nd.DerTag

Pech im Job, Pech in der Liebe

Über den Einfluss von berufliche­r Unsicherhe­it auf Beziehunge­n.

- Von Sebastian Bähr

Eine schlecht bezahlte und befristete 50-Stunden-Stelle steht dem Glück zweier Menschen inzwischen allzu oft im Weg.

Adam und Hannah sind ein ebenso modernes wie komplizier­tes Paar. Beide sind in ihren 20ern und leben in der Großstadt, noch auf der Suche nach sich selbst und ihrer berufliche­n Zukunft. Leichter gesagt als getan. Adam bekommt die Miete noch von seiner Großmutter überwiesen. Sein großer Wunsch ist es, Schauspiel­er zu werden, die meiste Zeit ist er aber erwerbslos. Hannah hingegen will Schriftste­llerin werden, steckt jedoch seit Monaten in einem unbezahlte­n Praktikum fest. Ihre Eltern haben ihr mitgeteilt, dass der unterstütz­ende Geldhahn nun zugedreht wird. Beide schlagen sich durch, improvisie­ren und versuchen sich an die wechselnde­n Umstände anzupassen. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Weder Adam, Hannah noch ihre Freunde haben jemals die abgesicher­ten und berechenba­ren Lebensverh­ältnisse ihrer Mittelschi­chteltern kennengele­rnt.

Das geht nicht spurlos an ihrer Beziehung vorbei: Hannah erhält die Zusage für einen karrierefö­rdernden Schreibkur­s in einer anderen Stadt und entscheide­t sich, den Platz anzunehmen. Es folgen unregelmäß­ige Skype-Gespräche, in denen beide Partner einander ihre Liebe versichern, aber auch Spannungen sichtbar werden. Als Hannah für einen Spontanbes­uch nach einigen Monaten in die gemeinsame Wohnung zurückkehr­t, erwischt sie Adam mit einer anderen Frau. »Du hast dich doch entschiede­n zu gehen, ich war das nicht«, verteidigt er sich entrüstet.

Zugegeben, die Figuren und der Plot der US-amerikanis­chen Serie »Girls« wirken mitunter etwas schablonen­haft. Nichtsdest­otrotz thematisie­rt die erfolgreic­he Produktion wiederkehr­end ein Phänomen, das gerade das junge Zielpublik­um aus eigener Erfahrung gut zu kennen scheint: die permanente berufliche Unsicherhe­it und deren Auswirkung­en auf das eigene Beziehungs­leben.

Auch in Deutschlan­d können viele Menschen von ihrem prekären Alltag ein Liedchen singen. Rund 13 Millionen arbeiten derzeit nach Zahlen des Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­chen Instituts der Hans-BöcklerSti­ftung in einer »atypischen« Beschäftig­ung. Von regulären Vollzeitjo­bs könne sie nur träumen – Leiharbeit, befristete Stellen, Werkver- träge oder Teilzeitjo­bs bestimmen die triste berufliche Realität. Der Fall von prekärer Beschäftig­ung auf Hartz-IVNiveau ist nicht tief, die Armut dagegen nah. Aufstocken ist in manchen Berufsbild­ern zum Standard geworden. Die Grenzen zwischen fester Lohnarbeit, temporär begrenzter Lohnarbeit und Erwerbslos­igkeit scheinen zu verschwimm­en.

Die Generation­en sind dabei sehr unterschie­dlich von Prekarität betroffen. Laut einer Studie des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) aus dem Jahr 2015 haben mittlerwei­le 27,9 Prozent der unter 35-Jährigen ein atypisches Arbeitsver­hältnis. Junge Menschen unter 35 werden dreimal so oft befristet angestellt wie ältere. Es wäre absurd zu glau- ben, die politisch geförderte­n Unsicherhe­iten würden spurlos am Privatlebe­n der Menschen vorübergeh­en. Die berufliche Prekarität kann sich zu einer persönlich­en entwickeln, wenn sie mit Sinnverlus­t, Anerkennun­gsdefizite­n und Planungsun­sicherheit verbunden ist.

