Meinungsorientiert und wertend
Studie kritisiert Berichterstattung zu Griechenland
Deutsche Medien haben zu regierungsnah und wertend über die Staatsschuldenkrise in Griechenland berichtet. Das zeigt jetzt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Was für Gründe kann es haben, wenn nur 35 Prozent der befragten Personen Vertrauen in die Medienberichte zu einem bestimmten Thema haben? Im Mai 2015 führte das Meinungsforschungsinstitut »infratest dimap« im Auftrag der Wochenzeitung »Die Zeit« eine Umfrage durch, bei der herauskam, 63 Prozent der Befragten haben wenig oder kein Vertrauen in die Berichte deutscher Medien zur griechischen Staatsschuldenkrise.
Kim Otto, Redakteur beim ARD-Politmagazin »Monitor« und Professor für Wirtschaftsjournalismus an der Universität Würzburg, war selbst »erschrocken über die Berichterstattung«. Zusammen mit Andreas Köhler verfasste er im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung die Studie »Die Berichterstattung deutscher Medien in der griechischen Staatsschuldenkrise«, am Mittwoch wurde sie in Berlin vorgestellt. Die Studie umfasst den Zeitraum von der Formierung der neuen griechischen Regierung unter Alexis Tsipras am 28. Januar 2015 bis zum Auslaufen der zweiten Runde der Notkredite am 30. Juni des Jahres. Insgesamt wurden 1442 Artikel der Tageszeitungen »Die Welt«, »Bild«, »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, »Süddeutsche Zeitung« und »Die Tageszeitung« sowie der Onlineplattform »Spiegel Online« ausgewertet.
Das Ergebnis: »Es zeigt sich, dass die Berichterstattung zur griechischen Staatsschuldenkrise sehr stark regierungsgeprägt, mehrheitlich meinungsorientiert und wertend ist. Dabei wird die deutsche Regierung in den Artikeln viel weniger gewertet als die griechische. Es werden erheblich häufiger Aussagen über die griechische Regierung gemacht, als dass diese zu Wort kommt.« In 26 Prozent der untersuchten Artikel gingen Meinungen und Wertungen direkt von Journalisten aus. »Insgesamt erfüllt die Berichterstattung nicht die erforderlichen Qualitätsstandards.«
Die Studie kritisiert vor allem, dass die Diskussion über unterschiedliche Reformen der griechischen Regierung nur unzureichend berichtet wurde. In 558 der 1442 untersuchten Artikel wurden kein einziger konkreter Reformvorschlag aufgegriffen; stattdessen befassten sich die deutschen Medien vor allem (in 47 Prozent der Artikel) mit allgemeinen Hilfsprogramme, vor allem mit dem Auslaufen der Raten. Auch wurde dem Thema Weltkriegsreparationen ausgiebig Platz eingeräumt: 74 Artikel beschäftigten sich mit griechischen Reparationsforderungen, mehr Artikel als zu vielen der zentralen Reformvorhaben.
Zudem stellten die Medien die Krise als einen bi-nationalen Konflikt zwischen der griechischen und der deutschen Regierung dar, personifiziert zunächst im Konflikt der beiden Finanzminister Wolfgang Schäuble und Yanis Varoufakis, später der Regierungschefs Angela Merkel und Ale- xis Tsipras. Europäische Akteure wie die Europäische Kommission, das EUParlament und zentrale Organisationen wie die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds waren entgegen ihrer Rolle stark unterrepräsentiert.
Vor allem bei den Springer-Zeitungen »Bild« und »Welt« ließen die Redakteure ihre eigenen Meinungen mit einfließen, bei »Bild« sogar zu einhundert Prozent negativ. Während über die griechische Regierung mehrheitlich negativ berichtet wurde, wurde die deutsche Regierung viel weniger bewertet. Am Ausgewogensten berichteten die »taz« und die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die beiden Seiten Platz einräumten, und die sowohl die griechische wie auch die deutsche Regierung kritisierten.
Welchen Einfluss die Berichterstattung auf die Bevölkerung hatte, lässt sich am Meinungsumschwung zur Frage nach dem Verbleib Griechenlands im Euro ablesen. Waren im Januar noch 55 Prozent der befragten Personen dafür, sank dieser Wert bis Mai auf 41 Prozent. Im genau gleichen Zeitraum sank auch das Vertrauen in die deutschen Medien.