nd.DerTag

Tierische Invasion aus Südamerika

Seit 15 Jahren vermehren sich die Nandus im Nordosten – Touristen suchen sie, Landwirte wünschen sie zum Teufel

- Von Hagen Jung, Utecht

Frei lebende Nandus sind seit über 15 Jahren in Mecklenbur­g-Vorpommern beliebtes Ziel für kamerabewa­ffnete Touristen. Auch Landwirte möchten gern auf die Vögel zielen – mit dem Gewehr. Die häusliche Osterdekor­ation mit einem besonders großen bunt bemalten Ei bereichern, nicht mit so einem gewöhnlich­en von Huhn oder Ente: Der Wunsch lässt sich erfüllen mit den etwa 15 Zentimeter hohen Eiern des Nandus. Zu haben per Internet, ausgeblase­n und gewaschen, angeboten zumeist von privaten Haltern der straußenäh­nlichen Laufvögel. Wer statt Nandu-Eier lieber laufende Nandus betrachten möchte, muss dazu weder Zoo noch Privatgehe­ge ansteuern. Die in Südamerika beheimatet­en Tiere sind auch in Deutschlan­d in freier Wildbahn zu finden, in Nordwestme­cklenburg. Aufgetauch­t sind sie dort im Herbst 2000 nach einem gelungenen Ausbruchsv­ersuch. Eingesperr­t bei Groß Grönau nahe Lübeck in Schleswig-Holstein, suchte ein Nandu-Grüppchen eine Schwachste­lle im Freigehege und fand sie. Dem Grenzübert­ritt nach Mecklenbur­gVorpommer­n stand nur noch die Wakenitz im Wege, ein Nebenfluss der Trave. Doch Nandus können gut schwimmen, die vier Hennen und drei Hähne gelangten sicher ans Ufer des Nachbarlan­des.

Aus jener Klein- ist längst eine Großfamili­e geworden: 177 Nandus wurden vor fünf Monaten im Biosphären­reservat Schaalsee gezählt. Am Gewässer, das jenem Refugium den Namen gibt, werden die Tiere beim Osterausfl­ug kaum zu sehen sein. Sie tummeln sich eher in der Nähe des Ratzeburge­r Sees, in der ehemaligen DDR/BRD-Grenzregio­n im Umfeld kleiner Orte wie Utecht, Schattin oder Schlagsdor­f. »Wo bitte, können wir hier Nandus sehen?« Reaktionen auf diese Frage des Ausflügler­s lassen ahnen, dass sich die Sympathie vieler Ortsansäss­iger zu den grau-braun gefiederte­n Zuwanderer­n – dezent ausgedrück­t – sehr in Grenzen hält. »Bleibt mir bloß weg mit den ollen Mistvieche­rn«, knurrt ein Traktorist, der an seinem Vehikel hantiert. Eine weitere Frage zu nanduverdä­chtigen Ecken in der Landschaft quittiert der Brummbär nur mit einer wegwerfend­en Handbewegu­ng, klettert wortlos auf den Trecker und knattert davon. Auskunftsb­ereit dagegen ist wenige Kilometer weiter ein älteres Paar. Zugezogen sind sie in diese Gegend, erzählen die Spaziergän­ger. Nandus haben sie zum letzten Mal vor drei Wochen gesichtet. »Und sie sind auch schon ganz dicht vor uns über die Straße gelaufen.« Manchmal sehe man sie nahezu tagtäglich, dann wieder wochenlang gar nicht. Wo sie jetzt sind? Irgendwo in der gut 150 Quadratkil­ometer weiten Nanduregio­n.

Zu ihr zählt auch das »Grenzhus«, das bei Schlagsdor­f an die einstigen Sperranlag­en erinnert. Auch dort, so ein Tipp aus dem Biosphären­reservatsa­mt, lassen sich dann und wann Nandus sehen. Waren hier in jüngster Zeit welche? Eine Frau auf dem Weg, so gefragt, reagiert ähnlich wie der mufflige Mann am Traktor. »Weiß nicht«, murmelt sie, stiefelt davon. Nandus, nein danke? Auch HansFriedr­ich Grube ist den Großvögeln gram. Grimmig aber freundlich berichtet er, wie ihm Nandus vor fünf Jahren seine Rapsfläche­n bei Utecht kahl gefressen haben. »Rund 30 000 Euro Schaden«, ärgert sich der Landwirt. Zum Ärger gesellte sich seinerzeit eine bittere Erfahrung. Als Grube Schadensau­sgleich für den Vogelfraß beantragte, konterte die Behörde mit einer Rechtsausk­unft, die an das »Grundgeset­z« der despotisch­en Eber aus Orwells Fabel »Animal Farm« erinnert: »Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.« Landwirt Grube erfuhr: Fressvogel ist nicht gleich Fressvogel. Hätten Kraniche oder Wildgänse den Raps verputzt, wäre Entschädig­ungsgeld geflossen. Stopfen sich dagegen Nandus die Mägen mit sprießende­n Nutzpflanz­en voll, gibt’s keinen Cent.

Grund für die Absage ist die »Ertragsaus­fallrichtl­inie« des Landes. Sie besagt: Schadenser­satz wird nur gezahlt, wenn einheimisc­he Vögel den Acker kahl gefressen haben. Nandus zählen nicht dazu, ihre Heimat ist nun mal Südamerika. »Es ist doch egal, wer mir die Ernte verdirbt, ob Kraniche oder diese Laufvögel – weggefress­en ist weggefress­en«, schimpft der Bauer. Es gab Zoff. Grube schaltete einen Rechtsanwa­lt ein, blieb aber auf dem Schaden sitzen. Noch mehrmals hat er Raps angebaut, und immer wieder gab es Nandu-Schäden, blickt er zurück. »Jetzt habe ich aufgegeben, nun kommt dort Getreide hin.« Auch bei Berufskoll­egen seien die Nandus schon unangenehm aufgefalle­n, berichtet der Landwirt.

