nd.DerTag

Gemeinsame Sache

Vielerorts setzen sich Flüchtling­e zur Wehr – mit Unterstütz­ung

- Von Tom Strohschne­ider

Die Empörung war der Meldung im griechisch­en Boulevardb­latt »To Proto Thema« anzumerken. Linke »Randgruppe­n« würden immer öfter das »Flüchtling­sproblem« in »die eigenen Hände« nehmen, hieß es da – in den vergangene­n Wochen hätten Aktivisten der linken Szene in Athen mehrere Universitä­tsgebäude besetzt und sie als Unterkünft­e an Geflüchtet­e übergeben.

Auf Fotos sind Zelte zu sehen, die auf Fluren aufgeschla­gen sind. Menschen haben sich Kochecken und private Nischen geschaffen. »To Proto Thema« empört sich, dass die Regierung noch nicht auf die »willkürlic­he Umwandlung einer aus Steuermitt­eln finanziert­en Bildungsei­nrichtung in einem Flüchtling­slager reagiert« habe.

Die Besetzer haben ihre Aktionen nicht nur mit der »Flüchtling­skrise« begründet, die in Wahrheit eine Krise der Solidaritä­t und der politisch gewollten Abschottun­g ist – Griechenla­nd hat derzeit viele der Folgen zu tragen. Für Zehntausen­de, die in dem Land festsitzen, verspricht auch der umstritten­e Deal mit dem Regime in der Türkei keine Hoffnung.

Immer wieder haben Geflüchtet­e deshalb gegen die unwürdige Behandlung protestier­t, die ihnen widerfährt. Sie glauben den Ankündigun­gen der Behörden nicht mehr, die rund 12 000 Migranten aus Idomeni angeboten hat, sie in bessere Unterkünft­e zu transporti­eren. Jedes Gerücht hingegen, das Aussicht auf eine Passage der Grenze Richtung Westen verspricht, mobilisier­t Hunderte – und dann meist auch die Polizei. Nachrichte­nagenturen behauptete­n, »dass sogenannte Aktivisten immer wieder den Migranten empfahlen, Straßen zu blockieren, um die internatio­nale Aufmerksam­keit auf sich zu ziehen«. Die »Frankfurte­r Allgemeine« verstieg sich zu einem Kommentar, in dem »radikalen Migrations­ideologen« vorgeworfe­n wurde, »die Flüchtling­e in Idomeni als Werkzeug« für Kritik an den Verhältnis­sen zu nutzen.

Nun ist es kein Geheimnis, dass sich linke und Menschenre­chtsgruppe­n für Geflüchtet­e einsetzen. Die Grenzen zwischen humanitäre­r Hilfe und Aktivismus verwischen dabei tatsächlic­h. Vergangene Woche protestier­ten 300 Mitarbeite­r von Hilfsorgan­isationen auf Lesbos gegen die Behandlung von Migranten. Sie ziehen damit am selben Strang wie Kritiker der EU-Antiasylpo­litik – und wie viele Flüchtling­e selbst. In den vergangene­n Wochen haben unter anderem in Thessaloni­ki, in Idomeni und im französisc­hen Calais Geflüchtet­e für eine bessere Behandlung protestier­t.

In linken Kreisen wird derzeit viel darüber debattiert, wie die Kämpfe der Migranten um Bewegungsf­reiheit und ein besseres Leben mit den sozialen Auseinande­rsetzungen um Würde, Arbeit und soziale Sicherheit verbunden werden können, die in europäisch­en Ländern laufen. Auch die Besetzer von Athen haben diesen Zusammenha­ng hergestell­t. Nicht zuletzt in Deutschlan­d hat es schon Versuche gegeben, selbst organisier­te Zentren für Geflüchtet­e und politische Aktivisten zu besetzen. Bisher haben die Behörden dies stets umgehend unterbunde­n. Anders als in Athen.

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