»Zu den besonders rätselhaften Mustern zählen zwei große Erhebungen mit Senken in der Mitte, die wie Vulkane aussehen.«
Dunstschleier ziehen sich durch die Pluto-Atmosphäre, nicht immer horizontal. Die Pfeile zeigen eine Schicht, die von links nach rechts über fünf Kilometer absinkt. Wissenschaftler ziehen eine erste Zwischenbilanz der Pluto-Mission »New Horizons«, deren Daten noch nicht komplett zur Erde übertragen wurden.
Es ist ungemütlich hier draußen, extrem ungemütlich. Die Sonne erscheint nur noch als leuchtender Punkt am Himmel, heller als der Vollmond auf der Erde, aber zu schwach, um die übrigen Sterne zu überstrahlen. Auf den bizarren Oberflächen der Himmelskörper in dieser fernen Region des Sonnensystems wird es daher nie heller als an einem stürmischen, wolkenverhangenen Tag auf der Erde. Und Wärme spendet die Sonne so gut wie überhaupt nicht mehr: Auf dem Pluto ist es so kalt, dass die vertraute Celsius-Skala nicht mehr weiterhilft und die Temperaturen stattdessen in Kelvin angegeben werden: 40 K – das bedeutet 40 Grad über dem absoluten Nullpunkt und entspricht ungefähr - 233 Grad Celsius. Da gefriert nicht nur Wasser, sondern es erstarren auch fast alle anderen Substanzen.
Was haben Menschen hier zu suchen? Was könnte diese düstere Eiswüste zu bieten haben, das die knapp zehnjährige und ungefähr 700 Millionen US-Dollar teure Reise einer Raumsonde hierher rechtfertigt?
Die Frage lässt sich auch acht Monate nach dem Vorbeiflug der Sonde »New Horizons« am Pluto nur bruchstückhaft beantworten. Denn bislang konnte nur ungefähr die Hälfte der dabei erhobenen Daten zur Erde übermittelt werden. Doch auch deren vorläufige Auswertung, über die jetzt in der Zeitschrift »Science« (Bd. 351, S. 1280 ff) , berichtet wurde, zeigt bereits, dass der nach dem Gott der Totenwelt benannte Zwergplanet lebendiger ist, als viele erwartet hätten.
So zieht eine etwa 1000 Kilometer durchmessende Ebene, die inoffiziell derzeit »Sputnik Planum« genannt wird, das Interesse der Forscher auf sich, weil sich dort, im Unterschied zu anderen Regionen, kaum Einschlagskrater finden. Das Gelände scheint sich demnach regelmäßig zu erneuern. Ob das in erster Linie auf geologische Prozesse, getrieben durch radioaktive Zerfallswärme aus dem Inneren des Planeten, zurückzuführen ist oder eher auf Wechselwirkungen mit der Atmosphäre, etwa durch Kondensation und Ablagerung von gefrorenem Stickstoff und Kohlenmonoxid auf der Oberfläche, ist jedoch vorläufig noch unklar. Aber auch die Vielfalt der übrigen Landschaftsformationen, die allein auf der Pluto-Hälfte ausgemacht wurden, die der Sonde beim Vorbeiflug zugewandt war, deuten auf einen aktiven Himmelskörper hin.
