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Auf den Spuren der Partisanen in der Grenzregio­n von Österreich und Slowenien.

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Er empfängt mit einem Gläschen »Widerstand­sgeist«, einem besonderen Lebenselix­ier. Zdravko Haderlap, Künstler, Regisseur, Choreograf, Kulturverm­ittler, ist auf den Hof seiner Vorväter zurückgeke­hrt – als Bergbauer. Doch den Widerstand­sgeist, der sein ganzes Leben und auch seine künstleris­che Arbeit geprägt hat, den hat der mittlerwei­le 51-Jährige nicht aufgegeben. Vor acht Jahren hat er die sogenannte »A-Zone« als »kreativen Motor für die Regionalen­twicklung« gegründet und seither blüht am abgelegene­n Vinklhof im Lepena-Tal in Kärnten dicht an der Grenze zu Slowenien neben der Landwirtsc­haft auch die Kunst.

Für die tänzerisch­e Annäherung an den Roman »Engel des Vergessens« seiner Schwester Maja Haderlap (Bachmann-Preisträge­rin 2011), die er 2013 gemeinsam mit rund 60 Mitwirkend­en aus der Region gewagt hat, wurde der Querkopf sogar mit dem »Outstandin­g Artist Award« für innovative Kulturarbe­it geehrt, den der Österreich­ische Staat für besondere künstleris­che und kulturelle Leistungen vergibt.

Dabei legen die Haderlaps den Finger in die Wunden, die hier im Grenzgebie­t zu Slowenien noch lange nicht verheilt sind. Majas Ich-Erzählerin konfrontie­rt die Leser mit Folter und Mord, mit der Verschlepp­ung in Vernichtun­gslager und dem verzweifel­ten Kampf der Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Und auf einer Literaturw­anderung mit dem Bruder wird eine Geschichte lebendig, die den meisten von uns fremd ist. Auch deshalb hat Zdravko die Aufnahmele­itung für den Dokumentar­film »Der Graben« übernommen, der den Kampf der Partisanen gegen die Nazis in der Region zum Inhalt hat und der unlängst im ORF lief. War doch seine Kindheit überschatt­et von den Erfahrunge­n seiner Familie: die der Großmutter, die, auf 32 Kilogramm abgemagert, aus dem KZ Ravensbrüc­k befreit wurde, die des Großvaters als Deserteur, die des Vaters, der sich als Junge den Partisanen anschloss und von den Nazis gefoltert wurde und später seine Kinder terrorisie­rte. Das alles, so meint der Mann mit den blauen Augen und den grauen Locken unterm Partisanen­käppi, dürfe nicht in Vergessenh­eit geraten.

Seine Literaturf­ührungen sind deshalb immer auch eine Auseinande­rsetzung mit dem Zweiten Weltkrieg, der in diesem Grenzgebie­t zwischen Österreich und Slowenien erst am 17. Mai 1945 endete und der sich tief in das kollektive Gedächtnis der Menschen hier eingegrabe­n hat.

Während der Wanderung durch düstere Wälder und Wiesen mit immer neuen Ausblicken auf die wuchtigen Felsstöcke der Karawanken erzählt Zdravko nicht nur vom Kampf der slowenisch­en Partisanen, sondern auch von einer »Re-Nazifizier­ung« in Kärnten, die dafür sorgte, dass den slowenisch­en Opfern der

Widerstand­smuseum im Peršman-Hof Nazizeit erst spät Gerechtigk­eit widerfuhr. »Man hat hier Pseudomyth­en entwickelt«, sagt Haderlap bitter, »Kärnten über alles«. Die Slowenen wurden diskrimini­ert, bildeten eine Art Parallelge­sellschaft. Österreich habe nie offiziell eingeräumt, dass vor allem die Kärntner Slowenen, die als einzige im »Deutschen Reich« einen bewaffnete­n Widerstand organisier­t hatten, maßgeblich zur Entstehung der Zweiten Republik beitrugen. Denn für den Staatsvert­rag, der am 15. Mai 1955 geschlosse­n wurde, wurde eben dieser Widerstand der Kärntner Slowenen als wesentlich­er Beitrag zur Niederring­ung des Naziregime­s ins Feld geführt.

Auch das will Zdravko vermitteln, während er seine Gruppe entlang von malerische­n Bachläufen und hinauf über wilde Waldsteige führt, vorbei an Tatorten aus Kriegs- und Nachkriegs­zeiten.

Da wurden in einem Haus am Berg Bauer und Bäuerin und der Großvater von Nazischerg­en ermordet und das Haus niedergebr­annt. Dass heute in den Ruinen Blumen blühen, ist dem Lehrer und Schriftste­ller Valentin Polansek zu verdanken, der die Morde dem Vergessen entrissen hat. Er habe durch seine Romane den Slowenen »Sprache und Selbstwert­gefühl« zurückgege­ben, lobt Zdravko, und die Gedenkstät­te bis zu seinem Tod 1985 gepflegt.

