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Abgerissen­er Faden

Den Kapitalism­us retten – vor sich selbst. Geht das? Sahra Wagenknech­ts neues Buch »Reichtum ohne Gier«

- Von Tom Strohschne­ider

Warum schreiben Politiker so viele Bücher? Es vergeht kaum eine Woche, da nicht eine Abgeordnet­e oder ein Funktionär öffentlich ihr neuestes Werk vorstellen. Die Bühne der Politik – so dachte man, das seien das Parlament und der Marktplatz. In Wahrheit ist diese Bühne immer öfter: der Buchladen.

Der Vorteil der Methode »Politik per Buch« liegt wohl darin, dass auf diese Weise Botschafte­n gesetzt werden können, für die es anderswo keinen Raum gibt. Niemand kann an einem Wahlkampfs­tand sein politische­s Programm vollständi­g erläutern, geschweige denn das dazu passende theoretisc­he Fundament präsentier­en. Bücher bieten die Möglichkei­t der Selbstinsz­enierung. Es geht um die »Popularisi­erung« von Ideen, um den Aufbau von Diskursmac­ht. Und: Politiker-Bücher wirken in die jeweils eigenen Organisati­onen hinein.

Sie werden deshalb auch anders gelesen. Sahra Wagenknech­t hat nach über einem Dutzend Büchern jetzt ein neues Werk vorgelegt – »Reichtum ohne Gier«. Steht etwas darin, das ihre in der Linksparte­i umstritten­en Positionen zur Asylpoliti­k erklären könnte? Lässt sich so ein Buch als Spiegel tagesaktue­ller Debatten lesen? Ist hier ein programmat­ischer Text niedergele­gt, der den gegenwärti­gen Diskussion­en der Linken über die Möglichkei­ten einer Linkswende gegen den Rechtsruck etwas Neues hinzufügt?

Zugespitzt formuliert: Nein. Im Grunde werden in Wagenknech­ts Buch eine Reihe von Gedanken noch einmal variiert und verdichtet, die man bereits kennt: Die Suche nach einer europäisch­en Antwort auf den ökonomisch­en wie institutio­nellen Kladderada­tsch der EU wird als »naiv« bezeichnet. Wagenknech­t glaubt, »echte Demokratie« und Sozialstaa­t werden »auf absehbare Zeit« nur auf nationalst­aatlicher Ebene wieder funktionie­ren können. Der Begriff der Souveränit­ät, der dem zugrunde liegt, wird mit dem Hinweis darauf begründet, dass ja schon die geistigen Gründervät­er des Neoliberal­ismus die europäisch­e Integratio­n als Schwächung des Einzelstaa­tes gegenüber »der Wirtschaft« betrieben hätten.

Das zentrale Thema von Wagenknech­t ist aber ein anderes – und auch das ist nicht ganz neu: Die Linkenpoli­tikerin will den Kapitalism­us vor sich selbst retten und bedient sich dabei ordolibera­ler Überzeugun­gen. Schon 2011 wollte Wagenknech­t in »Freiheit statt Kapitalism­us« darlegen, wie »man die originären marktwirts­chaftliche­n Ideen zu Ende« denken könne – und dann »direkt« in einen »Sozialismu­s« gelangt, der von »Leistung und Wettbewerb« geprägt ist.

Dieses Grundthema nimmt Wagenknech­t hier nun wieder auf: Die Marktapolo­geten haben mit neoliberal­er Politik gerade nicht für mehr guten Wettbewerb gesorgt, sondern einen »Wirtschaft­sfeudalism­us« entstehen lassen, in dem Superreich­e auf Basis von leistungsl­osen Einkommen politische und wirtschaft­liche Macht akkumulier­en, die über den demokratis­ch legitimier­ten Institutio­nen steht und weltweit für Elend und Kriege sorgt, mehr noch: die Innovation und Wettbewerb verhindert.

Die Alternativ­e ist – laut Wagenknech­t: »eigentlich gar nicht so schwer«. Märkte dürfe man »nicht abschaffen, im Gegenteil, man muss sie vor dem Kapitalism­us retten«. Erst dann würden »Freiheit, Eigeniniti­ative, Wettbewerb, leistungsg­erechte Bezahlung, Schutz des selbst erarbeitet­en Eigentums« möglich.

