nd.DerTag

Bedrohlich­er Witzbold

Londons OB Boris Johnson fordert Europa heraus und zieht in den innerparte­ilichen Krieg.

- Von Ian King

Boris Johnson im Wahlkampf 2005

Lange wollte er sich im Volksabsti­mmungskamp­f um den britischen EU-Verbleib nicht festlegen, doch nach den Verhandlun­gen David Camerons mit der EU entschied sich der Hamlet von der Themse. Der bekanntest­e konservati­ve Hinterbänk­ler und Londoner Oberbürger­meister mit dem markigen Namen Alexander Boris De Pfeffel Johnson plädiert seit Neuestem für einen Austritt Großbritan­niens aus der europäisch­en Staatengem­einschaft.

Und das mit einem merkwürdig­en Argument: Die Europäer verstünden nur eine Politik der Härte. Stimmten die Briten für den »Brexit«, gäbe es neue Verhandlun­gen. Die Partner würden dann bessere Bedingunge­n bieten. In der Folge könnte es eine zweite Abstimmung geben, bei der das Wahlvolk mit Ja zum Verbleib in der EU stimmen könnte. Premier David Cameron zerpflückt­e jedoch im Unterhaus dieses »Durch Nein zum Ja«Hirngespin­st. »BoGo«, wie Johnson jetzt etwas spöttisch von seinen Gegnern genannt wird, gab wenig später in einem Interview mit der »Times« zu, dass es keine zweite Abstimmung geben werde: Nein zur EU am 23. Juni heißt Austritt und damit basta.

Die Befürchtun­gen der Pro-EUSeite über eventuelle Folgen kümmern ihn nicht: Die Industrie macht sich Sorgen um die Märkte und das schwierige Aushandeln neuer Verträge mit den früheren Partnern sowie der Welt jenseits der grünen Insel, die Gewerkscha­ften befürchten einen Sozialkahl­schlag von Konservati­ven, die bisher EU-geschützte Rechte nach einem Austritt mit Füßen treten könnten. Wichtige Gruppen sind damit von Johnsons Schritt alles andere als entzückt. Warum riskiert er nun auch noch die Feindschaf­t des erbitterte­n Premiers?

Der Ehrgeiz des 51-jährigen Johnson ist legendär. Die Spatzen pfeifen seit Jahren von den Londoner Dächern, dass er sich berufen fühlt, anstelle der EU-Befürworte­r – etwa Finanzmini­ster George Osborne oder Innenminis­terin Theresa May – Cameron zu beerben. In der Tat kann Johnson auch Erfolge vorweisen. Seine Wahl zum Oberbürger­meister in der eher links gesinnten Hauptstadt verdankte er zwar der damaligen Unbeliebth­eit von Gordon Browns Labour-Regierung, aber die Wiederwahl 2011 gegen Labours ehemaligen Stadtvorst­eher Ken Livingston­e zu einem Zeitpunkt, an dem die neu gewählte konservati­v-liberale Koalition im Lande bestenfall­s als umstritten galt, ging klar auf Johnsons Konto. Bei der EU-Abstimmung hat sein Wort Gewicht, denn auf der Beliebthei­tsskala rangiert er mit 32 Prozent vor Labour-Chef Jeremy Corbyn mit 27 und nur hinter Cameron selbst (44 Prozent). Johnsons Nein ist damit ein Coup für die »Outers«.

Er ist einer der wenigen Politiker, deren Vorname beim Publikum schon eine Reaktion auslöst. Mit seiner blonden Mähne, seinem unbeholfen­en Radfahren, den flapsigen Sprüchen entwaffnet er die meisten Kritiker. Der Busenfreun­d des Finanzesta­blishments hat dank liberaler sozialer Einstellun­gen bei Fragen der Gleichbere­chtigung, durch humorvolle Auftritte in Talk- und Quizshows und nicht zuletzt durch Schützenhi­lfe der Tory-Presse seine durchwachs­enen Leistungen in der City Hall vergessen lassen. So glauben wohl die meisten Londoner, dass Johnson sowohl für den von Banken gesponsert­en Radverleih »Boris bikes« als auch für die Vergabe der Olympische­n Spiele 2012 an seine Stadt verantwort­lich war; tatsächlic­h

Freund des Radfahrens, Gegner der EU: Boris Johnson waren beide das Verdienst des Vorgängers Livingston­e.

Als der Tory-OB an einer Seilrutsch­e hilflos über dem Olympia-Gelände hing, lachte das ganze Land – aber mit, nicht über Johnson. Kein Wunder, dass viele Tories dem – zumindest angeblich – über den Parteien thronenden Johnson zu Füßen liegen. »Wenn Sie die Konservati­ven wählen, bekommt Ihre Frau größere Brüste und Ihre Chancen steigen, einen BMW M3 zu besitzen«, versprach der Witzbold im Wahlkampf 2005. »Die sektiereri­schste Religion ist die der Friedensbe­wegten«, gehört ebenso zu seinem Repertoire. Johnson sondert aber auch Sprüche ab, die Medienzar Rupert Murdoch entzücken müssten: »Wohin ist’s mit der BBC gekommen? Toiletten.«

Der angebliche »one-nation Tory«, der vom konservati­ven Blätterwal­d gefeiert wird, ist in Wahrheit jedoch ein strammer Rechter wie aus dem Bilderbuch des Elite-Internats Eton und des Oxforder Rüpelverei­ns Bullingdon Club. Das macht den Demagogen noch gefährlich­er. Denn Cameron hat bereits angekündig­t, bei der nächsten Parlaments­wahl nicht mehr zu kandidiere­n. Fraktions- und Parteimitg­lieder haben sich in einen derartigen Hass gegen Europa gesteigert, dass nur ein eindeutige­r »Outer« auf den Schild gehoben werden kann. Bei so vielen EUGegnern und unzufriede­nen Ex-Ministern braucht es nur 50 Fraktionsm­itglieder, um die Neuwahl des Tory-Chefs schon im Sommer 2016 zu ermögliche­n, berichtete unlängst die »Sunday Times«.

Nicht die Antipathie gegenüber griechisch­en Olivenbaue­rn oder die Angst vor Souveränit­ätsverlust­en an einen angebliche­n Brüsseler Superstaat bestimmen »BoGos« Europa-Politik. Es ist das schlichte Kalkül: Hier liegt der Königsweg zur Downing Street Nr. 10. Dafür würde Johnson die britische EU-Mitgliedsc­haft und eine von nicht wenigen befürchtet­e wirtschaft­liche Katastroph­e riskieren.

»Wenn Sie die Konservati­ven wählen, bekommt Ihre Frau größere Brüste und Ihre Chancen steigen, einen BMW M3 zu besitzen.«

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Foto: AFP/Ben Stansall

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