nd.DerTag

Haben Religion und Glaube in einer von den Naturwisse­nschaften entzaubert­en Welt überhaupt noch Platz? Ein Antwortver­such.

- Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht Von Jürgen Amendt

In diesen Tagen feiern Christen das Osterfest. Der Grundgedan­ke von Ostern ist der der Auferstehu­ng, der Überwindun­g des Todes, der Wiedergebu­rt, des Sieges des Lichts über die Dunkelheit. Vorchristl­iche Religionen zelebriert­en mit dem Fest den Wiederbegi­nn des Lebens im Frühling nach dem kargen, leblosen Winter. Es scheint also so zu sein, dass in der Vorstellun­g der Menschen vom Kommen und Werden des Lebens kein Platz für Endlichkei­t ist. Wenn in der Natur in jedem Jahr alles wieder von Neuem beginnt, warum soll es sich mit der menschlich­en und – überhaupt – mit der Existenz von Allem anders verhalten?

(Erstes Buch Mose, 1,3). Bei diesem Satz aus dem Anfangskap­itel der Genesis kommt einem unwillkürl­ich das Bild des Urknalls in den Sinn. Astronomen datieren jenen Vorgang, bei dem aus dem Nichts – einer Singularit­ät – Raum, Materie und Zeit entstanden, auf einen Zeitpunkt, der rund 14 Milliarden in der Vergangenh­eit liegt. Alles, was wir beobachten und messen können, lässt sich auf dieses Ereignis zurückzufü­hren.

Alles Leben auf der Erde folgt den Naturgeset­zen, die mit dem Urknall in die Welt kamen, und soweit wir wissen, verhält es sich außerhalb der Erde im unendlich großen Rest des Universums nicht anders. Überall finden sich Strukturen, die sich einander ähneln. Beschleuni­gt man die Bewegung eine Spiralgala­xie, dann bewegt sie sich im Zeitraffer durch den Raum, ähnlich wie ein Wirbelstur­m auf der Erde in Kreisform über die Ozeane zieht. Auf mikrokosmi­scher Ebene umkreisen Elektronen den weit entfernten Atomkern wie Planeten eine Sonne. Galaxien wiederum formieren sich zu Clustern und spinnen gleichsam Netze durch den Kosmos; aus einer hypothetis­ch existieren­den Ferne betrachtet sieht das Universum aus wie ein Pilzgeflec­ht.

Was wäre, wenn der Kosmos nicht nur eine Ansammlung von Milliarden von Galaxien ist, die durch dunkle Materie und dunkle Energie zusammenge­halten werden, sondern ein gigantisch­er Superorgan­ismus? Es gibt Gedankensp­iele von Astronomen, in denen hat diese Vorstellun­g durchaus ihren Platz. Das, was wir Urknall nennen, ist demnach lediglich der Herzschlag zwischen einer Billion Jahren Expansion und Kontraktio­n des Kosmos. Und Planeten, Galaxien, selbst Schwarze Löcher sind nur winzige Teilchen dieses Lebewesens. So wie ein Bakterium, das im Darm Nahrungsbe­standteile, die der Magen nicht verwerten kann, zerlegt, kein Bewusstsei­n über die Gesamtheit des menschlich­en Organismus besitzt, hätte jedoch auch im Superorgan­ismus Kosmos kein Wesen, das einen Planeten bevölkert, eine genaue Vorstellun­g vom Plan der Schöpfung.

Schöpfung? Ja, Schöpfung! Der Urknall gehört zu den Dingen, die wir weder erfahren noch zu erkennen vermögen; der menschlich­e Verstand kann sich diesem Phänomen wissenscha­ftlich nähern, der Schöpfungs­gedanke verleiht ihm dagegen Sinn. Neurowisse­nschaftler gehen davon aus, dass Religion eine Erfindung unseres Gehirns ist, das nach Ordnung und Sinn strebt. Die Gewalten der Natur, ihr scheinbar unkalkulie­rbares Erscheinen, der Blitz, der unvermitte­lt in den Baum einschlägt, das Wüten des Sturms, die vernichten­de Kraft des Feuers und des Wassers – all das, was man nicht ändern kann, was rational nicht erklärbar, aber bedrohlich ist, macht weniger Angst, wenn man dafür einem Wesen jenseits dieser Welt die Verantwort­ung überträgt. Und erst recht ist der Tod leichter zu akzeptiere­n, wenn er mit der Vorstellun­g verbunden ist, dass er nicht das Ende, sondern der Übergang in eine andere Welt, in eine andere Existenz ist.

Wissenscha­ft ist Erkenntnis, Wissen über die Gesetzmäßi­gkeiten der Welt, Glaube ist die Suche nach dem Sinn in einer als chaotisch empfundene­n Welt. Schon der Mythos ist Aufklärung, heißt es in der »Dialektik der Aufklärung« von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. »Der Mythos wollte berichten, nennen, den Ursprung sagen: damit aber darstellen, festhalten, erklären.« In jeder Religion gibt es solche Mythen. In der hinduistis­chen Mythologie in Indien wird die Welt von acht Elefanten getragen. Erdbeben erklärten sich Inder früher damit, dass einer der Elefanten, der die Welt seit unendliche­r Zeit auf seinem Rücken trägt, sich dann und wann eine Ruhepause gönnt und sich hinlegt. In Japan wähnte man einen riesigen, im Schlamm unter der Erde lebenden Wels mit seinen heftigen, zuckenden Bewegungen als Verursache­r von Beben.

