»Der Frieden beginnt auf den Feldern«
Kolumbiens Regierung begegnet der Ungleichheit in ländlichen Gegenden mit widersprüchlichen Ansätzen
Die bei den Friedensverhandlungen zwischen der Guerilla und Kolumbiens Regierung beschlossene Agrarreform soll Kleinbauern fördern. Trotzdem ebnet Bogotá den Weg für den Ausbau des Agrobusiness. Die Menschen in der kleinen Stadt Orucué an den Ufern des Río Meta haben schon Vieles den Strom hinauf und hinab kommen sehen. Der Fluss, der die Savanne bei Hochwasser regelmäßig flutet, ist eine jener Adern, die sich von der Andenkordillere hinab in die östliche Tiefebene Kolumbiens schlängeln. Erst kamen die christlichen Missionare, dann spanische Siedler und irgendwann begannen der Kautschukboom und die Erdölausbeutung alle möglichen Glücksritter in den bis heute wenig besiedelten Osten Kolumbiens zu treiben. Nennenswerte landwirtschaftliche Produktion gibt es bis heute kaum. Auf den nicht selten illegal angeeigneten Latifundien grasen Rinder der Großgrundbesitzer. Doch das soll sich ändern. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos war das erste Staatsoberhaupt, das vor einigen Wochen nach Orucué fand. Er meinte, die Kleinstadt sei der geeignete Ort, um ein neues und sehr umstrittenes Gesetz über »Interessengebiete für ländliche, wirtschaftliche und soziale Entwicklung« zu unterzeichnen, das in Kolumbien unter der Abkürzung »Zidres« bekannt ist.
Mit diesen Sonderzonen von bis zu 800 000 Hektar Umfang will die Regierung den Ausbau der landwirtschaftlichen Produktion in jenen Regionen Kolumbiens fördern, die weit entfernt von städtischen Zentren liegen, nur über schlechte Infrastruktur verfügen und für die es aufgrund der klimatischen und landwirtschaftlichen Beschaffenheit großer Investitionen bedarf, um den Anbau landwirtschaftlicher Produkte profitabel zu machen. Erfüllt ein Gebiet eine lange Liste von wirtschaftlichen und sozialen Kriterien, können Investoren die Einrichtung einer solchen Sonderzone bei den Behörden beantragen. Die Grundstücksbesitzer in den betroffenen Regionen können sich der Initiative anschließen und mit staatlichen Fördermitteln, Investitionen in die Infrastruktur und günstigen Krediten rechnen.
Besonders die dünn besiedelte und bisher vor allem von der Erdölförderung dominierte östliche Tiefebene Kolumbiens sieht Santos als potenzielle Kornkammer, die einen Beitrag zur Ernährungssicherheit des Landes leisten soll. Die Region habe das Potenzial, so Santos in Ourcué vollmundig, die Anbauflächen für Soja, Mais und Reis um teilweise mehr als das Hundertfache auf bis zu eine Million Hektar zu vergrößern. Die Initiative hat auch die Unterstützung der UN-Welternährungsorganisation FAO. Deren Generaldirektor José Graziano da Silva hatte es sich nicht nehmen lassen, bis nach Orucué zu kommen, um Santos bei dem öffentlichen Auftritt zu unterstützen. »Der Frieden beginnt auf den Feldern, und es kann weder Frieden ohne Ernährungssicherheit noch Ernährungssicherheit ohne Frieden geben«, sagte Graziano mit Blick auf die Friedensverhandlungen zwischen der FARCGuerilla und der kolumbianischen Regierung in Havanna, die kurz vor dem Abschluss stehen. Dann soll auch die vereinbarte Umsetzung zahlreicher Maßnahmen zur Unterstützung kleinbäuerlicher Produktion wie die gerechtere Verteilung von Landbesitz beginnen. Die Ungleichheit im ländlichen Kolumbien gilt als eine Kernursache des bewaffneten Konflikts und der sozialen Spannungen.
Heftige Kritik an den Zidres äußerten Teile der linken Opposition und ein Bündnis nationaler und internationaler zivilgesellschaftlicher Organisationen. Der Senatsabgeordnete Alberto Castilla von der Sam- melpartei »Polo Democrático« sagte, die Zidres stünden den im Rahmen des Friedensprozesses vereinbarten Maßnahmen zum Wohl der Kleinbauern diametral gegenüber. »Es begünstigt ausschließlich die großen Unternehmen«, so Castilla.
In der Tat stellt das neue Gesetz einen neuen Schritt zur Ausweitung der industriellen Agrarproduktion im Land dar, auf den die Agrarindustrie José Graziano da Silva, Generaldirektor FAO seit mehreren Jahren gedrängt und welche die Regierung bereits mehrfach versucht hatte, mit einer neuen Gesetzgebung zu ermöglichen. Rechtlich verhindert hatte große Agrarprojekte in der Region bislang vor allem ein Gesetz aus den 90er Jahren, das Anhäufung von großen Ag- rarflächen und den Kauf staatlichen Brachlandes nur in kleineren Einheiten erlaubte, um kleinbäuerliche Landwirtschaft zu schützen und zu fördern. Ein Mechanismus, der durch das neue Gesetz ausgehebelt wird.
Der juristische Trick: Das Brachland wird nicht an die Investoren überschrieben, sondern mittels Pacht oder Konzession für mehrere Jahrzehnte überlassen. Die Einnahmen aus diesen Verträgen sollen in die kleinbäuerliche Agrarproduktion zurückfließen. »Ob Investor, Kleinbauer, die Region, in der bislang nichts produziert wird oder das ganze Land: Am Ende gewinnen wir alle«, betonte Santos in Orucué, wo eine der ersten Zidres entstehen soll.
Die Nichtregierungsorganisation Oxfam sieht das anders. Eine Sprecherin bezeichnete die Zidres als Initiative zur »Förderung der ländlichen Unterentwicklung.« Sie ignoriere die Rechte der örtlichen Bauern und deren Produktionsweise, hieß es in einer Stellungnahme. Die Zidres seien weder sozial noch ökologisch nachhaltig und drängten die Bauern in eine ungleiche Partnerschaft mit den Investoren. Jene Bauern, deren Grundstück in einer Sonderzone liegen, müssten mit Enteignung rechnen, wenn sie sich nicht dem vorgesehenen Agrarprojekt anschließen wollten. »Sie verlieren ihre Autonomie als Bauern«, heißt es in einer Verfassungsklage, die ein Bündnis von Agrarorganisationen vor wenigen Tagen beim Verfassungsgericht des Landes einreichte. Zudem, so Oxfam, werde mit dem Gesetz der von Unternehmen mit unerlaubten Mitteln angeeignete Landbesitz nachträglich legalisiert. In den vergangenen Jahren hatten Großunternehmen wie der USKonzern Cargill oder kolumbianische Zuckerrohrfirmen zahlreiche kleine Subunternehmen gegründet, um sich kleinere Grundstücke von erlaubter Größe anzueignen und sodann zu einer Anbaufläche zusammenzuführen.
Zahlreiche Wirtschaftsverbände hingegen begrüßten das Inkrafttreten des Gesetzes. Es schaffe Rechtssicherheit und ziehe dadurch die benötigten Investoren an. »Das Gesetz stärkt die soziale, wirtschaftliche, politische und ökologische Entwicklung in den Sonderzonen«, sagte der Präsident der kolumbianischen Landwirtschaftsvereinigung Rafaél Mejia. »Wir erwarten seine baldige Implementierung.«
»Es kann weder Frieden ohne Ernährungssicherheit, noch Ernährungssicherheit ohne Frieden geben.«