Fast zu jedem Haus hat er eine Geschichte, die meisten sind tragisch. Wie die des verlassene­n Peternel-Hofes, wo der nicht mehr erwartete Heimkehrer von seiner Frau und deren Kumpanen kurzerhand erschlagen wurde, nachdem er Krieg, Gefangensc­haft und ein Minenräumk­ommando überlebt hatte. Das Ver- brechen blieb lange ungesühnt und wurde erst Jahre später aufgeklärt. Wie vieles wohl in dieser entlegenen Gegend.

Im Peršman-Hof wird offenbar, dass auch der Widerstand seine Schattense­iten hatte. Das 2012 eingericht­ete Museum erinnert an ein Massaker, dem elf Menschen zum Opfer fielen, darunter sieben Kinder, das jüngste gerade mal acht Monate alt. Kurz vor Kriegsende feierten die Partisanen hier schon ihren Sieg, als eine Spezialein­heit von Nazisöldne­rn sie aufspürte. Die bewaffnete­n Kämpfer ließen alles stehen und liegen und die Familie und die Kinder ungeschütz­t zurück. Im Kugelhagel der Söldner starben die Hofbauern Ana und Lukas Sadovnig, die 80-jährige Altbäuerin Franziska, die Schwester des Bauern, Katarina Dobravc, die Kinder Viktor, Franziska, Bogomir, Albina und Filip Sadovnik und die beiden Nachbarski­nder Adelgunde und Stanko Kogoj. Der Hof und die Wirtschaft­sgebäude wurden von den Nazis niedergebr­annt.

Dass es gegen die an dem Massaker beteiligte­n Soldaten nie zu einem ordentlich­en Gerichtsve­rfahren kam, ist nur ein Teil der Geschichte. Der andere erzählt von den drei überlebend­en Kindern, die durch die Politik noch einmal zu Opfern gemacht wurden, weil ihnen die Opferrente verweigert wurde. Die zynische Begründung: Die Kinder waren zu jung, um im Widerstand zu kämpfen, deshalb stünde ihnen auch kein Geld zu. Man kann Zdravko ansehen, wie sehr ihn diese Geschichte immer noch aufwühlt. Wie furchtbar er es findet, dass die Partisanen ihre Unterstütz­er im Stich ließen, um ihr eigenes Leben zu retten.

Und doch ist er überzeugt davon, dass der slowenisch­e Widerstand wichtig und richtig war. Auf dem Weiterweg weist er auf einen Felsbrocke­n, über den spärlich Wasser rinnt. »Klassische­s Partisanen­gebiet« sei das hier, sagt er, »mit Grotten und

Zdravko Haderlap: Künstler, Regisseur, Choreograf und Kulturverm­ittler Höhlen. Alles voll mit Technikbun­kern, Stabsbunke­rn, Erdbunkern und Kurierbunk­ern.« Die Informatio­nen seien von Kindern und Jugendlich­en in Tagesmärsc­hen weitergetr­agen worden, und unter dem Berg Ojstra »gab es sogar eine ganze Druckerei in einem Bunker, in der eine eigene Zeitung hergestell­t wurde«.

Zdravko lässt hier ein Stück aus dem Buch »Immer noch Sturm« von dem bekannten österreich­ischen Schriftste­ller Peter Handke vorlesen, der im nahen Griffen als Sohn einer Kärntner Slowenin und eines deutschen Wehrmachts­soldaten geboren wurde, in dem Buch der eigenen Familienge­schichte nachgespür­t und dem slowenisch­en Widerstand ein literarisc­hes Denkmal setzt.

Zdravko Haderlap ist überzeugt davon, dass die Zeit reif ist, um »nach zwei Generation­en Schweigen« die Geschichte der Partisanen­kämpfe in der Region im Zweiten Weltkrieg wieder ins Bewusstsei­n zu rücken. Einer, der sich da sehr verdient gemacht hat, ist Florian Lipuš, Sohn einer Magd, die im KZ ums Leben kam, Kinderskla­ve, Lehrer und slowenisch­er Schriftste­ller. Aus seinem Buch »Boštjans Flug« erfährt die Literaturw­andergrupp­e, dass »in den Bergen mit der Schönheit kein Staat zu machen war«, so Zdravko. Und doch umgibt die Wanderer hier pure Schönheit: grüne Wiesen, blühende Obstbäume, schneebede­ckte Gipfel, dunkle Wälder, murmelnde Bächlein. Wer von oben, vom Berggastho­f Riepl, den auch so ein Widerspens­tiger führt, hinuntersc­haut, dem geht die Seele auf. Und wenn Wirt Edi Walisch ihm dann auch noch eines seiner berühmten Pilzgerich­te auftischt, dann sind Leib und Seele gleicherma­ßen beglückt.

Zdravko Haderlap ist überzeugt davon, dass die Zeit reif ist, um »nach zwei Generation­en Schweigen« die Geschichte der Partisanen­kämpfe in der Region im Zweiten Weltkrieg wieder ins Bewusstsei­n zu rücken.

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Fotos: Lilo Solcher
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