»Zu den besonders rätselhaften Mustern zählen zwei große Erhebungen mit Senken in der Mitte, die wie Vulkane aussehen«, sagt Ross Beyer vom SETI Institute in Mountain View, Kalifornien. »Wright Mons ist gut drei Kilometer hoch und hat eine Ausdehnung von über 140 Kilometern. Piccard Mons ist sogar noch größer, fast sechs Kilometer hoch, mit einem Durchmesser von gut 220 Kilometern. Es könnten Eisvulkane sein, aber wir müssen die Daten noch weiter analysieren, um das sicher sagen zu können.«
Plutos Begleiter Charon scheint demgegenüber deutlich weniger aktiv zu sein. »Im Unterschied zu Pluto ist die Oberfläche von Charon ziemlich alt und gleichförmig«, sagt die ebenfalls am SETI Institute forschende Christina Dalle Ore. »Sie ist bedeckt mit Wassereis, in das geringe Mengen Ammoniak vermengt sind, und ist geologisch nicht so aktiv wie auf Pluto.« Mit dem Neptunmond Triton, der wahrscheinlich einst von der Schwerkraft des Eisriesen eingefangen wurde, seien damit jetzt drei Objekte aus dieser fernen Region des Sonnensystems, dem sogenannten Kuiper-Gürtel, von Raumsonden aus der Nähe beobachtet worden, schreibt das Forscherteam der »New-Horizons«-Mission in »Science«. Schon diese drei Himmelskörper zeigten mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten und zeugten damit von der Vielfalt, auf die zukünftige Missionen hier noch stoßen dürften.
Das wird unterstrichen durch die Beobachtungen der vier weiteren Begleiter Plutos. Zwei dieser relativ kleinen Monde waren kurz vor dem Start von »New Horizons« mit dem Hubble-Weltraumteleskop entdeckt worden, die beiden anderen sogar erst, als die Sonde bereits auf dem Weg war. Die Wissenschaftler nahmen an, dass alle gleichzeitig mit Charon entstanden seien, hervorgegangen aus einer kosmischen Kollision. Die Oberflächen von Styx, Nix, Kerberos und Hydra, die beim Vorbeiflug jetzt erstmals genauer beobachtet werden konnten, unterscheiden sich jedoch stärker als erwartet von der Charons. Zudem rotieren die Monde relativ schnell und weisen schwankende Rotationsachsen auf, obwohl die Gezeitenkräfte von Pluto sie eigentlich stärker hätten stabilisieren müssen. Das könnte auf vorangegangene Kollisionen mit ande- ren Objekten hindeuten, vermuten die Planetenforscher.
Seit Pluto im Jahr 1989 den sonnennächsten Punkt seiner Umlaufbahn erreicht hat, entfernt er sich wieder kontinuierlich von unserem Zentralgestirn. Im Jahr 2113, am sonnenfernsten Punkt, wird er fast 50-mal so weit von der Sonne entfernt sein wie die Erde. Es ist möglich, dass auf dem Weg dorthin seine Atmosphäre irgendwann gefriert und zusammenbricht. Im Vorfeld der umstrittenen
Ross Beyer, SETI Institute »New-Horizons«-Mission war das ein gewichtiges Argument der Befürworter, den Start nicht noch weiter hinauszuzögern. Denn ansonsten wäre die Erforschung der Pluto-Atmosphäre für die kommenden 200 Jahre unmöglich gewesen.
Dabei ist gerade die Atmosphäre dieser Eiswelt von besonderem Interesse, besteht sie doch wie die Lufthülle der Erde überwiegend aus Stickstoff. Mit dem Saturnmond Titan und dem Neptunmond Triton sind im Sonnensystem damit insgesamt vier Himmelskörper mit Stickstoff-Atmosphären bekannt. Unsere Nachbarplaneten Venus und Mars dagegen haben Atmosphären, die fast vollständig aus Kohlendioxid bestehen.
Dass Pluto überhaupt von einer Atmosphäre umgeben ist, ist erst seit 1988 bekannt. In jenem Jahr zog der Planet vor einem Stern vorbei, was von Astronomen aufmerksam beobachtet wurde. Das Licht des Sterns im Hintergrund verschwand nicht abrupt, sondern wurde vorher langsam schwächer, was mit einer Hülle aus Gas, vielleicht auch Dunst, erklärt wurde. Bei späteren dieser sogenannten Sternokkultationen konnte das Licht auch spektroskopisch untersucht und dabei die Signatur von Stickstoff nachgewiesen werden.
»New Horizons« erlaubte den Forschern jetzt den umgekehrten Blick: Diesmal kamen die Signale, die Plutos Atmosphäre durchliefen, nicht von fernen Sternen, sondern von Radioantennen auf der Erde und direkt von der Sonne. Außerdem wurde die Lufthülle mit Kameras aus verschiedenen Winkeln fotografiert.
