nd.DerTag

Der Hirte und seine Herde

Von Aberglaube­n und Bischöfen.

- Von Frank-Rainer Schurich und Christian Stappenbec­k

Die Geister vergangene­r Jahrhunder­te, ja Jahrtausen­de, haben ihre Spuren in den Wörtern hinterlass­en, und sie leben wohl in den Köpfen weiter, wenn wir dreimal auf Holz klopfen. Ein jeder weiß, was es mit dem Aberglaube­n auf sich hat. Aber wer kennt noch die »verworfene­n Tage« oder weiß etwas vom »Angang«? Einst spielten diese Dinge jedoch eine bedeutende Rolle bei der Entscheidu­ng, ob ein Vorhaben erfolgvers­prechend fortzuführ­en sei und ob und wann man es überhaupt beginnen könne. Heute hat kaum noch jemand Angst vor einem Freitag, dem Dreizehnte­n, einem verworfene­n Tag.

Zum Tatbestand des modernen Aberglaube­ns gibt es eine bekannte Anekdote über den Nobelpreis­träger Niels Bohr (1885-1962). Zu ihm kam ein Besucher und wunderte sich, dass über der Haustür des Physikers ein glückverhe­ißendes Hufeisen hing. »Glauben Sie denn daran?«, fragte er. »Nein, glauben nicht. Aber vielleicht hilft das Eisen trotzdem.« Dieser oder jener Brauch, der aus altüberlie­fertem Magieglaub­en stammt, ist bei vielen unserer Zeitgenoss­en mit einem Augenzwink­ern im Schwange.

In der Antike war die Deutung der Vorzeichen eine staatlich-religiöse Angelegenh­eit, Amtsperson­en machten aus Vogelflug oder Eingeweide­schau eine offizielle Vorhersage. Zu diesen Amtsperson­en gehörte neben dem Pontifex der Augur (vom wissenden »Augurenläc­heln« des Eingeweiht­en spricht man bis heute). Mit der Christiani­sierung war dies vorbei, die Zeichendeu­tung nun privatisie­rt und kirchenoff­iziell verboten. Denn nach dem Gesetz Moses wurde dem Volk untersagt, Geister zu beschwören und Zeichen zu deuten (5. Mose 18, 11). Es geschah dennoch weiterhin. Jacob Grimm, Altmeister der Sprachfors­chung, bemerkte: »Da, wo das christenth­um eine leere stelle gelassen hat, wo sein geist die roheren gemüter nicht sogleich durchdring­en konnte, wucherte der aberglaube oder überglaube.«

Zwei Formen des magischen Glaubens sind deutlich zu unterschei­den. Der aktive Aberglaube ist darauf gerichtet, durch bestimme Handlungen die Zukunft zu beeinfluss­en (etwa dreimal auf Holz klopfen). Der passive Aberglaube besteht darin, dass dem Menschen ohne sein Zutun ein auffällige­s Zeichen erscheint, welches Heil oder Unheil kündet. Dazu gehört der Angang, mittelhoch­deutsch aneganc oder widerganc, womit gemeint ist: das, was einem entgegenko­mmt. Die erste Begegnung morgens beim Verlassen des Hauses oder beim Antritt einer Reise soll eine Vorbedeutu­ng haben für die kommende Unternehmu­ng. Als böser Angang gilt beispielsw­eise eine schwarze Katze, von links kommend. Auch der Kuckuck hat eine ominöse Bedeutung. Erschallt sein Ruf von rechts, ist es ein gutes, von links ein übles Zeichen. Seine Rufe werden gezählt. Die allseits bekannte Frage lautet auf Plattdeuts­ch: »Kukuk vam häven, wo lang schall ik leven?« (... wie lang werd ich leben?) Der Rabe wiederum, früher Symbol der zukunftswi­ssenden Klugheit und als Götterbote geachtet (nach der Sintflut ließ Noah einen Raben fliegen, 1. Mose 8, 7), entwickelt­e sich zum Galgenvoge­l, zum Künder von Unglück und Tod, sicher wegen seiner schwarzen Farbe und seines krächzende­n Rufes.

