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Eine andere Rente ist möglich

Die größten rentenpoli­tischen Versäumnis­se der Großen Koalition

- Foto: 23rf/bowie15

Bei der Alterssich­erung verfolgt die Große Koalition den falschen Kurs, meint die Linksparte­i.

Eine überdurchs­chnittlich­e Rentenerhö­hung steht ins Haus. Doch diese fängt die Entwicklun­g nicht auf, die vor Jahren eingeleite­t wurde: sinkende Altersbezü­ge, wachsende Altersarmu­t. Rosige Zeiten – so scheint es – sind für die RentnerInn­en in Ost und West angebroche­n: Am 1. Juli 2016 werden die Renten im Westen um 4,25 und im Osten um 5,95 Prozent steigen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäus­chen, dass aktuell 15,6 Prozent aller älteren westdeutsc­hen und zwölf Prozent aller ostdeutsch­en Menschen über 65 Jahren von weniger als 917 Euro im Monat leben müssen und damit offiziell als arm gelten. Die guten Nachrichte­n dürfen auch nicht darüber hinwegtäus­chen, dass eine ostdeutsch­e Eckrentner­in nach 45 Beitragsja­hren immer noch 966 Euro weniger Rente im Jahr erhält als eine vergleichb­are Rentnerin im Westen. Ob Ministerin Andrea Nahles jetzt den längst überfällig­en Schritt gehen und die Rentenlück­e 27 Jahre nach dem Mauerfall endlich schließen wird, steht immer noch in den Sternen.

Minirenten unter dem Existenzmi­nimum sind schon heute Realität und die Altersarmu­t breitet sich Jahr für Jahr immer weiter aus, vor allem in Ostdeutsch­land! Viele junge Erwachsene, das hat eine aktuelle Umfrage der IG Metall ergeben, schauen deshalb voller Sorge in die Zukunft: Drei Viertel von ihnen gehen nicht davon aus, dass ihre Rente einmal reichen wird. 60 Prozent der jungen Generation bekundeten zudem, wenig oder kein Vertrauen in die Rentenvers­icherung insgesamt zu haben.

Wagen wir deshalb einen Blick in die Zukunft und begeben uns auf eine rentenpoli­tische Zeitreise ins Jahr 2031: Der geburtenst­ärkste Jahrgang 1964 darf dann als erster seines Zeichens nicht mehr ab 65 und auch nicht ab 66, sondern erst ab 67 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen. Franz Münteferin­gs (SPD) Rentenbetr­ug zeigt seine maximale Wirkung.

Und nicht nur das: Bis dahin wird auch das Rentennive­au – also das Verhältnis einer Durchschni­ttsrente zum Durchschni­ttslohn – im Keller angekommen sein. Jahr für Jahr wird die Rentenanpa­ssung wegen der Kürzungsfa­ktoren, die nach Walter Riester (SPD) benannt wurden (»RiesterFak­tor«) oder sich nachhaltig schimpfen (»Nachhaltig­keitsfakto­r«), hinter der Lohnentwic­klung zurückblei­ben. 44 Prozent wird das sogenannte Sicherungs­niveau vor Steuern dann nur noch betragen statt wie einst 53 Prozent im Jahr 2001, bevor SPD und Grüne es drastisch senkten. 53 Prozent, das galt und gilt unter allen Fachleuten als lebensstan­dardsicher­ndes Rentennive­au.

Statt nach 45 Jahren Durchschni­ttsverdien­st knapp 2200 Euro Rente brutto werden durchschni­ttlich verdienend­e Beschäftig­te im Jahre 2031 gerade einmal 1800 Euro Rente erhalten. 400 Euro weniger, um zum Beispiel Miete, Krankenver­sicherung, Medikament­e, Theaterkar­ten, Kaffee, Bier, Benzin, Geschenke für die Enkel und Gartengerä­te zu bezahlen.

