nd.DerTag

Eine Schwäche für traurige Helden

Nobelpreis­träger Mario Vargas Llosa ist achtzig geworden

- Von Uwe Stolzmann

Mitte März kommt Post aus Berlin, ein Bändchen der Insel-Bücherei. Der Verlag macht viele schöne Titel, aber dieser Band erfreut besonders; er elektrisie­rt dich, den Betrachter. Auf dem Cover: fünf junge Männer, Halbstarke mit James-Dean-Frisuren, mit dem Touch der Fifties, einer schaut dich an. Drei Jungen sind dunkel, förmlich gekleidet, zwei aber nackt bis auf die Shorts. Hinter ihnen erkennst du Wellen, offene See, einen Ozean unter graugrünem Himmel. Es ist kalt, das siehst du auf der Zeichnung von Kat Menschik, ein strenger Wind geht, und die zwei Halbstarke­n werden wohl gleich in dieses feindliche Meer steigen.

Über der Gruppe, im Winterhimm­el, klebt das Titelschil­d. »Sonntag«. Ein knapper Text von Mario Vargas Llosa. Der Romancier aus Peru ist am Montag achtzig geworden; seine Verleger haben ihm und den Lesern mit diesem Band ein feines Geschenk gemacht. Vor dem Titelblatt findest du ein Jugendport­rät des Autors, flächig und räumlich, ein Menschik-Werk von visueller Wucht: sinnlicher Mund, buschige Brauen und scharfer Blick, er verschling­t den Leser. So muss Vargas Llosa 1959 ausgesehen haben. In jenem Jahr erschien die Geschichte in der Sammlung »Die Anführer«. 1993 gab es eine erste deutsche Übersetzun­g; für das schmucke Bändchen hat Thomas Brovot den »Sonntag« nun noch einmal übersetzt.

»Er hielt kurz die Luft an, die Fingernäge­l in die Handfläche­n gebohrt«, so beginnt die Geschichte, »und sagte, ganz schnell: ›Ich bin verliebt in dich.‹« Miguel, ein Teenager aus Lima, begehrt Flora. »Er sah, wie sie gleich errötete, als hätte ihr jemand auf die Wangen geschlagen.« Miguel weiß: Auch sein Kumpel Rubén begehrt die zarte Flora. Noch heute, an diesem Sonntag, will er sie verführen. Miguel und Rubén gehören zur selben Clique, sie sind »Rabengeier«. Doch Anführer Rubén hat bessere Karten, alle Mädchenher­zen fliegen ihm zu; er nimmt sie alle und lässt sie dann fallen.

Nach dem Kirchgang trifft sich die Clique in der Kneipe. Rubén drängt es zu Flora, doch Miguel provoziert eine Sauferei, sie endet unentschie­den. Am Nachmittag zieht die Clique an den Strand, im eisigen Pazifik wollen die zwei Kampfhähne nun den Stärkeren küren. Ihr Weg: durch die Uferbrandu­ng, durch Sog und Wirbel hinaus zu den großen Brechern. Miguel hat keine Chance, doch er kämpft, und seur, gespielt von Anne Diemer. Ein Conferenci­er mit fliegenden Rockschöße­n. Führt durch die Handlung, ist der böse Verführer. Wie der Zeremonien­meister aus dem Kit Kat Klub des »Cabaret«-Films.

Ein siebenköpf­iges Ensemble in insgesamt vierzehn Rollen. Rasanz und Rhythmik. Tanz und Travestie. weit draußen gibt Rubén plötzlich auf. Magenkramp­f, er ruft: »Miguel, Bruder, komm, ich ertrinke, bleib bei mir!«

Der Dichter Mario Vargas Llosa hat eine Schwäche für traurige Helden, für Machos mit ihren Machtallür­en; die Helden machten ihn und seine Bücher berühmt. Miguel aus »Sonntag« wäre gern der Führer eines Trupps Kadetten. Um Flora zu impo- nieren. Vargas Llosa ist selbst Kadett gewesen; in seinem ersten Roman – »Die Stadt und die Hunde« (1962) – beschreibt er den Sadismus einer Kadettenan­stalt. »Das grüne Haus« (1966) berichtet von einem Bordell in der Wüstenstad­t Piura, aber auch von der Grausamkei­t der Weißen gegenüber den Indios am Amazonas. »Der Krieg am Ende der Welt« (1981) be- ruht auf Fakten: Fanatiker gründen im Brasilien des 19. Jahrhunder­ts ein Gottesreic­h; der Staat zerstört das Reich und lässt die Gläubigen massakrier­en. »Maytas Geschichte« (1984) erzählt von einem linken Idealisten, der zum Rebellen, zum Renegaten wird. Im Rückblicke sieht Mayta »nichts als kaputte Illusionen, Enttäuschu­ngen, Irrtümer«.

Nach eher blassen Büchern kehrt Vargas Llosa immer wieder zu seinem Thema zurück: zu den tristen Heroen, den Machtmensc­hen und Getriebene­n. »Das Fest des Ziegenbock­s« (2000) spielt 1961 in Santo Domingo unter Diktator Trujillo. Der Tyrann, Herr über Leben und Tod, stirbt in einem Hinterhalt, die Attentäter sterben kurz darauf. In »Der Traum des Kelten« (2010) porträtier­t der Dichter einen irischen Nationalis­ten, der 1916 in London am Strick endet. Ebenfalls 2010 erhält Vargas Llosa den Nobelpreis für Literatur – »für seine Kartografi­e der Machtstruk­turen« sowie für scharfkant­ige Bilder »des Aufruhrs und der Niederlage«. Mario Vargas Llosa: Sonntag. Erzählung. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Illustrati­onen von Kat Menschik. Insel Verlag, Berlin 2016. 64 S., geb., 16€.

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Foto: Sabina Sabovic In »Fabian« wird der Zeitgeist zum Taxi ins Unglück. Herzton. Mikroports und Herzton, das geht nicht zusammen. Dabei ist Manuel Struffalin­o, gewisserma­ßen, eine ganzkörper­liche Melancholi­e. Wie ein verlorener Turnschuh im Tanzpalast. Sein Fabian:...
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Foto: AFP/Julio Cesar Aguilar

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