Pech im Job, Pech in der Liebe
Über den Einfluss von beruflicher Unsicherheit auf Beziehungen.
Eine schlecht bezahlte und befristete 50-Stunden-Stelle steht dem Glück zweier Menschen inzwischen allzu oft im Weg.
Adam und Hannah sind ein ebenso modernes wie kompliziertes Paar. Beide sind in ihren 20ern und leben in der Großstadt, noch auf der Suche nach sich selbst und ihrer beruflichen Zukunft. Leichter gesagt als getan. Adam bekommt die Miete noch von seiner Großmutter überwiesen. Sein großer Wunsch ist es, Schauspieler zu werden, die meiste Zeit ist er aber erwerbslos. Hannah hingegen will Schriftstellerin werden, steckt jedoch seit Monaten in einem unbezahlten Praktikum fest. Ihre Eltern haben ihr mitgeteilt, dass der unterstützende Geldhahn nun zugedreht wird. Beide schlagen sich durch, improvisieren und versuchen sich an die wechselnden Umstände anzupassen. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Weder Adam, Hannah noch ihre Freunde haben jemals die abgesicherten und berechenbaren Lebensverhältnisse ihrer Mittelschichteltern kennengelernt.
Das geht nicht spurlos an ihrer Beziehung vorbei: Hannah erhält die Zusage für einen karrierefördernden Schreibkurs in einer anderen Stadt und entscheidet sich, den Platz anzunehmen. Es folgen unregelmäßige Skype-Gespräche, in denen beide Partner einander ihre Liebe versichern, aber auch Spannungen sichtbar werden. Als Hannah für einen Spontanbesuch nach einigen Monaten in die gemeinsame Wohnung zurückkehrt, erwischt sie Adam mit einer anderen Frau. »Du hast dich doch entschieden zu gehen, ich war das nicht«, verteidigt er sich entrüstet.
Zugegeben, die Figuren und der Plot der US-amerikanischen Serie »Girls« wirken mitunter etwas schablonenhaft. Nichtsdestotrotz thematisiert die erfolgreiche Produktion wiederkehrend ein Phänomen, das gerade das junge Zielpublikum aus eigener Erfahrung gut zu kennen scheint: die permanente berufliche Unsicherheit und deren Auswirkungen auf das eigene Beziehungsleben.
Auch in Deutschland können viele Menschen von ihrem prekären Alltag ein Liedchen singen. Rund 13 Millionen arbeiten derzeit nach Zahlen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-BöcklerStiftung in einer »atypischen« Beschäftigung. Von regulären Vollzeitjobs könne sie nur träumen – Leiharbeit, befristete Stellen, Werkver- träge oder Teilzeitjobs bestimmen die triste berufliche Realität. Der Fall von prekärer Beschäftigung auf Hartz-IVNiveau ist nicht tief, die Armut dagegen nah. Aufstocken ist in manchen Berufsbildern zum Standard geworden. Die Grenzen zwischen fester Lohnarbeit, temporär begrenzter Lohnarbeit und Erwerbslosigkeit scheinen zu verschwimmen.
Die Generationen sind dabei sehr unterschiedlich von Prekarität betroffen. Laut einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) aus dem Jahr 2015 haben mittlerweile 27,9 Prozent der unter 35-Jährigen ein atypisches Arbeitsverhältnis. Junge Menschen unter 35 werden dreimal so oft befristet angestellt wie ältere. Es wäre absurd zu glau- ben, die politisch geförderten Unsicherheiten würden spurlos am Privatleben der Menschen vorübergehen. Die berufliche Prekarität kann sich zu einer persönlichen entwickeln, wenn sie mit Sinnverlust, Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit verbunden ist.
