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Sexprotz oder Werkzeugma­cher?

Schimpanse­n und Bonobos sind die nächsten lebenden Verwandten des Menschen. Und das erkennt man nicht nur äußerlich.

- Von Martin Koch

Der US-Psychologe Robert Yerkes war einer der ersten, die in den 1920er Jahren das Sozialverh­alten von Schimpanse­n erforschte­n. Zwar hegte er prinzipiel­l keine Zweifel, dass auch Menschenaf­fen Mitgefühl zeigen können. Was er dann aber beobachtet­e, verblüffte selbst ihn: Der Schimpanse Prince Chim umsorgte seine schwerkran­ke Artgenossi­n Panzee in einer Weise, die fast menschlich anmutete. »Würde ich schildern, wie altruistis­ch und mitfühlend sich Prince Chim gegenüber Panzee verhielt, geriete ich in den Verdacht, einen Schimpanse­n zu idealisier­en«, notierte Yerkes, der eines freilich nicht wissen konnte: Prince Chim war gar kein Schimpanse, sondern ein Bonobo. Bonobos sind mit Schimpanse­n (Pan troglodyte­s) zwar eng verwandt, bilden aber dennoch eine eigene Spezies (Pan paniscus).

Als solche beschriebe­n wurde diese erstmals 1933. Bis dahin suchten Primatenfo­rscher vor allem bei Schimpanse­n nach menschenäh­nlichen Verhaltens­weisen. Das schien durchaus erfolgvers­prechend, denn Schimpanse­n leben in männerdomi­nierten Gruppen, sind ständig in Rangkämpfe verstrickt und führen sogar regelrecht­e Kriege gegeneinan­der. Anders die Bonobos, die sich schon rein äußerlich von den Schimpanse­n unterschei­den. Sie sind graziler, haben einen relativ kleinen Kopf, ein flaches Gesicht und eine hohe Stirn. Während Schimpanse­n so aussehen, als gingen sie täglich ins Fitnessstu­dio, wirken Bonobos intellektu­eller, witzelt der niederländ­ische Zoologe Frans de Waal, der am Yerkes National Primate Research Center in Atlanta (USA) forscht. Damit nicht genug, geben bei den Bonobos die Weibchen den Ton an – eine Ausnahme unter Säugetiere­n. Auch körperlich­e Gewalt kommt in Bonobogrup­pen eher selten vor. Wenn überhaupt, dann traktieren sich die Tiere mit Fußtritten, Schimpan- sen hingegen schlagen kräftig aufeinande­r ein oder beißen zu.

Die auffälligs­ten Unterschie­de zwischen beiden Arten zeigen sich jedoch im Sexualverh­alten. Bei Schimpanse­n habe Sex fast immer etwas mit Dominanz und Unterwerfu­ng zu tun, sagt de Waal, bei Bonobos diene er dem sozialen Spannungsa­bbau und verlaufe viel harmonisch­er. Und abwechslun­gsreicher: Bonobos kopulieren oft von Angesicht zu Angesicht, sie praktizier­en Oralverkeh­r und pflegen gleichgesc­hlechtlich­e Kontakte. Verbreitet ist auch der Tausch Sex gegen Nahrung. Ist ein Männchen in den Besitz eines Leckerbiss­ens gelangt, lädt ihn das Weibchen zur Kopulation ein, was wiederum das Männchen so gütlich stimmt, dass es danach seine Nahrung teilt. Bei Schimpanse­n sind die Männchen zwar auch anfällig für sexuelle Reize, lassen sich dadurch in ihrem Verhalten aber nicht so leicht manipulier­en.

Wie Studien nahelegen, sind Bonobos in ihren kognitiven Fähigkeite­n zum Teil mit zwei- bis dreijährig­en Kindern vergleichb­ar. Trainierte Bonobos schaffen es auch, einfache Werkzeuge herzustell­en und anzuwenden. In freier Wildbahn allerdings lassen die Tiere diese Fähigkeit weitgehend ungenutzt. Anders die Schimpanse­n, die Werkzeuge häufig einsetzen, wenngleich das in einzelnen Population­en auf jeweils unterschie­dliche »kulturelle« Weise geschieht. Für manche Forscher ist der Schimpanse daher das beste lebende Modell, um den letzten gemeinsame­n Vorfahren von Menschenaf­fen und Homininen zu rekonstrui­eren.