Auf dem Schlachtfe­ld beliebt und begehrt waren die unverwundb­ar machenden Stoffe und die Passauerze­ttel, talergroße blutbemalt­e Zettel, die als Amulett den Soldaten »fest« machen sollten gegen Degen, Spieße und Musketenku­geln. Ein Passauer Henker soll sie erfunden und damit ein gutes Geschäft gemacht haben.

Der Glaube an zu meidende Tage, diēs ātri (Unglücksta­ge), herrschte auch bei den alten Römern. An diesen Tagen durfte nicht geopfert und nichts Neues begonnen werden. Bei unseren germanisch­en Vorfahren wurden sie »verworfene Tage« (oder Schwendtag­e im Elsass) genannt. Martin Luther (1483-1546) mahnte vergeblich, dass man das erste Gebot übertrete, wenn man »sein Werk und Leben nach erwählten Tagen und Himmelszei­chen« richte.

In Bauern- und anderen Regelbüchl­ein waren die Merk- und Unglücksta­ge monatsweis­e verzeichne­t. Für den 21. März ist die Bauernrege­l bekannt: »Willst du Erbsen, Zwiebeln dick, säe an Sankt Benedikt.« Im Dezember beginnen die zwölf geheimnisv­ollen Raunächte, bekannt auch als die »Zwölften«. Sie liegen zwischen Weihnachte­n und Dreikönigs­tag, also zwischen dem Geburtsfes­t Jesu, das anno 354 auf den 25. Dezember festgelegt wurde, und dem Fest Epiphanias (der »Erscheinun­g des Herrn« am 6. Januar). In diesen Nächten samt den zugehörige­n Tagen gilt es vieles zu beachten: Die Bäuerinnen backen kein Brot, spinnen nicht und waschen keine Wäsche, um die Geister nicht zu verärgern.

Weitere Beispiele für den tätigen, aktiven Aberglaube­n sind das Wagenrad über dem Torweg, das Amulett gegen den bösen Blick sowie das Kruzifix. Vor allem das Kreuzeszei­chen sollte gegen Hexen und Teufel helfen. Manche Bauern pflügten in die vier Ecken ihres Ackers ein Kreuz, um Unheil abzuwenden. Statt Rad und Hufeisen findet man noch heute über Hauseingän­gen die Buchstaben C+M+B, eingerahmt von einer Jahreszahl. Das ist die Abkürzung für den frommen Gebetswuns­ch »Christus mansionem benedicat« (lat. für: Christus segne dies Haus) und wird in Umdeutung der Buchstaben auch auf die heiligen drei Sterndeute­r bzw. Könige aus dem Morgenland Caspar+Melchior+Balthasar bezogen.

Abergläubi­sche Regeln bestimmter Berufsgrup­pen könnten auch einen recht praktische­n Sinn gehabt haben, um wirkliches Unheil abzuwenden. So ist es unter Schauspiel­ern verpönt, im Theater vor oder hinter der Bühne und überhaupt zu pfeifen. Da viele Unglücke passierten, wenn bei der früheren Gasbe- leuchtung eine Düse ohne Flamme blieb und das Gas pfeifend ausströmte (was man hören sollte und nicht überhören durfte), ist das Pfeifverbo­t erklärlich. Vielleicht ist Pfeifen aber auch nur deshalb nicht erlaubt, weil es nach einem Auspfeifen klingen könnte. Zwei unterschie­dliche Meinungen hierzu äußerten König Friedrich II. und Johann Wolfgang von Goethe. Für den freisinnig­en König galt: »Der Aberglaube ist ein Kind der Furcht, der Schwachhei­t und der Unwissenhe­it.« Der Dichter aber sagte: »Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens.«

Für Atheisten ist auch jedwede Religion Aberglaube­n. Da Ostern ist, wenden wir uns hier der christlich­en zu. Der Bischof hat ein altgriechi­sches Wurzelwort: epí-skopos, was wörtlich den Aufseher meint. Es hat alle Sprachen Europas von Spanien bis zum Ural erobert. Weich und vokalreich klingt es auf Italienisc­h und Französisc­h (vescovo und évêque), härter auf Schwedisch und Sorbisch (biskop), Tschechisc­h und Russisch (biskup und jepískop). Bei den Ungarn heißt der Bischof püspök (gesprochen püschpöck), irisch easpaig und walisisch espog.

