Ein Deal mit mächtigem Pferdefuß
Zu »EU sortiert Flüchtlinge neu«, 19./20.3., S. 1
Seit Sonntag, dem 20. März 2016, ist der Teufelspakt zwischen der EU und der Türkei in Kraft. Kein europäischer Politiker sollte mehr die Worte Menschenrechte, Freiheit oder Demokratie in den Mund nehmen. Sie werden es wohl trotzdem tun, denn Heuchelei gehört genauso zum Politikgeschäft wie die hier dokumentierte Menschenverachtung.
Beifall gibt es auch von denjenigen, die in Deutschland bei Pegida oder der AfD dafür kämpften, dass keine Fremden ins Land kommen. Gegen eigene und EU-Soldaten, die in fremden Ländern auch fremd sind, haben sie nichts, obwohl diese durch Zerstörung der Lebensgrundlagen der dortigen Bevölkerung die Flüchtlinge erst produzieren.
Ich erinnere mich noch, wie mein Vater mich, meine Mutter und meine beiden Geschwister 1945 in den letzten Zug steckte, um uns vor dem Krieg zu retten. Unseren Vater sahen wir nie wieder. Als deutsche Flüchtlinge waren wir in Deutschland genauso wenig willkommen wie heute die ausländischen. Es gab Ablehnung bei den in guten Verhältnissen Lebenden und Hilfe und Unterstützung von den einfachen Menschen. Die EU feiert den Türken-Deal als alternativlosen Durchbruch in der Flüchtlingskrise auf der sogenannten Balkanroute. Doch wer sind die Gewinner und wer die Verlierer? Gewinner sind eindeutig Recep Tayyib Erdogan und Dr. Ahmet Davutoglu, denn sie haben auf dem EU-Gipfel der 28 für die Türkei alles erreicht, was sie durchsetzen wollten: Visafreiheit für Türken in die EU, ein beschleunigtes EU-Aufnahmeverfahren der Türkei, sechs Milliarden Euro Betreuungsgeld für Flüchtlinge und den Tausch- und Menschenhandel von »legal« eingereisten Syrern aus der Türkei in die EU im Tausch gegen sogenannte »illegale« Eingereiste ab dem 20.3.2016.
Verlierer sind bei diesem Deal Griechenland und Deutschland. Griechenland bleibt vermutlich auf rund 50 000 Flüchtlingen sitzen, die sich derzeit auf den Urlaubsinseln, dem Festland und in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze befinden, weil die Aufnahme von Flüchtlingen in die anderen 27 EUMitgliedstaaten laut Brüsseler Beschluss nur noch freiwillig zu erfolgen hat. Das gilt im Übrigen auch für die legal in die Türkei eingereisten Syrer, die im Tausch gegen illegale Syrer ebenfalls innerhalb der EU auf freiwilliger Basis verteilt werden sollen. Da die meisten EU-Staaten die weitere Aufnahme von Flüchtlingen mittlerweile ablehnen, bleibt das Problem wohl fast ausschließlich an Deutschland hängen.
Was für ein »grandioses« Verhandlungsergebnis für Bundeskanzlerin Angela Merkel, die immer wollte, dass die Flüchtlinge solidarisch auf alle 28 EU-Mitgliedstaaten verteilt werden. Sie wollte nie die Mitgliedschaft der Türkei in der EU, sondern lediglich eine »privilegierte Partnerschaft«. Jetzt muss sie wegen der Flüchtlingskrise plötzlich der Visafreiheit für Türken und der beschleunigten Aufnahme der Türkei in die EU zustimmen.
Aber Achtung, alle verfolgten kurdischen Türken, die nicht mehr in einer diktatorisch regierten Türkei leben wollen, sind die Asylbewerber von morgen, die zusätzlich noch innerhalb der EU auf freiwilliger Basis verteilt werden müssen. Flüchtlingen zu hinterfragen. Es darf nicht sein, dass nachdenkliche Stimmen innerhalb der Partei gleich abgewatscht werden oder dass die Parteivorsitzende Katja Kipping fast hysterisch reagiert, wenn sie in Talkshows mit anderen Meinungen konfrontiert wird.
Für mich ist es offensichtlich, dass letztlich die sozial Schwachen die Bewältigung der Flüchtlingskrise spüren werden, und zwar auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Wohnungsmarkt, im Niedriglohnsektor und bei den Sozialleistungen. Erste Forderungen, den Mindestlohn und Hartz IV zu senken, hat es bereits gegeben.
Hier sind Bürger betroffen, die von der LINKEN eigentlich immer zu ihrem Klientel gezählt und als potenzielle Wähler angesehen wurden. Liegen diese Leute so falsch, wenn sie jetzt das Gefühl haben, dass man sich das Geld bei ihnen zurückholen wird, das zur Bewältigung des Zustroms von Flüchtlingen benötigt wird, nachdem zuvor jede Forderung nach sozialen Verbesserungen mit dem Hinweis auf leere Kassen abgeschmettert wurde? me dafür, dass sie sich um die Flüchtlinge irgendwie kümmert.
Die reichsten EU-Länder reiben sich derweilen die Hände und können weiter unbehelligt ihren Wohlstand genießen. Offenbar wird dieses miese Geschäft kritiklos auch noch als völkerrechtlich und rechtsstaatlich unanfechtbar angesehen.
Plagt die EU- Spitzenpolitiker, die diesen Deal mit der Türkei aushandelten, vielleicht doch ein wenig das Gewissen? Ach was! Was man nicht hat, kann einen ja auch nicht plagen.