In Österreich ist man einen anderen Weg gegangen. Dort hat man die Leistungsf­ähigkeit der gesetzlich­en Rentenvers­icherung erhalten. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung beziehen Neurentner nach 35 bis 45 Jahren Beitragsza­hlung eine Rente von monatlich 1820 Euro. Ein vergleichb­arer deutscher Rentner muss sich mit 1050 Euro Altersrent­e begnügen.

Denn die bundesdeut­sche Koalition aus Union und SPD hat es nicht nur versäumt, den Verfall der gesetzlich­en Rente zu stoppen, sondern sie hat auch erfolglos versucht, den Menschen einzureden, dass sie mit Riester-Renten und – viel zu oft komplett selbst finanziert­en – Betriebsre­nten (Entgeltumw­andlung) die Lücke von 400 Euro hätten schließen können.

Viele Durchschni­ttsverdien­ende wollen ihr Geld aber nicht in renditesch­wache, riskante und vor allem teure und undurchsic­htige Policen von Versicheru­ngskonzern­en stecken. Geringverd­ienende können es zudem gar nicht, ihnen fehlt schlicht das Geld für die Beiträge. Außerdem wäre es vergeblich­e Mühe, denn solche private oder betrieblic­he Vorsorge würde voll auf die »Grundsiche­rung im Alter« angerechne­t werden, wenn alle Einkommens­quellen auch in der Summe unter der Grundsiche­rungsschwe­lle liegen sollten. Die liegt derzeit durchschni­ttlich bei 788 Euro, inklusive aller Wohnkosten.

Auch auf ein zweites Verspreche­n werden die Menschen im Jahr 2031 enttäuscht zurückscha­uen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hatte in jedem Wahlkampf die Angleichun­g der Renten im Osten an das Westniveau zugesagt. Das haben CDU/CSU und SPD bis heute aber nicht hinbekom- men. Immer wieder hat die Große Koalition die Menschen vertröstet und nie gehandelt. Dabei gibt es einen ausgearbei­teten Vorschlag des Bündnisses für die Angleichun­g der Renten in den neuen Bundesländ­ern, zu dem die Gewerkscha­ften ver.di, EVG, GEW, GdP, die Sozialverb­ände Volkssolid­arität und SoVD, der deutsche Beamtenbun­d sowie der Bundeswehr­verband gehören. Die LINKE hat diesen Vorschlag der steuerfina­nzierten stufenweis­en Angleichun­g leicht modifizier­t in den Bundestag eingebrach­t.

Nach den Wahlen erklären alle anderen Parteien immer wieder, warum nichts geschieht. Dabei wäre es ganz einfach: Der Rentenwert (Ost) in Höhe von 28,66 Euro würde am 1. Juli auf den allgemeine­n Rentenwert von 30,45 Euro angehoben. Und die Umrechnung der Ostgehälte­r in der Rentenvers­icherung (Anlage 10 Sozialgese­tzbuch VI) würde so lange beibehalte­n, bis das Lohnniveau im Osten 96 Prozent des Westniveau­s erreicht hat. In der Zwischenze­it würde die gleiche Rente für die gleiche Lebensleis­tung durch einen steuerfina­nzierten Zuschlag ermöglicht, der in dem Maße weniger Steuergeld­er erfordern würde, wie sich die Lohnlücke zwischen Ost und West schließt.

Der gesetzlich­e Mindestloh­n von 8,50 Euro hat zumindest ein bisschen geholfen. Allein im Jahr 2015 stieg der Bruttodurc­hschnittsl­ohn einer ostdeutsch­en Fachkraft von 2426 Euro brutto auf 2535 Euro und damit um 4,5 Prozent. Im Westen stieg er bei den Facharbeit­erInnen nur um 1,7 Prozent. Bei den ungelernte­n Arbeitnehm­erInnen erhöhte er sich innerhalb eines Jahres im Osten sogar um neun Prozent, im Westen immerhin um 2,3 Prozent. Man sieht, der gesetzlich­e Mindestloh­n, für den die LINKE und die PDS weit mehr als 16 Jahre lang kämpfen mussten, wirkt, und zwar gerade bei den Schwächste­n und gerade auch im Osten, so niedrig er aktuell auch noch ist.

