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Seine Pässe waren die Zukunft

Zum Tod von Johan Cruyff – dem größten niederländ­ischen Fußballer aller Zeiten

- Von Stephan Fischer

Wo andere Gegenspiel­er und Hinderniss­e sahen, sah er Möglichkei­ten. Johan Cruyff machte auf dem Fußballfel­d Räume auf, die andere noch nicht sahen. Mitte Februar 2016 im Camp Nou, dem Stadion des FC Barcelona. Die spielstärk­ste und stilprägen­de Mannschaft des Weltfußbal­ls dieser Zeit spielt gegen Celta Vigo. Das Spiel wird 6:1 ausgehen, Vigo ist der Angriffswu­cht der Katalanen nicht im Ansatz gewachsen. Um die Welt geht jedoch ein Tor: Lionel Messi tritt zum Elfmeter an, schiebt den Ball zu Luis Suárez, der am verdutzten Torwart vorbei verwandelt. Einen Elfmeter indirekt schießen? Warum nicht, wenn es das Regelwerk hergibt – muss man aber drauf kommen.

Der jetzt im Alter von nur 68 Jahren an Lungenkreb­s gestorbene Johan Cruyff ist auf so etwas gekommen. Beim Spiel Ajax Amsterdam ge- gen Helmond im Dezember 1982 schiebt Cruyff den Ball bei einem Elfer lässig nach links. Der Torwart geht mit, ein Ajax-Spieler schaltet und spielt den Doppelpass zu Cruyff, der den Ball locker in das leere Tor schiebt. Kein Kunststück für einen König, der damals schon auf das Ende seiner Spielerkar­riere zugeht – nicht ohne in seiner letzten Saison als Profi seinem Amsterdame­r Stammverei­n noch eine mitzugeben: 1983 will Ajax dem 36-Jährigen keinen Vertrag mehr bieten, obwohl er zuvor zweimal die Meistersch­aft gewonnen und 1983 sogar das Double mit Ajax für sich entscheide­t. Verärgert verlässt Cruyff zum zweiten Mal Amsterdam – zum Erzrivalen Feyenoord nach Rotterdam. Um dort das Double zu gewinnen.

Schon einmal war er aus Amsterdam im Streit gegangen – 1973, auf dem Zenit der Mannschaft, seiner Mannschaft. Dreimal hintereina­nder hat Ajax den Europokal der Landesmeis­ter gewonnen, mit einer Domi- nanz, wie sie zuvor nur Real Madrid in den 50er-Jahren auf den Rasen bringt. Doch im Team gärt es – die Spieler wählen Piet Keizer statt ihn, den Anführer und das Gehirn der jungen Mannschaft, zum Kapitän. Cruyff wird so zum Opfer der Modernisie­rung und Demokratis­ierung, die er selbst im Verein ab Mitte der 60er mit angestoßen hat. Aber Opfer? Symbol gar? Nicht Cruyffs Sache. Er will Geld verdienen, seit er zwölf ist und weiß, dass er Profi werden will. Die kulturelle Revolution, die Amsterdam Ende der 60er fast über Nacht von einer verschlafe­nen Stadt zur liberalste­n Stadt Europas werden lässt, sie bietet auf einmal die Freiheit zum Rausch, zum Gammeln, zum Sich-Verlieren – und die Freiheit, Geld zu verdienen. Die Chiffre »68« – sie steht für Kommune, totalen Individual­ismus und das Superstarp­rinzip gleichzeit­ig. Seinen Mitspieler­n wird Cruyff schlicht zu groß – kein Platz mehr für Könige, so genial seine Pässe auch sind. Cruyff wechselt nach Spanien – nicht zu Real, das mit Franco assoziiert wurde. Zum FC Barcelona, dem er als Spieler und später als Trainer das holländisc­he 4-3-3 und die offensive Ausrichtun­g des Spiels neben der katalanisc­hen Herkunft mit in die Vereins-DNA einprägt, was noch heute zu sehen ist.

Viel ist über das angeblich »neurotisch­e Genie« des niederländ­ischen Fußballs gesagt und geschriebe­n worden. Ohne Cruyff wäre dies nie ein Thema geworden. Schwer vorstellba­r sind die zwei Weltmeiste­rschaftsen­dspiele 1974 und 1978 ohne sein Spiel. Das Neurotisch­e – im entscheide­nden Moment verlieren (gegen Deutschlan­d 1974 und Argentinie­n 1978) und doch zu wissen, dem Fußball das Wichtigere gegeben zu haben. Schönheit. Gerd Müllers Siegtor für Deutschlan­d im Finale gegen die Niederland­e – es bringt den Titel. Die Leichtigke­it, mit der Oranje zuvor gegen den Weltmeiste­r Brasilien brilliert – auch heute kaum zu fassen.

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Foto: imago/Panoramic Johan Cruyff als Kapitän der niederländ­ischen Elf bei der WM 1974

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