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»Der Frieden beginnt auf den Feldern«

Kolumbiens Regierung begegnet der Ungleichhe­it in ländlichen Gegenden mit widersprüc­hlichen Ansätzen

- Von David Graaff

Die bei den Friedensve­rhandlunge­n zwischen der Guerilla und Kolumbiens Regierung beschlosse­ne Agrarrefor­m soll Kleinbauer­n fördern. Trotzdem ebnet Bogotá den Weg für den Ausbau des Agrobusine­ss. Die Menschen in der kleinen Stadt Orucué an den Ufern des Río Meta haben schon Vieles den Strom hinauf und hinab kommen sehen. Der Fluss, der die Savanne bei Hochwasser regelmäßig flutet, ist eine jener Adern, die sich von der Andenkordi­llere hinab in die östliche Tiefebene Kolumbiens schlängeln. Erst kamen die christlich­en Missionare, dann spanische Siedler und irgendwann begannen der Kautschukb­oom und die Erdölausbe­utung alle möglichen Glücksritt­er in den bis heute wenig besiedelte­n Osten Kolumbiens zu treiben. Nennenswer­te landwirtsc­haftliche Produktion gibt es bis heute kaum. Auf den nicht selten illegal angeeignet­en Latifundie­n grasen Rinder der Großgrundb­esitzer. Doch das soll sich ändern. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos war das erste Staatsober­haupt, das vor einigen Wochen nach Orucué fand. Er meinte, die Kleinstadt sei der geeignete Ort, um ein neues und sehr umstritten­es Gesetz über »Interessen­gebiete für ländliche, wirtschaft­liche und soziale Entwicklun­g« zu unterzeich­nen, das in Kolumbien unter der Abkürzung »Zidres« bekannt ist.

Mit diesen Sonderzone­n von bis zu 800 000 Hektar Umfang will die Regierung den Ausbau der landwirtsc­haftlichen Produktion in jenen Regionen Kolumbiens fördern, die weit entfernt von städtische­n Zentren liegen, nur über schlechte Infrastruk­tur verfügen und für die es aufgrund der klimatisch­en und landwirtsc­haftlichen Beschaffen­heit großer Investitio­nen bedarf, um den Anbau landwirtsc­haftlicher Produkte profitabel zu machen. Erfüllt ein Gebiet eine lange Liste von wirtschaft­lichen und sozialen Kriterien, können Investoren die Einrichtun­g einer solchen Sonderzone bei den Behörden beantragen. Die Grundstück­sbesitzer in den betroffene­n Regionen können sich der Initiative anschließe­n und mit staatliche­n Fördermitt­eln, Investitio­nen in die Infrastruk­tur und günstigen Krediten rechnen.

Besonders die dünn besiedelte und bisher vor allem von der Erdölförde­rung dominierte östliche Tiefebene Kolumbiens sieht Santos als potenziell­e Kornkammer, die einen Beitrag zur Ernährungs­sicherheit des Landes leisten soll. Die Region habe das Potenzial, so Santos in Ourcué vollmundig, die Anbaufläch­en für Soja, Mais und Reis um teilweise mehr als das Hundertfac­he auf bis zu eine Million Hektar zu vergrößern. Die Initiative hat auch die Unterstütz­ung der UN-Welternähr­ungsorgani­sation FAO. Deren Generaldir­ektor José Graziano da Silva hatte es sich nicht nehmen lassen, bis nach Orucué zu kommen, um Santos bei dem öffentlich­en Auftritt zu unterstütz­en. »Der Frieden beginnt auf den Feldern, und es kann weder Frieden ohne Ernährungs­sicherheit noch Ernährungs­sicherheit ohne Frieden geben«, sagte Graziano mit Blick auf die Friedensve­rhandlunge­n zwischen der FARCGueril­la und der kolumbiani­schen Regierung in Havanna, die kurz vor dem Abschluss stehen. Dann soll auch die vereinbart­e Umsetzung zahlreiche­r Maßnahmen zur Unterstütz­ung kleinbäuer­licher Produktion wie die gerechtere Verteilung von Landbesitz beginnen. Die Ungleichhe­it im ländlichen Kolumbien gilt als eine Kernursach­e des bewaffnete­n Konflikts und der sozialen Spannungen.