»Die letzten Monate hatte ich sogar Angst, dass meine mittlerweile zehnjährige Beziehung zerbricht, weil wir nie länger als sechs Monate im Voraus planen können. An Familiengründung können wir gar nicht denken«, schreibt etwa Nadine in einem veröffentlichten Leserbrief an die »Zeit«. Die Wochenzeitung hatte ihre Leser aufgefordert, von ihren Erfahrungen mit unsicheren Beschäftigungsverhältnissen zu berichten. Nadine erzählt, dass sie seit ihrem Abschluss vor zweieinhalb Jahren bereits sechs Arbeitsverträge unterschrieben habe. Darstellungen von Politik und Wirtschaft, welche die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte entweder als Notwendigkeit oder Karrierechance verkaufen, machen sie wütend: »Ich empfinde es als Hohn, wenn jemand behauptet, dass die Generation Y das so will.«
Wissenschaftler bestätigen den Einfluss beruflicher Unsicherheit auf die Familiengründung: »Ein eigenes Einkommen macht Frauen unabhängiger und hat gelockerte Partnerbeziehungen zur Folge. Letztere drücken, wenn alles andere gleich bleibt, auf die Geburtenrate, vor allem wenn prekäre Partnerschaften mit prekären oder auch besonders anspruchsvollen Beschäftigungsverhältnissen zusammentreffen«, erklärt der Sozialwissenschaftler Wolfgang Streeck. Ist der Nachwuchs erst einmal geboren, trägt vor allem die Frau in der Beziehung das ökonomische Risiko. Weibliche Beschäftigte nehmen nach den Erkenntnissen einer Studie des »Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik« (FFP) aus Münster häufig eine atypische Beschäftigung auf, um genügend Zeit für familiäre Aufgaben zu haben. Daraus ergibt sich eine Abhängigkeit vom Partner, verbunden mit einer geringen ökonomischen Absicherung im Falle einer Trennung. Nicht die besten Voraussetzungen für eine Beziehung auf Augenhöhe.
Manche versuchen, von Anfang an auf Sicherheit zu setzen: »Ich habe nach dem Abitur ein duales Studium in einer Kommunalverwaltung begonnen. Der Grund: sicherer Arbeitsplatz, Heimatnähe, sicheres Einkommen, gewisse Vorzüge durch Beamtenstatus«, schreibt eine 22-Jährige anonym in ihrem Leserbrief an die »Zeit«. Nur wenn mindestens ein Partner von beiden solch einen sicheren Job habe, sei überhaupt an eine Familiengründung zu denken, erklärt die Leserin. Sind beide Partner prekär beschäftigt, hat die Beziehung laut Forschern tatsächlich schlechtere Karten: Nach den Studienergebnissen des FFP trennen sich nicht verheiratete Paare deutlich häufiger, wenn beide Partner atypische Jobs haben. Auch wenn ein Partner in Leiharbeit beschäftigt ist, wird eine Trennung wahrscheinlicher.
Unsichere sowie fehlende Beschäftigungsverhältnisse führen noch zu einer weiteren Herausforderung, die Beziehungen belasten kann: Prekarität und Erwerbslosigkeit können die Psyche negativ beeinflussen – und damit auch die Partnerschaft. Nach der Umfrage des DGB von 2015 fühlen sich nach eigener Aussage zwei Drittel der jungen Beschäftigten unter 35 Jahren dadurch »belastet«, dass sie ihre spätere Rente nicht oder nur halbwegs für ausreichend halten. Hartz-IV-Betroffene hingegen leiden nach Erkenntnissen von Arbeitsmarktforschern besonders häufig unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen. Bei mehr als einem Drittel von ihnen wurde innerhalb eines Jahres mindestens eine psychische Beeinträchtigung festgestellt, wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aufzeigt. Auch weibliche Beschäftigte, die nach der Geburt ihres Kindes in Teilzeit wechseln, sind eher unzufrieden: »Der Rückschritt, der ja meist auch mit Einkommenseinbußen einhergeht, führt oft zu massiven Frustrationen bei Frauen«, sagt die Soziologin Christine Wimbauer in einem Interview mit dem »Tagesspiegel«.
