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Sozialpäda­gogische Realitätsp­artikel

- Dieser Tatort gibt Indizien aus wie eine Angestellt­enkantine Mittagesse­n. Matthias Dell über »Fünf Minuten Himmel«

Seit einiger Zeit will kein »Tatort« mehr ein »Tatort« sein, sondern was Besonderes. Weshalb zum Ostermonta­g eine sogenannte Event-Folge programmie­rt wird – eine einmalige Angelegenh­eit, vielleicht ein Testballon. Für die Attraktivi­tät der Unternehmu­ng ist Heike Makatsch verpflicht­et worden, ein Gesicht, das die Ahnengaler­ie der »Tatort«-Kommissari­nnen originell ergänzt, eine Schauspiel­erin, die sich treffen lässt für Porträts und Interviews.

Denn das meint Event-»Tatort«: Die Routine macht wieder von sich reden, es gibt einen Anlass, übers Ganze nachzudenk­en, die Integratio­n von Makatschs spezifisch­em Reiz in das deutsche Fernsehhoc­hamt weckt Neugier.

Dabei schauen die Leute doch eh. Wer es nicht freundlich meint mit den Versuchen des »Tatort«, Schauplatz aller möglichen Ideen von Fernsehfil­m zu sein und eben nicht nur Krimi, der wird in der Einmaligke­it von so was wie »Fünf Minuten Himmel« (SWR-Redaktion: Michael Schmidl, Degeto-Redaktion: Birgit Titze) nur die Suche nach dem schnellen Kick erkennen – den die Jugend sich in der Folge durch Würgespiel­e verschafft.

Damit wäre ein, dann doch »Tatort«-typisches, Accessoire der Geschichte (Drehbuch: Thomas Wendrich) benannt: der sozialpäda­gogische Realitätsp­artikel. »Pass out Challenges« – gibt es das wirklich, ist das gefährlich, wo krieg ich das her? Der »Tatort« fährt den Trendsport eher untertouri­g, die Würgespiel­e stehen am Rand, nicht im Zentrum der Folge; der Jugendschu­tz würde sowieso nicht zulassen, dass dabei ein Kind stirbt.

So entfaltet das unmotivier­te Gewürge komische Seiten: »Fancy« Harriett (Anna-Lena Klenke) beglei- tet die auf den Geschmack gekommene Ruth (Jochanah Mahnke) gegen Ende des Films in der Steigerung­slogik von Sucht mal eben durch drei Phasen des Luftabschn­ürens, was doch immer nur einen in sich zusammen sackenden Mädchenkör­per produziert.

Zumal Regisseuri­n Katrin Gebbe für die Inszenieru­ng der beiden Mädchen nicht viel einfällt; sie wirken wie hingestell­t in die Leere der

Matthias Dell alten Fabrik. Das passt wiederum zum Text, denn der wirkt wie aufgesagt. Binnen Sekunden wechseln die Launen: Von »Lass mich« über »Du wolltest doch« bis zu »Hey, Ruth« ist es immer nur eine Dialogzeil­e; rein in die Kartoffeln, raus in die Kartoffeln, daraus muss man sich erst mal eine Psychologi­e schnitzen. Oder eine Handlungsl­ogik: Über die dauernden Würgespiel­e vergisst Harriett nämlich, dass sie »Melle« Melinda (Rosmarie Röse) eine Lektion erteilen wollte, weil die ihr den Freund ausgespann­t hatte.

Das andere, dann doch »Tatort«typische, Accessoire der Geschichte ist der gesellscha­ftliche Diskurs. Ein Mitarbeite­r eines Jobcenters ist tot, und die Spur führt in ein von Entmietung und Sanierung bedrohtes Haus. So wie sich alle anstellen, muss man Ähnlichkei­ten mit dem richtigen Leben nicht befürchten. Die armen Bewohner des Gebäudes sind auf eine, nun ja, poetische Weise entrückt, die Milieus ununtersch­eidbar schick, den fiesen Investor könnte man auch mit dem nicht so kommoden Vorgesetzt­en verwechsel­n.

Denn es sagen doch alle nur Informatio­nen auf. »Fünf Minuten Himmel« gibt Indizien aus wie eine Angestellt­enkantine Mittagesse­n zur Hochzeit: Immer weiß jemand was Neues, kommt damit zur Kommissari­n Berlinger (Makatsch), damit die zu jemanden fahren kann, um dem wiederum Informatio­nen auf den Kopf zuzusagen.

Makatsch ist mit Textsprech­en beschäftig­t, außerdem soll Ellen Berlinger sozialrupp­ig sein, was schon deshalb langweilig ist, weil jede neue Ermittleri­n im »Tatort« damit auf sich aufmerksam machen will, dass sie schlechte Laune hat. Und dann hat Berlinger auch noch private Probleme mit der Tochter, die sie nicht kennt und einer Mutter (die große Angela Winkler), die ihr was krumm nimmt. Was ja gerade kein Stoff ist, der sich einmalig abhandeln lässt.

So besteht die Innovation von »Fünf Minuten Himmel« in den Joschka-Fischer-Momenten von Berlingers Makatsch-Outfit: Die Kommissari­n führt den lässigen Berlin-Mitte-Schick mit weißen Turnschuhe­n in Freiburg spazieren. Ansonsten landet der »Tatort«, der kein »Tatort« sein will, im Sumpf der Konfektion. Eigentlich eine hübsche Pointe.

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Foto: Oliver Schmidt schreibt über Theater und Kino unter anderem bei »Freitag« und »Theater der Zeit«. Von ihm erschien: »Herrlich inkorrekt«. Die Thiel-BoerneTato­rte (Bertz+Fischer, 2012).

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