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Abgeschirm­ter Hochglanzb­esuch

Zehntausen­de Argentinie­r protestier­ten gegen Anwesenhei­t von US-Präsident Obama

- Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

Erstmals seit Jahren besuchte ein US-Staatschef Argentinie­n. Zahlreiche Demonstran­ten kritisiert­en: Die USA hätten ihre Verstricku­ng in den Militärput­sch des Landes nie aufgearbei­tet. Argentinie­n gedenkt des 40. Jahrestags des Militärput­sches und seiner Opfer. Unter dem Motto »Nunca mas« (Nie wieder) waren Zehntausen­de am Donnerstag (Ortszeit) landesweit auf die Straßen gegangen. In der Hauptstadt Buenos Aires fanden die Märsche vor dem Präsidente­npalast statt. Mit der Forderung »Obama fuera de Argentina« (Obama raus aus Argentinie­n) wandte sich ein Teil der Demonstran­ten gegen die Anwesenhei­t von US-Präsident Barack Obama.

Dessen Auftritt im Parque de la Memoria zusammen mit Argentinie­ns Präsident Mauricio Macri war mit Spannung erwartet worden. Das Ergebnis fiel eher nüchtern aus. Außer ausgewählt­en Medien war niemandem Zugang gewährt worden, die sonstige Öffentlich­keit war weiträumig ausgesperr­t. In seiner kurzen Ansprache lobte Obama den Mut der Opfer und deren Angehörige­n für den Einsatz für die Menschenre­chte. Kein Wort verlor Obama über die Verstricku­ng der USA in den Putsch. Stattdesse­n hob er die Bemühungen der US-Botschaft hervor, bei der Suche nach den Verschwund­enen geholfen zu haben. Am Ende wiederholt­e Obama die schon vor Tagen gemachte Ankündigun­g von der erstmalige­n Offenlegun­g von Unterlagen aus den Archiven der Militärs und Geheimdien­ste. Erst kürzlich hatte Obama auf die Frage eines Journalist­en über die Rolle der USA bei den Militärput­schs der 70er Jahre ausweichen­d geantworte­t. Es habe in der US-Politik glorreiche und weniger produktive Momente gegeben. In den 70er Jahren hätten sich die USA für die Menschenre­chte, aber auch für den Kampf gegen den Kommunismu­s eingesetzt. Man sei in den letzten Jahren sehr selbstkrit­isch gewesen.

Am 24. März 1976 putschte das Militär in Argentinie­n. Als oberster Chef der Streitkräf­te hatte Jorge Rafael Videla zusammen mit Admiral Emilio Massera und General Orlando Agosti die damalige Präsidenti­n Isabel Perón abgesetzt. Als De-factoPräsi­dent löste Videla die Parteien auf und schaffte das Parlament ab. Was folgte, war eine Herrschaft, unter der politische Gegner gnadenlos verfolgt und eine radikal neoliberal­e Wirtschaft­spolitik eingeführt wurde. Menschenre­chtsgruppe­n schätzen, dass in über 300 geheimen Gefangenen­lagern bis zum Ende der Diktatur 1983 rund 30 000 Menschen ermordet wurden.

Zu Obamas Auftritt waren auch Menschenre­chtsorgani­sationen eingeladen, aber eine nach der anderen sagte ihr Erscheinen ab. In einem offenen Brief nannten Opfer der Diktatur und deren Familienan­gehörige Obamas Auftritt »eine Beleidigun­g«. Alle US-Regierunge­n »haben die Militärs unserer Länder in der bekannten Militäraka­demie ›School of the Americas‹ ausgebilde­t. Dort wurden sie hingeschic­kt, um in den Fächern Folter, Infiltrier­en und Verschwind­enlassen ihr ›Diplom‹ zu machen«, heißt es in dem Schreiben.

Als eine der ersten hatte Hebe de Bonafini, Vorsitzend­e einer Gruppe von Müttern, deren Kinder in der Diktator verschwund­en waren, das Treffen mit dem US-Präsidente­n abgelehnt. Obamas Ankündigun­g, Dokumente freizugebe­n, kommentier­te sie: »Wir wissen doch, was passiert ist, vierzig Jahre später macht das keinen Sinn.« Auch weitere Nichtregie­rungsorgan­isationen waren skeptisch. Schon einmal habe die US-Regierung »etwas aus den Archiven geschickt, aber das waren Seiten mit geschwärzt­en Namen. Ich bin sicher, dass diesmal das Gleiche passieren wird«, so die Aktivistin Nora Morales de Cortiñas.

Der argentinis­che Präsident Macri scheint derweil das Erinnern an die Diktatur verändern zu wollen. So hat er den Direktor des Nationalen Erinnerung­sarchivs, Horacio Pietragall­a, entlassen. Pietragall­a war das Kind einer politische­n Gefangenen. Zugleich sollen auf dem Gelände der Techniksch­ule der Marine (ESMA), dem größten ehemaligen Folterzent­rum des Landes, zahlreiche Organisati­onen angesiedel­t werden, die nichts mit dem Ursprung zu tun haben. Für Macri selbst ist der Besuch Obamas ein Hochglanze­rlebnis. Zwar trat bei dem Argentinie­r neben dem medienerpr­obten US-Amerikaner deutlicher als sonst seine hölzerne Haltung und verkrampft­e Anspannung zu Tage. Bleiben werden am Ende aber die offizielle­n Fotos.

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Foto: AFP/Eitan Abramovich Marsch in Buenos Aires: Banner der »Verschwund­enen«

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