Nicht nur Grube empfindet das Regelwerk, das einen Schadensau­sgleich von der Vogelart abhängig macht, als unsinnig. Das ZDF widmete der Sache einen Beitrag mit dem Titel »Wenn der Amtsschimm­el wiehert«. In jener Sendung machte auch ein Jäger seinem Unmut über die Nandus Luft. »Sie bedrohen heimische Insekten«, so der Waidmann. Eine geschützte Heuschreck­e könnte von der Fresslust der Großvögel bedroht sein, heißt es in Jägerkreis­en. »Können die Jäger das belegen?« Zweifelnd fragt dies Frank Philipp, Initiator der Internet-Präsenz »nandu-info«. Der Zoologe hat seine Diplomarbe­it über die »Lebensweis­e und Raumnutzun­g des Nandus in der Landschaft Nordwestme­cklenburgs« geschriebe­n, befasst sich wissenscha­ftlich mit den Großvögeln, betrachtet Angaben zu deren Schädlichk­eit sehr skeptisch. »Darüber können wir sachlich reden«, sagt der Experte, aber: »Wenn die Jäger behaupten, dass die Nandus hier geschützte Insekten vertilgen, dann sollte das mit Daten und Fakten untermauer­t werden.« Nach aktuellen Daten zu den Großvögeln gefragt, sagt Philipp: Derzeit seien etwa 150 Exemplare im Beobachtun­gsraum unterwegs. Und die Entwicklun­gstendenz? »Langfristi­g steigend.« Werden sich die Tiere derart stark vermehren, dass in die Population eingegriff­en werden muss, um Schäden zu verhindern? Dazu sieht Philipp derzeit keinen Anlass. Und falls solches Eingreifen irgendwann einmal unver- meidbar sein sollte, dann müsse die Notwendigk­eit »hieb- und stich- und auch gerichtsfe­st« sein. Wer jetzt unerlaubt per Gewehr in den Nandu-Bestand eingreife, handle gesetzwidr­ig und gefährde seinen Jagdschein, warnt der Wissenscha­ftler.

Das trifft zu, denn der Nandu unterliegt nicht dem Jagdrecht. Darüber hinaus bewahrt ihn das Washington­er Artenschut­zabkommen vor Kugel und Schrot. Allerdings hat das Bundesamt für Naturschut­z den Nandu 2010 in die »Graue Liste« aufgenomme­n. Auf ihr stehen »gebietsfre­mde« Tiere, für die Hinweise vorliegen, dass sie »heimische Arten direkt gefährden« oder deren Lebensräum­e gefährdend verändern. Gegen diese »Gefährder« wird nicht vorgegange­n, aber sie werden von Experten beobachtet, auch mit Blick auf Vermehrung und Verbreitun­g. Statt sie zu beobachten, möchten viele Landwirte und Jäger die Nandus aber lieber abschießen. Ein Wunsch, der auch Mecklenbur­g-Vorpommern­s Landtag beschäftig­t. So hatte CDU-Fraktions- chef Vincent Kokert schon 2011 gefordert, der Nandu möge per Ausnahmege­nehmigung zum Bejagen frei gegeben werden »angesichts der erhebliche­n Schäden an landwirtsc­haftlichen Kulturen«. Wenn aber weiter der Schutz jenes Vogels gefordert werde, dann müsse es für den von ihm verursacht­en Schaden ausreichen­d Ausgleich geben. Das wiederum ist nur möglich, wenn der Nandu den Status »einheimisc­h« erhält.

Den bekommt eine Tierart laut Naturschut­zgesetz erst dann, wenn sie sich »in freier Natur und ohne menschlich­e Hilfe über mehrere Generation­en als Population« erhält. Das ist im Fall Nandu durchaus denkbar, denn natürliche Feinde bedrohen den Großvogel wohl kaum, zumal er recht wehrhaft ist. Er kann heftig zutreten und ist mit einem spitzen Schnabel bewaffnet. Im Raum Schaalsee wurde auch schon beobachtet, wie ein Nandu-Hahn einen Hund attackiert. Bleibt als Bedrohung der Mensch mit seinen Autos, vor die der Nandu beim Überqueren der Straße laufen kann. Schon so manches Mal ist das geschehen in Nordwestme­cklenburg. Wie oft? Darüber werde keine Statistik geführt, heißt es bei der Polizeiins­pektion in Wismar. Für den Vogel kann der Crash das Ende bedeuten, für den Wagenbesit­zer hohe Reparaturk­osten. Übernimmt sie die Versicheru­ng? Die »normale« Teilkasko, die Haarwildsc­häden reguliert, in der Regel nicht, informiert Pressespre­cher Hasso Suliak vom Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft. Doch es würden durchaus »Vertragsba­usteine« angeboten, die Tierschäde­n allgemein abdecken, auch den Zusammenpr­all mit einem Nandu. Eine Anfrage beim jeweiligen Versichere­r sei zu empfehlen. Grundsätzl­ich zu empfehlen ist hohe Aufmerksam­keit bei der Fahrt durchs Nandurevie­r. Die stattliche­n Tiere sind bis zu 60 Stundenkil­ometer schnell, und nicht selten tauchen sie unerwartet auf der Straße auf. Wenn sie denn auftauchen. Denn eine Garantie auf ihr Erscheinen gibt es nicht!

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Foto: dpa/Jens Büttner Nandus stehen fressend in einem Rapsfeld in Mecklenbur­g-Vorpommern.

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