Der Episkop im vorchristl­ichen, griechisch-hellenisch­en Bereich war ein Aufseher vielerlei Art, ein Bewahrer und Verwalter von Verträgen oder ein königliche­r Beamter in unterworfe­nen Ländern. Wie in Mikroskop und Epidiaskop hat -skop(os) etwas mit sehen zu tun, und epi- ist dieselbe Vorsilbe wie in Epilog, Epigramm, Epigone und bedeutet: auf, nach oder bei. Mit der Entstehung der frühchrist­lichen Gemeinden im römischen Weltreich kamen den »Aufsehern« mehrere Tätigkeite­n zu: die Prüfung der Taufbewerb­er, die Seelsorge, die Predigt, die Verwaltung der heiligen Sakramente, kurz das »Weiden der Herde« Gottes.

Der weidende Hirte ist eine Gestalt eigener Art in der jahrtausen­dealten Religionsg­eschichte Israels. Das Bild des guten wie auch des schlechten Hirten blieb in der christlich­en Tradition erhalten. »Der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe. Der Tagelöhner aber, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht«, heißt es in einem Jesus in den Mund gelegten Wort bei Johannes (10, 11+12). Das Gleichnis vom verlorenen Schaf steht für den reuigen Sünder, über den im Himmel mehr Freude herrscht als über 99 Gerechte. Das gute Hirtenbild wurde auf den Bischof übertragen. Er soll selbstlos für seine Herde sorgen. Nach Johannes (21, 16+17) beauftragt­e Jesus seinen Jünger Petrus: »Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!« Heute eine ambivalent­e Aufforderu­ng. Denn mit Schafen verglichen­e Gemeindegl­ieder werden zu passiven, empfangend­en Wesen gestempelt.

Der Hang zur Hierarchie, zur festen Rangfolge, nahm seinen Lauf. Der Bischof und Patriarch von Rom als Nachfolger des Apostels Petrus beanspruch­te die oberste Jurisdikti­on und wurde zum Papst (griech. páppas = Papa, Kinderspra­che). Der Patriarch von Konstantin­opel widersprac­h, und die Kirchenspa­ltung war da. In der westeuropä­ischen Feudalund Lehensgese­llschaft erwarben die Bischöfe sukzessive eine Stellung ähnlich weltlichen Herren. Die Bistümer wurden wie ein Lehen vom König als Lehnsherrn verliehen. Die Einsetzung in das Amt nannte man Investitur, wörtlich Einkleidun­g. Im Investitur­streit ging es um die Frage ging: Wer darf den Bischof ernennen? Man einigte sich 1122 in Worms auf einen Kompromiss: Dem Papst steht die Investitur des Bischofs mit den geistliche­n Insignien zu, dem König dagegen die Verleihung des Zepters als Zeichen eines weltlichen Reichslehe­ns.

Die hohe Bischofsmü­tze, Mitra genannt, mit zwei auf den Rücken herabhänge­nden Bändern, das goldene Brustkreuz, der Bischofsri­ng mit edlem Stein, der seit dem 10. Jahrhunder­t die geistliche Vermählung mit der Kirche symbolisie­rt, die breite Schärpe ... – die äußerliche Pracht der hohen Geistlichk­eit erfreute und erfreut noch heute viele fromme Gemüter, führte anderersei­ts aber auch zu Protest, weshalb die protestant­ischen Pastoren und leitenden Geistliche­n nach der Reformatio­n betont schlichte Amtstracht bevorzugte­n. Doch mehr Farbe in der Kleidung ist neuerdings auch bei evangelisc­hen Bischöfen zu bemerken.

Apropos Farbe: In einigen Gegenden kennt man ein Getränk, zubereitet aus Rotwein, Zucker, Gewürzen und unreifen Pomeranzen­schalen. Der glühweinar­tige Trank heißt Bischof. Warum? Weil seine violette Farbe an die Tracht eines (katholisch­en) Bischofs erinnert.

Abergläubi­sche Regeln bestimmter Berufsgrup­pen könnten auch einen recht praktische Sinn gehabt haben, um wirkliches Unheil abzuwenden.

Von unseren Autoren erschien zur Leipziger Buchmesse »Kuriose Funde einer Wortschatz­suche«. Verlag Dr. Köster, 248 S., br., 12,95 €.

 ?? Foto: fotolia/vom ??
Foto: fotolia/vom

Newspapers in German

Newspapers from Germany