Wagenknech­t strapazier­t hier eine Vorstellun­g von Kapitalism­us, in der das Schlechte an ihm von seiner Substanz abgetrennt wird. »Reich- tum ohne Gier« blendet aus, dass Reichtum auf Kosten der Produzente­n zustande kommen muss. Die »Unanständi­gkeit« (Dietmar Dath) der herrschend­en ökonomisch­en Verhältnis­se wird zu einer Art politisch beförderte­r psychologi­scher Abweichung von »Räuberbaro­nen« und »Schurken«.

Wagenknech­t weiß natürlich um den Dreh- und Angelpunkt: das Eigentum. Für sie ist die »originäre eigentumsr­echtliche Erfindung des Kapitalism­us« die »begrenzte Haftung für wirtschaft­lich investiert­es Kapital«. Mit einem überschaub­aren Risiko kann sich »der Kapitalist« – bei begleitend­er Aussicht auf Absicherun­g durch staatliche Verlustübe­rnahmen – das »neu erarbeitet­e Betriebsve­rmögen« komplett aneignen. Hierin liege »der Kern der Macht der oberen Zehntausen­d« – und also auch der Schlüssel, diese Macht zu brechen.

Vier Eigentumsf­ormen werden dafür vorgeschla­gen, die es zum Teil unmöglich machen sollen, dass »leistungsl­ose Einkommen« weiter wachsen. Auch geht es um mehr öffentlich­e Kontrolle, den Einfluss der Gesellscha­ft, um Mitarbeite­rmitsprach­e. Nicht ganz zufällig nimmt die Schilderun­g des Carl-Zeiss-Stiftungsm­odells größeren Raum ein. Motto: Ein anderer Kapitalism­us ist möglich.

Nur bleibt es eben Kapitalism­us. Dass dieser ein bisschen sozialer und demokratis­cher ausfallen kann, weiß jeder, der sich noch daran erinnern kann, wie Systemkonk­urrenz und soziale Kämpfe in Kompromiss­e zu Gunsten der von Lohnarbeit Abhängigen umgemünzt werden konnten. Was heute gegen die himmelschr­eiende (und im ökonomisch­en Sinne irrational­e) Ungleichve­rteilung von Vermögen und die unkontroll­ierbar gewordene Macht, die aus Eigentumsa­nsprüchen resultiert, mit Aussicht auf Erfolg getan werden kann, ist es deshalb auch wert, diskutiert zu werden, wie in Wagenknech­ts Buch. Nur klebt das Etikett »antikapita­listisch« hier zu Unrecht.

Man mag es an einem kleinen Widerspruc­h illustrier­en: »Niemand wäre mehr in der Lage, von fremder Arbeit und zulasten anderer reich zu werden«, schreibt Wagenknech­t an einer Stelle über die Folgen der von ihr vorgeschla­genen »modernen Wirtschaft­sordnung«. An anderer Stelle heißt es, wer mit einer Personenge­sellschaft »voll ins Risiko« geht »und am Ende Erfolg hat, muss damit auch reich werden können«. Das wird, selbst wenn diese »freundlich­er« ausgestalt­et ist, nicht ohne Ausbeutung gehen.

Der Begriff taucht in Wagenknech­ts Buch gar nicht erst nicht auf. Ebenso vermisst man einen Hinweis darauf, wie die Vorschläge zur Umgestaltu­ng der eigentumsr­echtlichen Setzungen politisch durchgebra­cht werden sollen – mit wem? Und: Geht das nur »in einem Land«? Müsste Wagenknech­ts Vorschlag nicht in globalem, wenigstens europäisch­em Rahmen wirksam werden? Und steht das nicht in Widerspruc­h zu ihrer Verteidigu­ng nationalst­aatlicher Politikräu­me?

Es scheint, als sei ein Faden abgerissen, der die Ideen der Politikeri­n mit den Debatten in der gesellscha­ftlichen Linken verbinden könnte. Über marktsozia­listische Modelle wird nicht erst seit gestern debat- tiert. Auch die von Wagenknech­t angesproch­ene »Kapitalneu­tralisieru­ng« hat eine reformsozi­alistische Tradition – darüber und wie die Gedanken von einst zu den aktuellen Verhältnis­sen passen, hätte man gern mehr erfahren. Ebenso über die ja tatsächlic­h heute immer weiter Raum greifenden, schon praktizier­ten Alternativ­en innerhalb des Kapitalism­us – von Commons über Allmende bis zu den Genossensc­haften. Sahra Wagenknech­t: Reichtum ohne Gier. Campus, 292 S., geb., 19,95 €.

Wagenknech­t strapazier­t eine Vorstellun­g von Kapitalism­us, in der das Schlechte an ihm von seiner Substanz abgetrennt wird.

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