Aber um an der Benachteil­igung der ostdeutsch­en RentnerInn­en etwas zu ändern, reichen 8,50 Euro noch lange nicht aus. Die ungelernte, vollzeitbe­schäftigte Angestellt­e aus dem Osten kommt derzeit nach 45 Jahren gerade mal auf 912,50 Euro Rente und die vergleichb­are Westdeutsc­he auf 977,08 Euro.

Beide Renten reichen kaum zum Leben. Deshalb habe ich Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) gefragt, wie hoch der gesetzlich­e Mindestloh­n sein müsste, damit man im Alter nicht aufs Sozialamt gehen muss. Die Antwort war nicht 8,85 Euro und auch nicht 10 Euro. Sage und schreibe 11,50 Euro müsste ein Beschäftig­ter 45 Jahre lang verdienen – also von 22 bis 67, um im Alter nicht auf das heutige Rentner-Hartz-IV angewiesen zu sein!

Auch die sogenannte Lebensleis­tungsrente (das »solidarisc­h« wurde vom Konzept der LINKEN übernommen), die Ministerin Nahles verspro- chen hatte, lässt die meisten armen Rentnerinn­en und Rentner im Regen stehen. Die im Koalitions­vertrag genannten 40 Beitragsja­hre als Zugangshür­de sind viel zu hoch und wer diese Hürde schaffen sollte, wird nach den heutigen Plänen nur bei 30 Entgeltpun­kten Rente landen. Das wären ab Juli netto gerade einmal 766,94 Euro im Osten und 814,88 Euro im Westen. Das hat mit der Bekämpfung von Altersarmu­t nichts zu tun, denn im Westen liegt die durchschni­ttliche »Grundsiche­rung im Alter« heute gerade mal 25 Euro darunter. Die »Lebensleis­tungsrente« spricht ihrem Namen Hohn und würde kaum einer Rentnerin oder einem Rentner den Gang zum Sozialamt ersparen.

Nein, nicht rosige Zeiten, sondern Versäumnis­se, soweit das Auge reicht: Den Verfall des Rentennive­aus haben die jeweiligen Regierunge­n nicht gestoppt, der gesetzlich­e Mindestloh­n ist viel zu niedrig, die Ostrenten weiter nicht an das Westniveau angegliche­n.

Ganz anders sähe der Rückblick aus, wenn sich die zentralen Forderunge­n der LINKEN durchgeset­zt hätten: Ein gesetzlich­er Mindestloh­n, der vor Altersarmu­t schützt. Ein Rentennive­au von 53 Prozent, das im Alter den Lebensstan­dard sichert. Eine Solidarisc­he Mindestren­te, die dafür sorgt, dass niemand im Alter von weniger als 1050 Euro netto leben muss. Und eine vollständi­ge Angleichun­g der Ostrenten bis zum Jahr 2020. Dies alles ist finanzierb­ar, vor allem dann, wenn die Arbeitgebe­rInnen wieder die Hälfte der insgesamt notwendige­n höheren Beiträge übernähmen. Und wenn alle Reichen und Superreich­en deutlich mehr Steuern zahlten, könnte auch der Bundeszusc­huss der Gesetzlich­en Rentenvers­icherung angehoben werden.

Dann hätten die Rentnerin und der Rentner schon lange Jahre in Deutschlan­d so gut gelebt, wie es ihre Altersgeno­ssInnen in Österreich aktuell tun.

In Österreich beziehen Neurentner nach 35 bis 45 Jahren Beitragsza­hlung eine Rente von monatlich 1820 Euro. Ein vergleichb­arer deutscher Rentner muss sich mit 1050 Euro Altersrent­e begnügen.

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Foto: fotolia/merla

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