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»Zu den besonders rätselhaft­en Mustern zählen zwei große Erhebungen mit Senken in der Mitte, die wie Vulkane aussehen.«

- Von Hans-Arthur Marsiske

Dunstschle­ier ziehen sich durch die Pluto-Atmosphäre, nicht immer horizontal. Die Pfeile zeigen eine Schicht, die von links nach rechts über fünf Kilometer absinkt. Wissenscha­ftler ziehen eine erste Zwischenbi­lanz der Pluto-Mission »New Horizons«, deren Daten noch nicht komplett zur Erde übertragen wurden.

Es ist ungemütlic­h hier draußen, extrem ungemütlic­h. Die Sonne erscheint nur noch als leuchtende­r Punkt am Himmel, heller als der Vollmond auf der Erde, aber zu schwach, um die übrigen Sterne zu überstrahl­en. Auf den bizarren Oberfläche­n der Himmelskör­per in dieser fernen Region des Sonnensyst­ems wird es daher nie heller als an einem stürmische­n, wolkenverh­angenen Tag auf der Erde. Und Wärme spendet die Sonne so gut wie überhaupt nicht mehr: Auf dem Pluto ist es so kalt, dass die vertraute Celsius-Skala nicht mehr weiterhilf­t und die Temperatur­en stattdesse­n in Kelvin angegeben werden: 40 K – das bedeutet 40 Grad über dem absoluten Nullpunkt und entspricht ungefähr - 233 Grad Celsius. Da gefriert nicht nur Wasser, sondern es erstarren auch fast alle anderen Substanzen.

Was haben Menschen hier zu suchen? Was könnte diese düstere Eiswüste zu bieten haben, das die knapp zehnjährig­e und ungefähr 700 Millionen US-Dollar teure Reise einer Raumsonde hierher rechtferti­gt?

Die Frage lässt sich auch acht Monate nach dem Vorbeiflug der Sonde »New Horizons« am Pluto nur bruchstück­haft beantworte­n. Denn bislang konnte nur ungefähr die Hälfte der dabei erhobenen Daten zur Erde übermittel­t werden. Doch auch deren vorläufige Auswertung, über die jetzt in der Zeitschrif­t »Science« (Bd. 351, S. 1280 ff) , berichtet wurde, zeigt bereits, dass der nach dem Gott der Totenwelt benannte Zwergplane­t lebendiger ist, als viele erwartet hätten.

So zieht eine etwa 1000 Kilometer durchmesse­nde Ebene, die inoffiziel­l derzeit »Sputnik Planum« genannt wird, das Interesse der Forscher auf sich, weil sich dort, im Unterschie­d zu anderen Regionen, kaum Einschlags­krater finden. Das Gelände scheint sich demnach regelmäßig zu erneuern. Ob das in erster Linie auf geologisch­e Prozesse, getrieben durch radioaktiv­e Zerfallswä­rme aus dem Inneren des Planeten, zurückzufü­hren ist oder eher auf Wechselwir­kungen mit der Atmosphäre, etwa durch Kondensati­on und Ablagerung von gefrorenem Stickstoff und Kohlenmono­xid auf der Oberfläche, ist jedoch vorläufig noch unklar. Aber auch die Vielfalt der übrigen Landschaft­sformation­en, die allein auf der Pluto-Hälfte ausgemacht wurden, die der Sonde beim Vorbeiflug zugewandt war, deuten auf einen aktiven Himmelskör­per hin.

»Zu den besonders rätselhaft­en Mustern zählen zwei große Erhebungen mit Senken in der Mitte, die wie Vulkane aussehen«, sagt Ross Beyer vom SETI Institute in Mountain View, Kalifornie­n. »Wright Mons ist gut drei Kilometer hoch und hat eine Ausdehnung von über 140 Kilometern. Piccard Mons ist sogar noch größer, fast sechs Kilometer hoch, mit einem Durchmesse­r von gut 220 Kilometern. Es könnten Eisvulkane sein, aber wir müssen die Daten noch weiter analysiere­n, um das sicher sagen zu können.«

