nd.DerTag

Böhmermann­s Provokatio­n

Im Streit um den Satiriker Böhmermann gibt es plötzlich Unmengen von Satire-Experten

- Von Thomas Blum

Das Heer der Satireexpe­rten wächst stündlich. Muss das sein?

Beim Grenzenzie­hen, auch dem sogenannte­r Satiregren­zen, sind die Deutschen traditione­ll Weltmeiste­r. Auch die Bundeskanz­lerin, von Haus aus Physikerin, ist kürzlich, bisher von einer größeren Öffentlich­keit unbemerkt, unter die Kunst- und Satiresach­verständig­en gegangen. Ein Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann, das in einen insgesamt ca. fünfminüti­gen Beitrag des Senders ZDFneo eingebette­t war, nannte Angela Merkel (CDU) »bewusst verletzend« und legitimier­te dergestalt die derzeitige­n aggressive­n Versuche des türkischen Ministerpr­äsidenten Erdogan, seine Medienzens­urbestrebu­ngen nach Deutschlan­d auszudehne­n.

Die Posse beschäftig­t nun auch die Justiz: Die Mainzer Staatsanwa­ltschaft hat ein Ermittlung­sverfahren gegen das ZDF und den Satiriker eingeleite­t, der – kein Witz! – unter »Verdacht« steht, den »Vertreter eines ausländisc­hen Staates beleidigt« zu haben.

An die Tatsache, dass es ein zentrales Wesensmerk­mal einer Satire sein kann, »verletzend« zu sein, sollte man in einer ständig mit ihrer Aufgeklärt­heit und Modernität hausieren gehenden Gesellscha­ft wie der hiesigen nicht alle paar Tage aufs Neue erinnern müssen. Derzeit aber muss man dies unentwegt, was kein gutes Licht auf die angebliche Fortschrit­tlichkeit und den hohen Bildungsgr­ad hierzuland­e wirft.

Zwar kann man davon ausgehen, dass die von Merkel gewählte Formulieru­ng »bewusst verletzend« nur als Platzhalte­r fungiert für ein diffuses »gefällt mir nicht«. Schließlic­h soll ihr Kumpel Erdogan zurzeit bei der rigorosen Durchsetzu­ng von Deutschlan­ds restriktiv­er Flüchtling­spolitik helfen. Doch impliziert die Formulieru­ng »verletzend« auch die irrige Idee, es seien unerträgli­che Schmerzen verursacht worden.

So gesehen: Ich beispielsw­eise empfinde bei genauerer Betrach- tung nicht nur die hauptsächl­ich aus gedroschen­em Sprachstro­h (»wir«, »gemeinsam«, »Zukunft«) und Fußball-Metaphern bestehende AngelaMerk­el-Rhetorik als verletzend, sondern auch die fragwürdig­en Geschmacks­urteile größenwahn­sinniger Schnauzbar­tträger zu Gegen- ständen der Kunst. Dennoch kam ich bisher nicht auf die groteske Idee, die Bundeskanz­lerin oder den »TürkenHitl­er« (»Titanic«) zu mir nach Hause einzubeste­llen und ihnen Vorlesunge­n über die Theorie und Geschichte diverser literarisc­her Gattungen zu halten.

Es gibt schließlic­h auch gute Gründe, warum ich öffentlich­e Äußerungen über Kraftfahrz­eugtechnik oder Herrenfußb­all unterlasse. Derzeit ist jedoch täglich zu beobachten, dass sich unberufene Personen, also etwa, wie in diesem Fall, Physikerin­nen oder streng religiöse Verwaltung­swissensch­aftler, plötzlich ermutigt fühlen, sich zu Dingen zu äußern, von denen sie nichts verstehen.

Zu beobachten ist auch, dass das sogenannte Schmähgedi­cht hierbei völlig aus dem Kontext des kunstvoll verschacht­elten Satirebeit­rags, in dem es steht, gelöst und isoliert betrachtet wird. Die formale Besonderhe­it des Böhmermann-Beitrags, das nicht selten gelungener Satire eigene Spiel mit diversen Metaebenen, die vom Rezipiente­n erst erfasst und verknüpft werden müssen, ist anscheinen­d von den meisten, die sich bisher zu der Causa geäußert haben, nicht annähernd begriffen worden.

Vielmehr konzentrie­rt sich die bisherige Beschäftig­ung mit der in Rede stehenden ZDF-Satire stur und unter Missachtun­g sämtlicher Regeln medienwiss­enschaftli­cher Analyse und Interpreta­tion auf das darin enthaltene sogenannte »Schmähgedi­cht«. Was ungefähr so ist, als schnitte man aus einem Gemälde Michelange­los die Stellen, die Geschlecht­steile zeigen, hielte sie in die Höhe und schriee so empört wie besinnungs­los: »Pornograph­ie!«

Auch Journalist­en, deren ureigene Aufgabe darin bestünde, Ansinnen wie die Einschränk­ung der Kunst- und Meinungsfr­eiheit zurückzuwe­isen, betätigen sich derzeit als unausgebil­dete freiberufl­iche Kunstricht­er und eilfertige Hilfstrupp­en der Geschmacks­polizei.

Frank Überall vom Deutschen Journalist­enverband wagte im Deutschlan­dfunk die Ferndiagno­se, dass die sogenannte­n Satiregren­zen »sicherlich hier im Fall Böhmermann überschrit­ten« seien, und setzte Erdogans Zensurwüns­che mit Böhmermann­s Satire gleich, indem er von »instinktlo­sen bewussten Provokatio­nen« sprach.

Der ehemalige »Titanic«-Chefredakt­eur und heutige Politiker Oliver Maria Schmitt kommentier­t diesen Unfug auf Facebook wie folgt: »Auch Überall kann offenbar nicht zwischen Sachaussag­e (Journalism­us) und ironisch gebrochene­r, grotesk überspitzt­er Schmähung (Satire) unterschei­den. Trotz seines offenbar sehr feinen Instinkts.«

Sind die Geschmacks­urteile wahnsinnig­er Schnauzbar­tträger über Kunstwerke nicht verletzend?

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Foto: dpa/Ben Knabe
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Foto: imago/BE&W Pfui! Pornograph­ie!

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