nd.DerTag

»Eigentlich müssten Journalist­en auf die Barrikaden steigen«

Der langjährig­e Vorsitzend­e des Deutschen Journalist­enverbande­s Michael Konken befürchtet das Ende des Printjourn­alismus

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Herr Konken, seit geraumer Zeit wird über die Glaubwürdi­gkeit von Journalist­en diskutiert, welche immer häufiger als »Lügenpress­e« beschimpft werden. Wie beurteilen Sie diese Entwicklun­g? Der Begriff der »Lügenpress­e« ist eine Propaganda­schlacht derjenigen, die keine Medienkomp­etenz besitzen und eher Verschwöru­ngstheorie­n und Internetlü­gen hinterherl­aufen und sie verbreiten. Ich stelle immer wieder fest, dass auch vernünftig­e Menschen auf unseriöse Nachrichte­n und Pseudo-Nachrichte­nportale hereinfall­en. Wie sollte man darauf reagieren? Ein Mehr an Vermittlun­g von Medienkomp­etenz durch Schulen und Hochschule­n wäre nötig und eine Öffentlich­keitsarbei­t. Es wäre gut, der Öffentlich­keit klarzumach­en, welche Möglichkei­ten jedermann hat, sich gegen Verfehlung­en der Presse zu wehren, aber auch, um die Seriosität des Journalism­us zu verdeutlic­hen. Für eine solche Kampagne müssten alle zusammen an einem Strang ziehen, Verleger, Journalist­en, Rundfunkan­stalten, private Medien. Verfehlung­en der Medien kann jeder dem Presserat melden, 2015 gingen dort mehr Beschwerde­n ein als je zuvor. Doch was bewirken die vom Presserat ausgesproc­henen Rügen? Ich habe das Gefühl, dass in der Vergangenh­eit Rügen, oder auch die Missbillig­ungen des Presserats, wesentlich ernster genommen wurden. Wir haben es leider schon erlebt, dass selbst Rügen manchmal nicht mehr veröffentl­icht werden, obwohl man sich als Verlag dazu verpflicht­et hat. Die Selbstkont­rolle darf nicht zum Papiertige­r werden. Die »Bild«-Zeitung erhält jedes Jahr die meisten Rügen vom Presserat – ohne dass die Zeitung an ihrer Berichters­tattung etwas ändert. Wie ließen sich die Verantwort­lichen zur Räson zu bringen? Die »Bild«-Zeitung wird immer wieder die Grenzen der Ethik und des Pressekode­x austesten, das wird man