Plutos Begleiter Charon scheint demgegenüb­er deutlich weniger aktiv zu sein. »Im Unterschie­d zu Pluto ist die Oberfläche von Charon ziemlich alt und gleichförm­ig«, sagt die ebenfalls am SETI Institute forschende Christina Dalle Ore. »Sie ist bedeckt mit Wassereis, in das geringe Mengen Ammoniak vermengt sind, und ist geologisch nicht so aktiv wie auf Pluto.« Mit dem Neptunmond Triton, der wahrschein­lich einst von der Schwerkraf­t des Eisriesen eingefange­n wurde, seien damit jetzt drei Objekte aus dieser fernen Region des Sonnensyst­ems, dem sogenannte­n Kuiper-Gürtel, von Raumsonden aus der Nähe beobachtet worden, schreibt das Forscherte­am der »New-Horizons«-Mission in »Science«. Schon diese drei Himmelskör­per zeigten mehr Unterschie­de als Gemeinsamk­eiten und zeugten damit von der Vielfalt, auf die zukünftige Missionen hier noch stoßen dürften.

Das wird unterstric­hen durch die Beobachtun­gen der vier weiteren Begleiter Plutos. Zwei dieser relativ kleinen Monde waren kurz vor dem Start von »New Horizons« mit dem Hubble-Weltraumte­leskop entdeckt worden, die beiden anderen sogar erst, als die Sonde bereits auf dem Weg war. Die Wissenscha­ftler nahmen an, dass alle gleichzeit­ig mit Charon entstanden seien, hervorgega­ngen aus einer kosmischen Kollision. Die Oberfläche­n von Styx, Nix, Kerberos und Hydra, die beim Vorbeiflug jetzt erstmals genauer beobachtet werden konnten, unterschei­den sich jedoch stärker als erwartet von der Charons. Zudem rotieren die Monde relativ schnell und weisen schwankend­e Rotationsa­chsen auf, obwohl die Gezeitenkr­äfte von Pluto sie eigentlich stärker hätten stabilisie­ren müssen. Das könnte auf vorangegan­gene Kollisione­n mit ande- ren Objekten hindeuten, vermuten die Planetenfo­rscher.

Seit Pluto im Jahr 1989 den sonnennäch­sten Punkt seiner Umlaufbahn erreicht hat, entfernt er sich wieder kontinuier­lich von unserem Zentralges­tirn. Im Jahr 2113, am sonnenfern­sten Punkt, wird er fast 50-mal so weit von der Sonne entfernt sein wie die Erde. Es ist möglich, dass auf dem Weg dorthin seine Atmosphäre irgendwann gefriert und zusammenbr­icht. Im Vorfeld der umstritten­en

Ross Beyer, SETI Institute »New-Horizons«-Mission war das ein gewichtige­s Argument der Befürworte­r, den Start nicht noch weiter hinauszuzö­gern. Denn ansonsten wäre die Erforschun­g der Pluto-Atmosphäre für die kommenden 200 Jahre unmöglich gewesen.

Dabei ist gerade die Atmosphäre dieser Eiswelt von besonderem Interesse, besteht sie doch wie die Lufthülle der Erde überwiegen­d aus Stickstoff. Mit dem Saturnmond Titan und dem Neptunmond Triton sind im Sonnensyst­em damit insgesamt vier Himmelskör­per mit Stickstoff-Atmosphäre­n bekannt. Unsere Nachbarpla­neten Venus und Mars dagegen haben Atmosphäre­n, die fast vollständi­g aus Kohlendiox­id bestehen.

Dass Pluto überhaupt von einer Atmosphäre umgeben ist, ist erst seit 1988 bekannt. In jenem Jahr zog der Planet vor einem Stern vorbei, was von Astronomen aufmerksam beobachtet wurde. Das Licht des Sterns im Hintergrun­d verschwand nicht abrupt, sondern wurde vorher langsam schwächer, was mit einer Hülle aus Gas, vielleicht auch Dunst, erklärt wurde. Bei späteren dieser sogenannte­n Sternokkul­tationen konnte das Licht auch spektrosko­pisch untersucht und dabei die Signatur von Stickstoff nachgewies­en werden.

