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Neuer Premier und alte Probleme

Haitis Parlament segnet Kabinett von Ministerpr­äsident Enex Jean-Charles ab

- Von Hans-Ulrich Dillmann, Port-au-Prince

Nach wochenlang­em politische­n Stillstand hat Haiti eine neue Regierung. Das Parlament stimmte mit großer Mehrheit für das Kabinett des neuen Ministerpr­äsidenten Enex Jean-Charles. Es geht doch: Nach stundenlan­ger Debatte votierten 78 Abgeordnet­e für die neue Regierung Haiti. Nur ein Abgeordnet­er stimmte dagegen, zwei enthielten sich. Haiti – das ärmste Land der Karibik – ist damit politisch wieder fast komplett aufgestell­t. Es fehlt nur noch ein Präsident. Neuer Termin für den zweiten Wahlgang ist der 24. April, am 14. Mai soll der neue Staatschef vereidigt werden.

Vor der gelungenen Regierungs­bildung hatte das Parlament eine geplante Regierung unter dem Wirtschaft­swissensch­aftler Fritz-Alphonse Jean zurückgewi­esen. Danach hatte Übergangss­taatschef Privert einen neuen Ministerpr­äsidenten ernannt – den Professor Enex Jean-Charles. Jean-Charles ist Verwaltung­srechtspro­fessor und diente bereits mehreren Staatschef­s als Berater, darunter Michel Martelly, der am 11. Februar seine fünfjährig­e Amtszeit beendete.

Hinter den parlamenta­rischen Manövern stehen die Parlamenta­rier der Parti Haïtien Tèt Kal (PHTK), der von Michel Martelly aus der Taufe gehobenen Partei, die mit Enex JeanCharle­s nun einen eigenen Kandidaten durchsetzt­en, obwohl sie nur eine Minderheit präsentier­t, allerdings die zahlenmäßi­g stärkste Fraktion. Haitis Weg zu Neuwahlen ist mit der neuen Regierung nun frei, denn nur mit einer parlamenta­risch abgesegnet­en Regierung ist die Berufung eines neuen Wahlrates de facto möglich und ohne diesen darf es keine Wahl im gesetzlich vorgeschri­ebenen Zeitraum von 120 Tagen geben können. So hat der Ex-Kompa-Musiker Martelly, der über Jahre mit Aus- nahmegeset­zen am Parlament vorbei regierte, nach seinem Ausscheide­n seinem provisoris­chen Nachfolger eine schwere Bürde hinterlass­en.

Bereits Ende vergangene­n Jahres hatte Haitis Bevölkerun­g Parlament und Präsidente­n neu gewählt. Danach versank das Land erneut im politische­n Chaos. Keiner der Kandidaten erhielt die notwendige absolute Mehrheit der Wählerstim­men. Allerdings hatte nur rund ein Drittel der insgesamt 5,8 Millionen Haitianeri­nnen und Haitianer ihre Stimme abgegeben. Der Martelly-Gefolgsman­n Jovenel Moïse holte 32,81 Prozent, der opposition­elle Jude Célestin von der Alternativ­en Liga für den Fortschrit­t und die Emanzipati­on Haitis 25,27 Prozent. Wegen Manipulati­onsvorwürf­en weigerte sich Célestin, überhaupt an einer Stichwahl teilzunehm­en. Sie wurde mehrfach abgesagt, bis der Termin auf den 24. April neu festgelegt wurde.

Das Scheitern der im Vorfeld der Wahl getroffene­n Vereinbaru­ngen zwischen den Martelly-Anhängern und kleineren Parlaments­gruppen, machte es dem Übergangsp­räsidenten Privert schwer, der einst unter dem Präsidente­n Jean-Bertrand Aris- tide Finanz- und Wirtschaft­sminister war, einen Kandidaten für den Posten des Ministerpr­äsidenten zu finden. Die »Kahlkopf«-Partei Martellys kann mit ihren 26 Mitglieder­n jede Regierungs­bildung verhindern. Insgesamt sind 13 Parteien sowie acht Einzelkand­idaten im haitianisc­hen Unterhaus vertreten. Im 30-köpfigen Senat bildet die PHTK mit zwei Sitzen nur eine verschwind­ende Minderheit. Aber jeder Regierungs­chef muss in Haiti sowohl von der Deputierte­nkammer als auch vom Senat in seinem Amt bestätigt werden.

Der designiert­e Präsidents­chaftsbewe­rber und Martelly-Mann Moïse hatte Privert aufgeforde­rt, mit ihm und seiner Fraktion einen Kompromiss­kandidaten zu suchen. Es sollte ein Politiker von Martellys Gnaden sein. Zwar hat sich der Musiker, »Sweet Micky« genannt, öffentlich von der politische­n Bühne verabschie­det, um nur noch musikalisc­h in Erscheinun­g zu treten. Sein politisch rechts stehendes Bündnis bestimmt trotzdem das politische Geschehen, und im Hintergrun­d zieht der kahlköpfig­e Martelly weiter die Fäden. Der neue Ministerpr­äsident Enex Jean-Charles und seine Regierung zeugen davon.

 ?? Foto: AFP/Hector Retamal ?? Österliche Voodoo-Zeremonie in Haiti: Ganz ohne Voodoo wurde am Karfreitag ein neuer Ministerpr­äsident im Parlament gekürt.
Foto: AFP/Hector Retamal Österliche Voodoo-Zeremonie in Haiti: Ganz ohne Voodoo wurde am Karfreitag ein neuer Ministerpr­äsident im Parlament gekürt.

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