Auf diese Weise konnte der atmosphärische Druck an der Oberfläche, der zuvor auf 3 bis 60 Mikrobar geschätzt wurde, jetzt mit 10 bis 11 Mikrobar genauer bestimmt werden. Das entspricht ungefähr einem Hundertstel des Luftdrucks auf der Erde. Da keine größeren Abweichungen gemessen wurden, vermuten die Wissenschaftler auf dem Pluto weitgehende Windstille. Wenn es doch mal weht, dann mit Geschwindigkeiten unter 10 Metern pro Sekunde.
Überrascht sind die Forscher über bläulich schimmernde Dunstschichten, die bis in Höhen von 200 Kilometern beobachtet werden konnten. Hierbei könnte es sich um einfache organische Moleküle handeln, so genannte Tholine, die sich durch die ultraviolette Strahlung der Sonne aus Kohlenwasserstoffen wie Methan oder Ethan bilden. Zudem hat sich herausgestellt, dass die Atmosphäre in den oberen Schichten kälter ist als Die kleineren Begleiter des Pluto erinnern mit ihrer unregelmäßigen Form mehr an Asteroiden als an Monde. erwartet. Das hat die Schätzungen, wie viel Gas in den Weltraum entweicht, nach unten korrigiert, insbesondere beim Stickstoff. Der Verlust von Methan entspreche dagegen eher den erwarteten Werten, berichtet ein Wissenschaftlerteam um Randall Gladstone (Southwest Research Institute) in »Science«. Diese Kohlenwasserstoffe könnten sich im Lauf der Jahrmillionen auf Charon abgelagert haben und die rötliche Färbung an dessen Nordpol erklären.
Derzeit scheint die Pluto-Atmosphäre demnach ziemlich kompakt zu sein. Das zeigt sich auch in Beobachtungen des Sonnenwindes, eines stetigen Stromes geladener Teilchen, der von der Sonne ausgeht und relativ ungehindert am Pluto vorbeiströmt. Bevor »New Horizons« jetzt genauere Messungen vornehmen konnte, lagen die Schätzungen, wie weit die Zone des gestörten Sonnenwindes, gewissermaßen der »Windschatten« Plutos, reichen würde, zwischen 7 und 1000 Plutoradien. Tatsächlich konnten die Verformungen nur über 6 Plutoradien beobachtet werden.
Ob die Pluto-Atmosphäre so stabil bleibt oder in den nächsten Jahren vielleicht doch zusammenbricht, ist allerdings auch nach dem Vorbeiflug von »New Horizons« weiterhin unklar. Die Wechselwirkungen innerhalb der Atmosphäre wie auch mit der Oberfläche scheinen jedenfalls komplexer und dynamischer zu sein, als es bei den niedrigen Temperaturen zu erwarten gewesen wäre. Gut möglich, dass es einen Mechanismus gibt, der die Stabilität der Lufthülle auch während des eisigen Winters auf Pluto gewährleistet. Grund genug, den fernen Zwergplaneten weiter im Auge zu behalten.
Vorerst ist allerdings keine neue Mission zum Pluto geplant. »New Horizons« selbst steuert unterdessen als nächstes Ziel einen etwa 45 Kilometer großen Brocken im Kuiper-Gürtel an, der in den astronomischen Katalogen als 2014 MU69 erfasst ist. In drei Jahren soll die Sonde an ihm vorbei fliegen. Vielleicht finden sich in den von dort übermittelten Daten neue Überraschungen. Oder besteht die Überraschung diesmal vielleicht darin, dass alles so aussieht wie gehabt? Bis es soweit ist, könnten aber auch die am Pluto durchgeführten Messungen selbst noch für die eine oder andere Verblüffung sorgen: Erst im Herbst dieses Jahres sollen alle Daten auf der Erde angekommen sein.