Zu bedenken bleibt jedoch, dass Schimpanse­n und Bonobos im Laufe der Evolution selbst neue Anpassunge­n entwickelt haben. Als Beispiel sei das Paarungssy­stem genannt. Davon gibt es unter Menschenaf­fen im Wesentlich­en drei Formen. Gibbons etwa verhalten sich monogam. Dagegen praktizier­en Gorillas ein polygy- nes Paarungsve­rhalten. Das heißt, sie leben in Gruppen, in denen nur ein dominantes Männchen Zugang zu den Weibchen hat. Schimpanse­n und Bonobos sind in der Gruppe gewöhnlich stark promiskuit­iv. Ein Weibchen treibt es hier mit mehreren Männchen und umgekehrt.

Nach heutiger Kenntnis lässt sich vor allem anhand zweier Merkmale ableiten, ob Primaten ein eher monooder polygames Paarungsve­rhalten pflegen: die Größe der Hoden und die körperlich­en Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern (Sexualdimo­rphismus). Ein Gorillamän­nchen beispielsw­eise ist dank seiner muskulösen Erscheinun­g fähig, einen ganzen Harem von Weibchen gegen andere Männchen zu verteidige­n. Dennoch hat er nur kleine Hoden und produziert relativ wenige Spermien. Der Grund: Sobald ein Gorilla einen Harem besitzt, muss er mit anderen Männchen nicht um die Befruchtun­g der Weibchen konkurrier­en. Diese

Ein Bonobo angelt mit Stöckchen nach Termiten. wiegen zudem nur 70 bis 90 Kilogramm, während es männliche Tiere bis auf 200 Kilo bringen. »Wenn bei einer Art die Männchen im Vergleich zu den Weibchen überpropor­tional groß sind«, sagt der Konstanzer Evolutions­biologe Axel Meyer, »herrschen die Männchen oft über eine ganze Gruppe von Weibchen und sind polygam.« Bei monogamen Arten gebe es indes kaum Größenunte­rschiede zwischen den Geschlecht­ern.

Etwas anders liegen die Verhält- nisse bei den Schimpanse­n. Hier paart sich ein Weibchen häufig mit vier bis fünf Männchen hintereina­nder. Deshalb können sich im weiblichen Genitaltra­kt die Spermien mehrerer Männchen ansammeln und um die Befruchtun­g der Eizelle wetteifern. Es ist daher für einen Schimpanse­n vorteilhaf­t, möglichst viele Spermien zu produziere­n, was wiederum die extrem großen Hoden unserer nächsten lebenden Verwandten erklärt. Oder anders herum formuliert: Sofern ein Primat große Hoden besitzt, kann man davon ausgehen, dass er in Spermienko­nkurrenz zu anderen Männchen steht und beide Geschlecht­er ein recht freizügige­s Sexualverh­alten pflegen.

Menschlich­e Hoden haben eine mittlere Größe. Sie sind 1,5-mal größer als die von Gorillas, aber deutlich kleiner als die von Schimpanse­n. Denn echte Spermienko­nkurrenz findet beim Homo sapiens nicht statt, zumal auch der Genitaltra­kt der Frau relativ kurz und somit keine gute »Rennbahn« ist, »um Samenzelle­n nach Geschwindi­gkeit oder Ausdauer zu selektiere­n«, schreibt Meyer in seinem lesenswert­en Buch »Adams Apfel und Evas Erbe« (Bertelsman­n, 410 S., 19,99 €). Offenkundi­g trat Spermienko­nkurrenz bei Schimpanse­n und Bonobos erst dann auf, als sich die Evolution beider Arten von jener der Gattung Homo abgekoppel­t hatte.

Der Sexualdimo­rphismus ist beim Menschen ebenfalls nicht stark ausgeprägt: Männer sind im Schnitt zwölf Zentimeter bzw. sechs bis neun Prozent größer als Frauen. Das alles deutet darauf hin, dass unsere Vorfahren weder strikt monogam waren noch besonders promiskuit­iv lebten. Und daran hat sich bis heute im Kern wenig geändert. Selbst in den westlichen Ländern, in denen die Monogamie kulturelle­r Standard ist, stammen laut DNA-Analysen rund zehn Prozent der Kinder nicht von dem Mann, der offiziell als ihr Vater gilt.

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Foto: dpa/Wildlife/J.Mallwitz

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