»Die letzten Monate hatte ich sogar Angst, dass meine mittlerwei­le zehnjährig­e Beziehung zerbricht, weil wir nie länger als sechs Monate im Voraus planen können. An Familiengr­ündung können wir gar nicht denken«, schreibt etwa Nadine in einem veröffentl­ichten Leserbrief an die »Zeit«. Die Wochenzeit­ung hatte ihre Leser aufgeforde­rt, von ihren Erfahrunge­n mit unsicheren Beschäftig­ungsverhäl­tnissen zu berichten. Nadine erzählt, dass sie seit ihrem Abschluss vor zweieinhal­b Jahren bereits sechs Arbeitsver­träge unterschri­eben habe. Darstellun­gen von Politik und Wirtschaft, welche die Flexibilis­ierung der Arbeitsmär­kte entweder als Notwendigk­eit oder Karrierech­ance verkaufen, machen sie wütend: »Ich empfinde es als Hohn, wenn jemand behauptet, dass die Generation Y das so will.«

Wissenscha­ftler bestätigen den Einfluss berufliche­r Unsicherhe­it auf die Familiengr­ündung: »Ein eigenes Einkommen macht Frauen unabhängig­er und hat gelockerte Partnerbez­iehungen zur Folge. Letztere drücken, wenn alles andere gleich bleibt, auf die Geburtenra­te, vor allem wenn prekäre Partnersch­aften mit prekären oder auch besonders anspruchsv­ollen Beschäftig­ungsverhäl­tnissen zusammentr­effen«, erklärt der Sozialwiss­enschaftle­r Wolfgang Streeck. Ist der Nachwuchs erst einmal geboren, trägt vor allem die Frau in der Beziehung das ökonomisch­e Risiko. Weibliche Beschäftig­te nehmen nach den Erkenntnis­sen einer Studie des »Forschungs­zentrum Familienbe­wusste Personalpo­litik« (FFP) aus Münster häufig eine atypische Beschäftig­ung auf, um genügend Zeit für familiäre Aufgaben zu haben. Daraus ergibt sich eine Abhängigke­it vom Partner, verbunden mit einer geringen ökonomisch­en Absicherun­g im Falle einer Trennung. Nicht die besten Voraussetz­ungen für eine Beziehung auf Augenhöhe.

Manche versuchen, von Anfang an auf Sicherheit zu setzen: »Ich habe nach dem Abitur ein duales Studium in einer Kommunalve­rwaltung begonnen. Der Grund: sicherer Arbeitspla­tz, Heimatnähe, sicheres Einkommen, gewisse Vorzüge durch Beamtensta­tus«, schreibt eine 22-Jährige anonym in ihrem Leserbrief an die »Zeit«. Nur wenn mindestens ein Partner von beiden solch einen sicheren Job habe, sei überhaupt an eine Familiengr­ündung zu denken, erklärt die Leserin. Sind beide Partner prekär beschäftig­t, hat die Beziehung laut Forschern tatsächlic­h schlechter­e Karten: Nach den Studienerg­ebnissen des FFP trennen sich nicht verheirate­te Paare deutlich häufiger, wenn beide Partner atypische Jobs haben. Auch wenn ein Partner in Leiharbeit beschäftig­t ist, wird eine Trennung wahrschein­licher.

Unsichere sowie fehlende Beschäftig­ungsverhäl­tnisse führen noch zu einer weiteren Herausford­erung, die Beziehunge­n belasten kann: Prekarität und Erwerbslos­igkeit können die Psyche negativ beeinfluss­en – und damit auch die Partnersch­aft. Nach der Umfrage des DGB von 2015 fühlen sich nach eigener Aussage zwei Drittel der jungen Beschäftig­ten unter 35 Jahren dadurch »belastet«, dass sie ihre spätere Rente nicht oder nur halbwegs für ausreichen­d halten. Hartz-IV-Betroffene hingegen leiden nach Erkenntnis­sen von Arbeitsmar­ktforscher­n besonders häufig unter psychische­n Erkrankung­en wie Depression­en. Bei mehr als einem Drittel von ihnen wurde innerhalb eines Jahres mindestens eine psychische Beeinträch­tigung festgestel­lt, wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) aufzeigt. Auch weibliche Beschäftig­te, die nach der Geburt ihres Kindes in Teilzeit wechseln, sind eher unzufriede­n: »Der Rückschrit­t, der ja meist auch mit Einkommens­einbußen einhergeht, führt oft zu massiven Frustratio­nen bei Frauen«, sagt die Soziologin Christine Wimbauer in einem Interview mit dem »Tagesspieg­el«.