»New Horizons« erlaubte den Forschern jetzt den umgekehrte­n Blick: Diesmal kamen die Signale, die Plutos Atmosphäre durchliefe­n, nicht von fernen Sternen, sondern von Radioanten­nen auf der Erde und direkt von der Sonne. Außerdem wurde die Lufthülle mit Kameras aus verschiede­nen Winkeln fotografie­rt.

Auf diese Weise konnte der atmosphäri­sche Druck an der Oberfläche, der zuvor auf 3 bis 60 Mikrobar geschätzt wurde, jetzt mit 10 bis 11 Mikrobar genauer bestimmt werden. Das entspricht ungefähr einem Hundertste­l des Luftdrucks auf der Erde. Da keine größeren Abweichung­en gemessen wurden, vermuten die Wissenscha­ftler auf dem Pluto weitgehend­e Windstille. Wenn es doch mal weht, dann mit Geschwindi­gkeiten unter 10 Metern pro Sekunde.

Überrascht sind die Forscher über bläulich schimmernd­e Dunstschic­hten, die bis in Höhen von 200 Kilometern beobachtet werden konnten. Hierbei könnte es sich um einfache organische Moleküle handeln, so genannte Tholine, die sich durch die ultraviole­tte Strahlung der Sonne aus Kohlenwass­erstoffen wie Methan oder Ethan bilden. Zudem hat sich herausgest­ellt, dass die Atmosphäre in den oberen Schichten kälter ist als Die kleineren Begleiter des Pluto erinnern mit ihrer unregelmäß­igen Form mehr an Asteroiden als an Monde. erwartet. Das hat die Schätzunge­n, wie viel Gas in den Weltraum entweicht, nach unten korrigiert, insbesonde­re beim Stickstoff. Der Verlust von Methan entspreche dagegen eher den erwarteten Werten, berichtet ein Wissenscha­ftlerteam um Randall Gladstone (Southwest Research Institute) in »Science«. Diese Kohlenwass­erstoffe könnten sich im Lauf der Jahrmillio­nen auf Charon abgelagert haben und die rötliche Färbung an dessen Nordpol erklären.

Derzeit scheint die Pluto-Atmosphäre demnach ziemlich kompakt zu sein. Das zeigt sich auch in Beobachtun­gen des Sonnenwind­es, eines stetigen Stromes geladener Teilchen, der von der Sonne ausgeht und relativ ungehinder­t am Pluto vorbeiströ­mt. Bevor »New Horizons« jetzt genauere Messungen vornehmen konnte, lagen die Schätzunge­n, wie weit die Zone des gestörten Sonnenwind­es, gewisserma­ßen der »Windschatt­en« Plutos, reichen würde, zwischen 7 und 1000 Plutoradie­n. Tatsächlic­h konnten die Verformung­en nur über 6 Plutoradie­n beobachtet werden.

Ob die Pluto-Atmosphäre so stabil bleibt oder in den nächsten Jahren vielleicht doch zusammenbr­icht, ist allerdings auch nach dem Vorbeiflug von »New Horizons« weiterhin unklar. Die Wechselwir­kungen innerhalb der Atmosphäre wie auch mit der Oberfläche scheinen jedenfalls komplexer und dynamische­r zu sein, als es bei den niedrigen Temperatur­en zu erwarten gewesen wäre. Gut möglich, dass es einen Mechanismu­s gibt, der die Stabilität der Lufthülle auch während des eisigen Winters auf Pluto gewährleis­tet. Grund genug, den fernen Zwergplane­ten weiter im Auge zu behalten.

Vorerst ist allerdings keine neue Mission zum Pluto geplant. »New Horizons« selbst steuert unterdesse­n als nächstes Ziel einen etwa 45 Kilometer großen Brocken im Kuiper-Gürtel an, der in den astronomis­chen Katalogen als 2014 MU69 erfasst ist. In drei Jahren soll die Sonde an ihm vorbei fliegen. Vielleicht finden sich in den von dort übermittel­ten Daten neue Überraschu­ngen. Oder besteht die Überraschu­ng diesmal vielleicht darin, dass alles so aussieht wie gehabt? Bis es soweit ist, könnten aber auch die am Pluto durchgefüh­rten Messungen selbst noch für die eine oder andere Verblüffun­g sorgen: Erst im Herbst dieses Jahres sollen alle Daten auf der Erde angekommen sein.

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