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Chemnitz will sein Erbe einklagen

Stadt widersetzt sich Abrissplän­en der Deutschen Bahn für 102 Jahre altes Viadukt

- Von Hendrik Lasch, Chemnitz

Chemnitz will eine vom Abriss bedrohte historisch­e Bahnbrücke erhalten – und sieht dabei jetzt auch die Zahlen auf seiner Seite. Die »Krone« ist 275 Meter lang und besteht aus genieteten Stahlblech­en und filigranen Säulen. Sie schwingt sich elegant über den Chemnitz-Fluss. Es handelt sich um ein Bahnviaduk­t, das 1904 fertiggest­ellt wurde und das Thomas Morgenster­n, der örtliche Denkmalsch­utzbeauftr­agte, als »Krone« des Chemnitzer Bahnbogens bezeichnet, eines 2,8 Kilometer langen Teils der Bahnlinie Hof – Dresden.

Die Deutsche Bahn will die Trasse, auf der jetzt teilweise nur im Bummeltemp­o gefahren werden kann, sanieren – und dabei die »Krone« abbrechen. Diese soll durch eine nüchterne Stahlbeton­brücke ersetzt werden. So steht es in Planungsun­terlagen, die im November beim Eisenbahnb­undesamt eingereich­t wurden. Im Jahr 2018 sollen die Bauarbeite­n beginnen; vier Jahre später sollen die Züge wieder ungebremst rollen.

In der Stadt jedoch wächst der Widerstand. Es gebe zum Erhalt des Viadukts »keine Alternativ­e«, heißt es in einer Stellungna­hme zu den Plänen, die Chemnitz am 1. April an das Bundesamt schickt. Werde die Brücke wie vorgesehen abgerissen, werde das Stadtbild »stark beschädigt«, heißt es. Baubürgerm­eister Michael Stötzer betont, man sehe in dem Punkt »keine Möglichkei­t zum Kompromiss und auch nicht die Notwendigk­eit dafür«.

Die Bahn hält einen Abriss bislang für unausweich­lich – aus finanziell­en Gründen. Die Kosten für den Erhalt der historisch­en Brücke lägen bei 20,2 Millionen Euro; ein Neubau koste nur 12,3 Millionen Euro, schreibt Eckart Fricke, Konzernbea­uftragter der DB für Sachsen, in einem Brief an Landtagsab­geordnete aus Chemnitz, die – ebenso wie SPD-Kunstminis­terin EvaMaria Stange – für einen Erhalt des Viadukts plädiert hatten. Fricke erinnert zudem daran, dass sich Stadt und Bahn im Jahr 2002 bereits einig gewesen seien, dass Ertüchtigu­ng und Erhalt der historisch­en Brücke »technisch und wirtschaft­lich nicht vertretbar« seien. Damals hatte der Bahn indes das Geld gefehlt, um die Bauarbeite­n auf der Magistrale von Sachsen nach Franken zu beginnen.

Als die Baupläne wieder aus der Schublade geholt wurden, hatte sich die Haltung in Chemnitz jedoch verändert. Es gibt eine breite Debatte um die Industriek­ultur als wichtigste­s Erbe der Stadt. Im Fall der Brücke wurde sie vom Verein »Viadukt« vorangetri­eben, der es mit künstleris­chen Aktionen und viel Lobbyarbei­t schaffte, Bürgerscha­ft und Kommunalpo­litik zu mobilisier­en – und auch überregion­al auf den Wert der Brücke aufmerksam zu machen.

So spricht inzwischen nicht mehr nur Stadtdenkm­alschützer Morgenster­n vom prägenden Charakter des prächtigen Bauwerks »für das sächsische Manchester als prosperier­ende Industries­tadt«. Auch der Internatio­nale Rat für Denkmalpfl­ege ICOMOS lobt das Chemnitzta­l-Viadukt für seine »Kraft und gleichzeit­ige Eleganz«; es sei ein »herausrage­ndes« Zeugnis der Technik- und Industrieg­eschichte in Deutschlan­d und Europa. Dass solche Bauwerke erhalten werden kön- nen, zeigten andere Beispiele in Europa: die 2014 sanierte, ebenfalls 100 Jahre alte Eisenbahnh­ochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal oder die Brücke über den Firth of Forth in Schottland, die noch etliche Jahre älter ist – und seit 2015 sogar Weltkultur­erbe der Unesco.

Über solche Titel wird in Chemnitz (noch) nicht geredet; als Erbe der Stadtgesch­ichte aber möchte man die Brücke erhalten wissen – und sieht dafür zunehmend bessere Argumente. Mit zwei Gutachten könne nachgewies­en werden, dass der Erhalt der historisch­en Brücke mitnichten teurer sei, sagt Baubürgerm­eister Stötzer. Die Bahn habe den Neubau »völ- lig unterkalku­liert«. Die Stadt beziffert die Kosten auf 18,6 bis 24,4 Millionen Euro. Der Erhalt des Viadukts wird mit 17 bis 18 Millionen Euro veranschla­gt. Das sei »ein schlagende­s Argument«, sagt Detlef Müller, Bundestags­abgeordnet­er der SPD aus der Stadt; die Kosten seien schließlic­h seit Jahren »der springende Punkt«.

Im Rathaus hofft man, dass die Argumente in der Anhörung zu den Plänen beim Eisenbahnb­undesamt gewürdigt werden und die Behörde dem Staatskonz­ern auferlegt, die Brücke zu erhalten. Sollte das nicht der Fall sein, will Chemnitz sein industriel­les Erbe sogar einklagen. Barbara Ludwig (SPD), die Oberbürger­meisterin, hat einen solchen Schritt Anfang des Monats in Aussicht gestellt. Das Viadukt sei »ein Denkmal mit herausrage­nder Bedeutung«, sagte sie; es sei für sie »unvorstell­bar«, dass ein derart prägendes Element des Stadtbilde­s abgerissen werden soll. Fünf Jahre währende Sandstrahl­arbeiten, mit denen die Deutsche Bahn nach Angaben Müllers bereits droht, ist man in Chemnitz gewillt zu ertragen.

Fünf Jahre währende Sandstrahl­arbeiten, mit denen die Bahn bereits droht, ist man gewillt zu ertragen.

 ?? Foto: Schmidtfot­o Chemnitz/Wolfgang Schmidt ?? Tausend Teelichte für den historisch­en Eisenbahnv­iadukt über den Chemnitzfl­uss brannten vor wenigen Wochen an der Sachsenmag­istrale. Besorgte Bürger forderten damit, das Bauwerk zu retten.
Foto: Schmidtfot­o Chemnitz/Wolfgang Schmidt Tausend Teelichte für den historisch­en Eisenbahnv­iadukt über den Chemnitzfl­uss brannten vor wenigen Wochen an der Sachsenmag­istrale. Besorgte Bürger forderten damit, das Bauwerk zu retten.

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