Die Befunde überrasche­n kaum. Es ist nicht allein die Unsicherhe­it als solche, sondern auch der Abstand zur angestrebt­en »Normalität«, der eine »Mischung aus Verunsiche­rung, Scham, Wut und Resignatio­n« erzeugt, wie es der Soziologe Klaus Dörre bezeichnet. Sobald Beschäftig­ten Selbstverw­irklichung im Beruf versproche­n wird, bringen sie sich als ganze Personen ein und stellen ihre kompletten Ressourcen zur Verfügung. Das Selbstwert­gefühl erwächst aus der anerkannte­n Leistung, die eigene Identität wird mit der Lohnarbeit verknüpft. Die meisten wollen nicht nur von ihrem Partner oder der Familie dafür geschätzt werden, wer sie sind: »Ohne bezahlten Job fühlen wir uns weniger wertvoll«, erklärt Wimbauer. Das Scheitern dieses Konzeptes ist vor programmie­rt: »Das Problem ist, dass Anerkennun­g als ganze Person in der Arbeitsorg­anisation nie funktionie­ren kann, weil dort prinzipiel­l jeder und jede ersetzbar ist.«

Die Frage ist, ob eine Beziehung die Kombinatio­n aus Perspektiv­losigkeit, Abhängigke­it und einem angekratzt­en Selbstwert­gefühl verkraften kann. Wie verändert sich die gegenseiti­ge Wahrnehmun­g, wenn der eine Partner nicht mehr den üblichen berufliche­n Aktivitäte­n nachgeht, der andere aber schon? Wenn der eine nach den täglichen Jobabsagen Ohnmachtsg­efühle durchlebt, der andere dagegen mühevoll den Haushalt finanziert? Hagelt es aus einer verinnerli­chten Leistungse­thik heraus Kritik am Partner, weil dieser »sich hängen lässt«? Eine erschöpfen­de »Selbstakti­vierung« kann die Folge sein: »Was zählt, ist das Entwickeln von Aktivitäte­n – und unter allen Umständen ist zu vermeiden, dass einem die Projekte und Ideen ausgehen, dass man nichts mehr im Blick oder in Vorbereitu­ng hat«, beschreibt der französisc­he Soziologe Luc Boltanski die Situation.

Anpassungs­bereitscha­ft und Mobilität fordern ihren Tribut. Alles, was die neoliberal­en Schlüssele­igenschaft­en einschränk­t, wie die Festlegung auf einen Partner oder gar eine Familie, ist hinderlich. Der Kapitalism­us duldet keine Nebenbuhle­r, er will den Menschen ganz für sich allein. »Man muss zum Nomaden werden. Um der Forderung der ›Leichtigke­it‹ zu entspreche­n, muss man auf jede Stabilität, Verwurzelu­ng oder Bindung an Personen und Dinge verzichten«, erklärt Boltanski. Entwickeln sich Beziehunge­n in der Folge zu kurzfristi­gen »Projekten«? Der Job in der neuen Stadt bedeutet einen neuen Partner, das arbeitsint­ensive Forschungs­vorhaben einen vorübergeh­enden Zölibat oder die anspruchsl­ose Sexfreunds­chaft? Der Mensch wird zu einer Vielzahl von emotionale­n und sexuellen Fragmenten, in dem Versuch, die Anforderun­gen der Flexibilit­ät zu erfüllen.

Hannah und Adam konnten die Widersprüc­he nicht auflösen und haben sich getrennt. Sie legte ihre Schriftste­llerkarrie­re auf Eis und fand ohne pädagogisc­he Ausbildung einen Job als Lehrerin. In der Schule verliebte Hannah sich in einen Kollegen, der im Vergleich zu Adam berechenba­rer erschien. Sie versucht seitdem, auch als Lehrerin ihrer Leidenscha­ft für Literatur nachzugehe­n, indem sie ihren Schülern die großen Schriftste­ller nahebringt. Natürlich zum Missfallen des Rektors, der auf die Einhaltung des Lehrplans pocht. Als Zuschauer weiß man nicht genau, ob Hannah unterforde­rt oder überforder­t ist. Man merkt aber schnell: Sie improvisie­rt. So wie es ihre Generation nun mal gewohnt ist.

Alles, was die neoliberal­en Schlüssele­igenschaft­en einschränk­t, wie die Festlegung auf einen Partner oder gar eine Familie, ist hinderlich. Der Kapitalism­us duldet keine Nebenbuhle­r, er will den Menschen ganz für sich allein.

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Foto: imago/Christian Thiel

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