Die Befunde überraschen kaum. Es ist nicht allein die Unsicherheit als solche, sondern auch der Abstand zur angestrebten »Normalität«, der eine »Mischung aus Verunsicherung, Scham, Wut und Resignation« erzeugt, wie es der Soziologe Klaus Dörre bezeichnet. Sobald Beschäftigten Selbstverwirklichung im Beruf versprochen wird, bringen sie sich als ganze Personen ein und stellen ihre kompletten Ressourcen zur Verfügung. Das Selbstwertgefühl erwächst aus der anerkannten Leistung, die eigene Identität wird mit der Lohnarbeit verknüpft. Die meisten wollen nicht nur von ihrem Partner oder der Familie dafür geschätzt werden, wer sie sind: »Ohne bezahlten Job fühlen wir uns weniger wertvoll«, erklärt Wimbauer. Das Scheitern dieses Konzeptes ist vor programmiert: »Das Problem ist, dass Anerkennung als ganze Person in der Arbeitsorganisation nie funktionieren kann, weil dort prinzipiell jeder und jede ersetzbar ist.«
Die Frage ist, ob eine Beziehung die Kombination aus Perspektivlosigkeit, Abhängigkeit und einem angekratzten Selbstwertgefühl verkraften kann. Wie verändert sich die gegenseitige Wahrnehmung, wenn der eine Partner nicht mehr den üblichen beruflichen Aktivitäten nachgeht, der andere aber schon? Wenn der eine nach den täglichen Jobabsagen Ohnmachtsgefühle durchlebt, der andere dagegen mühevoll den Haushalt finanziert? Hagelt es aus einer verinnerlichten Leistungsethik heraus Kritik am Partner, weil dieser »sich hängen lässt«? Eine erschöpfende »Selbstaktivierung« kann die Folge sein: »Was zählt, ist das Entwickeln von Aktivitäten – und unter allen Umständen ist zu vermeiden, dass einem die Projekte und Ideen ausgehen, dass man nichts mehr im Blick oder in Vorbereitung hat«, beschreibt der französische Soziologe Luc Boltanski die Situation.
Anpassungsbereitschaft und Mobilität fordern ihren Tribut. Alles, was die neoliberalen Schlüsseleigenschaften einschränkt, wie die Festlegung auf einen Partner oder gar eine Familie, ist hinderlich. Der Kapitalismus duldet keine Nebenbuhler, er will den Menschen ganz für sich allein. »Man muss zum Nomaden werden. Um der Forderung der ›Leichtigkeit‹ zu entsprechen, muss man auf jede Stabilität, Verwurzelung oder Bindung an Personen und Dinge verzichten«, erklärt Boltanski. Entwickeln sich Beziehungen in der Folge zu kurzfristigen »Projekten«? Der Job in der neuen Stadt bedeutet einen neuen Partner, das arbeitsintensive Forschungsvorhaben einen vorübergehenden Zölibat oder die anspruchslose Sexfreundschaft? Der Mensch wird zu einer Vielzahl von emotionalen und sexuellen Fragmenten, in dem Versuch, die Anforderungen der Flexibilität zu erfüllen.
Hannah und Adam konnten die Widersprüche nicht auflösen und haben sich getrennt. Sie legte ihre Schriftstellerkarriere auf Eis und fand ohne pädagogische Ausbildung einen Job als Lehrerin. In der Schule verliebte Hannah sich in einen Kollegen, der im Vergleich zu Adam berechenbarer erschien. Sie versucht seitdem, auch als Lehrerin ihrer Leidenschaft für Literatur nachzugehen, indem sie ihren Schülern die großen Schriftsteller nahebringt. Natürlich zum Missfallen des Rektors, der auf die Einhaltung des Lehrplans pocht. Als Zuschauer weiß man nicht genau, ob Hannah unterfordert oder überfordert ist. Man merkt aber schnell: Sie improvisiert. So wie es ihre Generation nun mal gewohnt ist.
Alles, was die neoliberalen Schlüsseleigenschaften einschränkt, wie die Festlegung auf einen Partner oder gar eine Familie, ist hinderlich. Der Kapitalismus duldet keine Nebenbuhler, er will den Menschen ganz für sich allein.