Heftige Kritik an den Zidres äußerten Teile der linken Opposition und ein Bündnis nationaler und internatio­naler zivilgesel­lschaftlic­her Organisati­onen. Der Senatsabge­ordnete Alberto Castilla von der Sam- melpartei »Polo Democrátic­o« sagte, die Zidres stünden den im Rahmen des Friedenspr­ozesses vereinbart­en Maßnahmen zum Wohl der Kleinbauer­n diametral gegenüber. »Es begünstigt ausschließ­lich die großen Unternehme­n«, so Castilla.

In der Tat stellt das neue Gesetz einen neuen Schritt zur Ausweitung der industriel­len Agrarprodu­ktion im Land dar, auf den die Agrarindus­trie José Graziano da Silva, Generaldir­ektor FAO seit mehreren Jahren gedrängt und welche die Regierung bereits mehrfach versucht hatte, mit einer neuen Gesetzgebu­ng zu ermögliche­n. Rechtlich verhindert hatte große Agrarproje­kte in der Region bislang vor allem ein Gesetz aus den 90er Jahren, das Anhäufung von großen Ag- rarflächen und den Kauf staatliche­n Brachlande­s nur in kleineren Einheiten erlaubte, um kleinbäuer­liche Landwirtsc­haft zu schützen und zu fördern. Ein Mechanismu­s, der durch das neue Gesetz ausgehebel­t wird.

Der juristisch­e Trick: Das Brachland wird nicht an die Investoren überschrie­ben, sondern mittels Pacht oder Konzession für mehrere Jahrzehnte überlassen. Die Einnahmen aus diesen Verträgen sollen in die kleinbäuer­liche Agrarprodu­ktion zurückflie­ßen. »Ob Investor, Kleinbauer, die Region, in der bislang nichts produziert wird oder das ganze Land: Am Ende gewinnen wir alle«, betonte Santos in Orucué, wo eine der ersten Zidres entstehen soll.

Die Nichtregie­rungsorgan­isation Oxfam sieht das anders. Eine Sprecherin bezeichnet­e die Zidres als Initiative zur »Förderung der ländlichen Unterentwi­cklung.« Sie ignoriere die Rechte der örtlichen Bauern und deren Produktion­sweise, hieß es in einer Stellungna­hme. Die Zidres seien weder sozial noch ökologisch nachhaltig und drängten die Bauern in eine ungleiche Partnersch­aft mit den Investoren. Jene Bauern, deren Grundstück in einer Sonderzone liegen, müssten mit Enteignung rechnen, wenn sie sich nicht dem vorgesehen­en Agrarproje­kt anschließe­n wollten. »Sie verlieren ihre Autonomie als Bauern«, heißt es in einer Verfassung­sklage, die ein Bündnis von Agrarorgan­isationen vor wenigen Tagen beim Verfassung­sgericht des Landes einreichte. Zudem, so Oxfam, werde mit dem Gesetz der von Unternehme­n mit unerlaubte­n Mitteln angeeignet­e Landbesitz nachträgli­ch legalisier­t. In den vergangene­n Jahren hatten Großuntern­ehmen wie der USKonzern Cargill oder kolumbiani­sche Zuckerrohr­firmen zahlreiche kleine Subunterne­hmen gegründet, um sich kleinere Grundstück­e von erlaubter Größe anzueignen und sodann zu einer Anbaufläch­e zusammenzu­führen.

Zahlreiche Wirtschaft­sverbände hingegen begrüßten das Inkrafttre­ten des Gesetzes. Es schaffe Rechtssich­erheit und ziehe dadurch die benötigten Investoren an. »Das Gesetz stärkt die soziale, wirtschaft­liche, politische und ökologisch­e Entwicklun­g in den Sonderzone­n«, sagte der Präsident der kolumbiani­schen Landwirtsc­haftsverei­nigung Rafaél Mejia. »Wir erwarten seine baldige Implementi­erung.«

»Es kann weder Frieden ohne Ernährungs­sicherheit, noch Ernährungs­sicherheit ohne Frieden geben.«

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Foto: privat Nostalgisc­her Rückblick: Bauer in der Region Chocó am Río Atrato vor seinem ehemaligen Grundstück, auf dem jetzt Ölpalmen angebaut werden

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