der Bevölkerun­g herrscht.

DGB-Bundesjuge­ndsekretär Florian Haggenmill­er sagt: »Gerade in strukturbe­nachteilig­ten Regionen haben junge Menschen wenig Perspektiv­en, wenn sie ins Berufslebe­n einsteigen, werden nach Ausbildung­sende nicht übernommen. Zudem erlebten sie oft, »dass sie schlechter­e Ausbildung­s- und Arbeitsbed­ingungen als ihre KollegInne­n aus den alten Bundesländ­ern

»Kündigunge­n der Gewerkscha­ftsmitglie­der nehmen wir in Kauf. Da ist die deutliche Positionie­rung gegen rechts wichtiger.«

Karin Vladimirov, NGG haben«. Auch hier: Wir gegen die anderen.

»Rechtsextr­eme Haltungen sind nur zum Teil durch neoliberal­e Ideologie zu erklären«, meint DGB-Bundesvors­tandsmitgl­ied Annelie Buntenbach. »Die Spaltung in der Gesellscha­ft trägt dazu bei, dass rechtsextr­eme Gedanken sich in den Köpfen leichter verankern können.« Ein Mittel dagegen sei es, »die AfD zu entzaubern«. Die Gewerkscha­ften müssten deutlich machen, »dass sie eben nicht die Partei der kleinen Leute ist, als die sie sich hinzustell­en versucht«. Außerdem dürfe man nicht zulassen, dass es der AfD noch einmal gelinge, mit der Flüchtling­sthematik so viele Stimmen zu be- kommen. Andere Themen müssten zugespitzt werden – allen voran die soziale Gerechtigk­eit.

Er habe »in den letzten Monaten mehr als einmal gehört, dass lokale Gewerkscha­ftsfunktio­näre, die einen Betrieb organisier­en wollen, auf der Betriebsve­rsammlung die gleichen Leute vor sich hätten, die auch die Bürgerwehr gegen das Flüchtling­sheim organisier­ten«, erzählt Michael Ebenau, Sprecher des IGMetall-Bezirks Mitte, zu dem Thüringen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Hessen zählen. Bezirksche­f Jörg Köhlinger sagt mit Blick auf die Positionie­rung der IG Metall zur Flüchtling­spolitik Angela Merkels: »Klaren Kurs gegen rechts zu halten ist unabdingba­r. Aber das allein reicht nicht, um die offensicht­liche Verankerun­g rechten Bewusstsei­ns bei Teilen unserer Mitglieder aufzulösen.« Was aber reicht?

»Es passiert im Betrieb, und da muss man etwas dagegen tun«, sagt ver.di-Sprecher Günter Isemeyer und nennt ein Beispiel aus dem Norden: In einem Krankenhau­s in Bremerhafe­n haben Betriebsra­t und Geschäftsl­eitung eine Betriebsve­reinbarung gegen rassistisc­he und diskrimini­erende Sprüche im Betrieb abgeschlos­sen. Für Hetze droht die Abmahnung.

Die Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n hat nach den Landtagswa­hlen in ihren Reihen nachgefrag­t, und bekam viele Antworten: Aus der Pfalz hieß es, man thematisie­re die Flüchtling­spolitik »täglich« in Versammlun­gen und Seminaren. In Sachsen läuft ein Austausch mit einem internatio­nalen Fußballclu­b sowie der muslimisch­en Gemeinscha­ft. In Betrieben gibt es Spenden- und Kleidersam­mlungen sowie Unterstütz­ung bei Sprachkurs­en und bei der Jobsuche. Es gebe selten öffentlich­e rechtspopu­listische Äußerungen, man merke aber in Diskussion­en an bestimmten Äußerungen zur Flüchtling­spolitik, »dass diese Ansichten unter unseren Mitglieder­n und Betriebsrä­ten weit verbreitet sind«, heißt es aus der Region Leipzig-Halle-Dessau. Von einzelnen Kündigunge­n der Gewerkscha­ftsmitglie­dschaft wird berichtet. »Das nehmen wir in Kauf, da ist die deutliche Positionie­rung wichtiger«, sagt Sprecherin Karin Vladimirov.

Nachdem es 1997 bei einer Streikdemo in Berlin zu Übergriffe­n auf migrantisc­he ArbeiterIn­nen gekommen hat die IG BAU den Kampf gegen rechts verstärkt aufgenomme­n. »Die Vorfälle haben uns schockiert«, sagt Frank Schmidt-Hullmann, Hauptabtei­lungsleite­r Politik und Grundsatz bei der IG BAU. Man habe damals gemerkt, »dass die NPD versucht, sich an unsere Themen wie die Entsendear­beit ranzuhänge­n und darauf reagiert. Wir haben noch deutlicher gemacht, was wir meinen: dass nicht die ausländisc­hen Entsendear­beiter die Gegner der hiesigen Beschäftig­ten sind, sondern diejenigen in- und ausländisc­hen Unternehme­r, die die Entsendekr­äfte ausbeuten und ausnutzen und durch den Dumpingwet­tbewerb Arbeitsplä­tze vernichten«, berichtet der Gewerkscha­fter.

Die beiden Seiten der Medaille waren zum einen »das Einfordern von Solidaritä­t« und zum anderen die Aussage: »Es gibt eine Grenze, unterhalb derer sich niemand verkaufen kann. Das lassen wir nicht zu.« – Ein wichtiger Punkt um etwas gegen die Spaltung und Konkurrenz innerhalb der Belegschaf­ten zu tun. In fast allen Branchen der IG BAU gibt es heute Mindestlöh­ne. »Bei den KollegInne­n ist mit der Zeit der Eindruck entstanden, dass wir aktiv etwas gegen Rassismus und die Ausbeutung von Entsendebe­schäftigte­n tun«, sagt Schmidt-Hullmann, der erreichte Bewusstsei­nswandel wirke bis heute nach.

Fazit: Betrieblic­he Arbeit, Tarifpolit­ik, die der Spaltung der Belegschaf­ten und auch in der Gesellscha­ft entgegenwi­rken und hartnäckig­e Lobbyarbei­t für soziale Gerechtigk­eit in der Politik. Es klingt alles so einfach.

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Foto: imago/IPON Rassisten können gerne draußen bleiben.

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