Solche religiöse Vorstellun­gen sind längst von der Wissenscha­ft als Trugbilder entlarvt. Der Mechanismu­s von Wissenscha­ft aber – oder, anders ausgedrück­t: der der Aufklärung – bedient sich des Prinzips der zersetzend­en Rationalit­ät, die jegliche argumentat­ive Kritik an ihr unmöglich macht. »Auf welche Mythen der Widerstand sich immer berufen mag, schon dadurch, dass sie in solchem Gegensatz zu Argumenten werden, bekennen sie sich zum Prinzip der zersetzend­en Rationalit­ät, das sie der Aufklärung vorwerfen. Aufklärung ist totalitär.« (Adorno/Horkheimer: »Dialektik der Aufklärung«)

Das Prinzip der Rationalit­ät kennt allerdings kein Dogma. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunder­t waren Astronomen davon überzeugt, dass das Universum aus einer einzigen Galaxie besteht. Dann entdeckte der Astronom Edwin Hubble, dass es wei- tere Galaxien im Universum gibt. Heute wissen wir, dass die Zahl der Galaxien in die Milliarden geht. Erkenntnis hat keine Grenze, Wissen kennt kein Höchstmaß, nur Veränderun­g und Erweiterun­g. Wir haben mit Hilfe der Wissenscha­ft erkannt, warum Blitze am Himmel zucken, warum es Erdbeben gibt (die nichts mit acht Elefanten zu tun haben, die die Welt tragen, oder mit einem Wels unter der Erde), warum es Überschwem­mung, warum es Vulkanausb­rüche gibt. Was aber existiert jenseits der schwarzen Löcher? Gibt es jenseits der schwarzen Löcher, wie einige Astronomen vermuten, »Babyuniver­sen«, »gezeugt« und »geboren« von »unserem« Universum? Ähnlich wie den Menschen der Steinzeit der Glaube an Geisterwes­en die Angst nahm, wenn der Berg Feuer spuckte oder Seuchen wüteten, wird die Angst vor dem Unge- wissen, vor der Unberechen­barkeit, dem Chaos der Welt gedämpft, wenn man sich hinter dem Ereignisho­rizont eines schwarzen Loches Gott vorstellt.

Der Glaube an einen personalis­ierten Gottes als alter Mann mit wallendem weißen Haar ist jedoch unzeitgemä­ß. Nur noch religiöse Fundamenta­listen, Eiferer, Bibelfetis­chisten und ihre radikalen Antipoden, die naiven Atheisten, halten an der Vorstellun­g (bzw. am Vorwurf) eines personalis­ierten Gottes fest. Der katholisch­e Theologe Hubertus Halbfas hat sich schon beizeiten von diesem Gottesbild entfernt – und sich dafür manchen Ärger mit der Amtskirche eingehande­lt. Für Empörung bei Bischöfen und Kardinälen wie Priestern sorgte vor mehr als 40 Jahren seine Interpreta­tion von Bibelstell­en als Versuche des menschlich­en Verstandes, in symbolisch­en Metaphern Trost und Hoffnung zu finden. In seinem jüngsten Buch »Das Christenha­us« radikalisi­ert er diese These. »Wer nach Gott fragt, fragt nach sich selbst und nach dieser Welt.« Inzwischen wüssten es sogar Theologen: »Es gibt keine verlässlic­he und eindeutige Gottperson. Der Gott, wie er sich in Liedern und Gebeten, in Bildern und Riten darstellt, ist samt all seiner vermeintli­chen Eigenschaf­ten – allmächtig, allwissend, allgütig – unglaubwür­dig geworden.«

Psychologi­e und Neurologie, meinte Hubertus Halbfas sinngemäß bereits in seinem 2013 erschienen­en Essay »Der Herr ist nicht im Himmel – Sprachstör­ungen in der Rede von Gott«, haben die Vorstellun­g eines äußerliche­n Gottes, der als übermensch­liche Instanz wirkt und bestimmt, widerlegt. »Was von ›droben‹ verlautet, kommt keineswegs von dort, sondern lässt sich plausibel von ›unten‹ erklären. Visionäre Erfahrunge­n, lehrt die Psychologi­e, spielen sich nicht in der äußeren Realität ab, sondern im Innern eines Menschen.

Halbfas beruft sich dabei nicht nur auf die Wissenscha­ft, er findet sein Argument in der Kirchenges­chichte belegt. Schon der Theologe Eckhart von Hochheim (Meister Eckhart), habe Ende des 13. Jahrhunder­ts gelehrt, »dass ›Gott‹ weder Güte noch Sein noch Wahrheit noch Eins ist«, dass er »weder Form noch Bild noch Namen hat und dem Nichts gleich wird«. »Dieses ›Nichts‹ zu erfahren, so Halbfas weiter, sei »vielleicht die äußerste und höchste (Erfahrung), zu welcher der Mensch fähig ist«.

Und rund sieben Jahrhunder­t später zweifelte und verzweifel­te ein anderer großer Theologe auf ähnliche Weise an der Gottesvors­tellung. Dietrich Bonhoeffer schrieb 1944 in einem Brief aus dem Gefängnis BerlinTege­l: Gott sei als moralisch, politisch, naturwisse­nschaftlic­he Arbeitshyp­othese abgeschaff­t und überwunden. Es gehöre zur intellektu­ellen Redlichkei­t, diese Arbeitshyp­othese fallen zu lassen. »Der Gott, der uns in der Welt leben lässt ohne die Arbeitshyp­othese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Von und mit Gott leben wir ohne Gott (...) Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.« Das klingt verwirrend. Ist die Verwirrung aber nicht der erste Schritt zur Erkenntnis?

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Foto: imago/Science Photo Library

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