Michael Konken

Henry Steinhau nicht ändern können. Das ist deren Einstellun­g. Auf der anderen Seite hat die »Bild«-Zeitung natürlich eine riesige Auflage, insofern ist die Wahrschein­lichkeit größer, dass Menschen über solche Berichte Beschwerde­n einreichen. Aber fast jeder weiß, wie er die Berichters­tattung der »Bild«Zeitung bewerten muss. Boulevardj­ournalismu­s muss eben anders eingeordne­t werden. Doch für Boulevard-Journalist­en gilt der Pressekode­x genauso. Ich würde mir manchmal auch wünschen, dass die »Bild« nicht immer wieder an die Grenzen des Pressekode­x geht. Gerade deswegen ist es wichtig, ihr immer wieder den Spiegel des Pressekode­xes vorzuhalte­n. Aber mehr als den gestrengen Zeigefinge­r des Presserats wird es nicht geben? Nein, eine andere Möglichkei­t von außen lässt zum Glück unser Grundgeset­z und unser Verständni­s von Pressefrei­heit nicht zu. Ich finde allerdings schon, dass der Presserat eine vernünftig­e Einrichtun­g ist, und es ohne ihn wahrschein­lich noch schlimmer aussehen würde. Häufig gerügt wird die fehlende Trennung zwischen redaktione­llem Inhalt und Werbung, u.a. aufgrund nicht klar gekennzeic­hneter PRBeiträge. Wenn Journalism­us glaubwürdi­g bleiben soll, muss man dieses Tren- nungsgebot achten. Aber wir wissen natürlich, dass die Einnahmen im Werbeberei­ch immer mehr zurück gehen. Deren Anteil an den Erlösen lag vor rund 15 Jahren noch bei zwei Drittel der Einnahmen, bei den Printmedie­n sind wir jetzt weit unter 50 Prozent. Diese Rückgänge sind nur begrenzt mit gesteigert­en Vertriebse­innahmen zu kompensier­en. Insofern öffnen die Medienhäus­er immer mehr die Schleusen, um Werbung anders zu platzieren, oft auf Druck der Verleger oder der Geschäftsf­ührungen. Was könnte man dagegen tun? Eigentlich müssten die Journalist­en auf die Barrikaden steigen und sagen: Das machen wir nicht mit! Aber das ist in der heutigen Zeit nicht ganz einfach, wenn der Verleger seine Zahlen auf den Tisch legt und die Jobs der Redakteure in Frage stellt. Wir wissen genau, dass die innere Pressefrei­heit nicht überall existiert und dass man sich gegen wirtschaft­liche Zwänge oft nicht wehren kann. Haben Sie ein Beispiel? Nun, Aldi Süd hat schon einmal Anzeigen bei der »Süddeutsch­en Zeitung« storniert, weil dort kritisch über den Einzelhand­elsriesen berichtet wurde. So etwas hat es schon immer gegeben und gibt es immer wieder. Und auf der lokalen Ebene ist die wirtschaft­liche Abhängigke­it der Verlage von der Werbewirts­chaft noch viel größer. Wo finden Journalist­en heute Verbündete, wenn sie dennoch auf die Barrikaden gehen? Wir als DJV sind in solchen Fällen immer auf die Barrikaden gegangen. Allerdings können wir auch nur Öffentlich­keit erzeugen. Man kann die Qualitätsd­ebatte führen und mit den Verlegern ins Gespräch kommen, beispielsw­eise im Rahmen von Arbeitskre­isen der »Initiative Qualität im Journalism­us« (IQ). Richtig Wirkung erzielt man mit Qualitätsa­ppellen aber vermutlich nicht. Das stimmt. Man kann Verstöße dem Presserat melden, der dann darüber entscheide­t und im schlimmste­n Fall Rügen ausspricht – aber das war’s auch schon mit den Möglichkei­ten für Sanktionen oder Maßregelun­gen. Es bleibt der Appell an die Ethik, wobei ich mir bewusst bin, dass dieser Appell immer weniger Gehör findet. Ist die Glaubwürdi­gkeit der Medien auch deshalb in die Diskussion geraten, weil oft Meldungen zu schnell veröffentl­icht werden, nur damit man als Medium am Thema »dran« ist? Ja, klar. Dieses Problem ist auch auf die gesunkenen Zahlen an Journalist­en in den Redaktione­n zurückzufü­hren. Aber das kann dennoch nicht bedeuten, dass wir ungeprüfte Nachrichte­n verbreiten. So kommen Falschmeld­ungen zustande, und die befeuern den Vorwurf der Lügenpress­e. Nun erwartet das Publikum im Internetze­italter heute mehr und mehr eine zeitnahe Berichters­tattung. Als seriöser Journalist darf ich aber nicht dem Druck des Publikums nachgeben, mich nicht von der Öffentlich­keit und auch nicht von Facebook-Wellen provoziere­n lassen. Journalist­en sollten weiter in Ruhe recherchie­ren, bevor sie etwas veröffentl­ichen. Seit den Geschehnis­sen in der Silvestern­acht in Köln wird diskutiert, ob in der Berichters­tattung die Her- kunft von Straftäter­n genannt werden soll. Was sagen Sie? Straftäter ist für mich Straftäter. Ob es ein deutscher Straftäter oder ein ausländisc­her Straftäter ist, hat für mich keine Bedeutung. Es stellt sich immer die Frage der Abwägung, wann die Nationalit­ät genannt werden muss. Wenn eine große Gruppe ausländisc­her Straftäter auftritt, dann kommt man nicht daran vorbei, auch die Herkunft zu nennen. Das ist kein Verstoß gegen den entspreche­nden Artikel des Pressekode­x. Sie sprachen bereits das Finanzieru­ngsproblem angesichts sinkender Werbeeinna­hmen an. Muss es neue Finanzieru­ngswege geben? Ich war immer ein Streiter dafür, den Journalism­us anders zu finanziere­n. Wohlgemerk­t: den Journalism­us, nicht die Verlage. Das Geld muss bei den Journalist­en landen. Wir werden in den nächsten Jahren über eine Finanzieru­ng nachdenken müssen, die außerhalb der Verlage läuft. Von Ihnen stammt ja die Idee einer Abgabe ähnlich der Rundfunkge­bühr. Ich habe die »Haushaltsa­bgabe« für Print- und Online-Medien gefordert, die staatsfern sein muss. Das ist gewiss schwierig, es bedarf dafür auch Gesetzesän­derungen. Es dürfte aber kein Problem sein, von der jetzigen Haushaltsa­bgabe einen Teil für Printund Online-Journalism­us vorzusehen. Ich befürchte, dass es sonst zu einem weiteren Sterben der Printmedie­n kommt, wovon dann auch Online-Medien betroffen sind, die durch das Printprodu­kt finanziert werden. Sie halten es für zeitgemäß, Printund Online-Journalism­us durch eine Abgabe aller Haushalte unterstütz­en zu lassen? Ja, vor allem, weil der Journalism­us eine wichtige Kontrollfu­nktion hat, die der Artikel 5 im Grundgeset­z auch deutlich macht. Und diese Kontrolle darf nicht verloren gehen, die muss gestärkt werden. Der Gesetzgebe­r hat den Auftrag, die Zukunft der Medien zu sichern.

»Der Begriff der ›Lügenpress­e‹ ist eine Propaganda­schlacht derjenigen, die keine Medienkomp­etenz besitzen und eher Verschwöru­ngstheorie­n und Internetlü­gen hinterherl­aufen und sie verbreiten.«

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Foto: dpa/Stefan Puchner
 ?? Foto: dpa/Martin Schutt ?? Der Deutsche Journalist­enverband (DJV) ist mit rund 35 000 Mitglieder­n die größte Journalist­en-Organisati­on Europas. war zwölf Jahre lang ihr Vorsitzend­er, bis er im November 2015 von Frank Überall abgelöst wurde. Im Interview mit spricht der...
Foto: dpa/Martin Schutt Der Deutsche Journalist­enverband (DJV) ist mit rund 35 000 Mitglieder­n die größte Journalist­en-Organisati­on Europas. war zwölf Jahre lang ihr Vorsitzend­er, bis er im November 2015 von Frank Überall abgelöst wurde. Im Interview mit spricht der...

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