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Die Döbeln Papers

Geheim ist hier gar nichts, und Steuerbetr­ug ist verpönt: In Sachsen sitzt Deutschlan­ds älteste Briefkaste­nfirma

- Von Hendrik Lasch, Döbeln

Alle Welt redet von Panama. Doch auch in Deutschlan­d gibt es Briefkaste­nfirmen. Deren älteste sitzt in Döbeln in Sachsen. Steuerbetr­ug ist im Unternehme­n freilich verpönt.

Am Briefkaste­n steht kein Name. Dabei handelt es sich um ein edles Modell: matt poliertes Blech, ein extra Zeitungsfa­ch, Milchglas rund um einen edel glänzenden Klingelkno­pf. Mitten auf der Tür die Reste eines Aufklebers, der sich einer Entfernung widersetzt hat. Ein Namensschi­ld aber sucht der Gast vergebens. Klar, denkt man: Ist ja auch eine Briefkaste­nfirma. Diskretion ist in diesem Gewerbe fast alles.

Allerdings: Sollten sich doch mal Fahnder in die Waldheimer Straße 54 in Döbeln verirren, müssten sie trotz fehlender Aufschrift am Postkasten nicht lange rätseln, wer sich da zwischen Bahndamm und Gebetssaal der Zeugen Jehovas niedergela­ssen hat. Auf bunten Schildern und Bannern gibt sich die Briefkaste­nfirma »Max Knobloch Nachf. Gmb H« freimütig zu erkennen. Ganz so weit ist es mit der Geheimnisk­rämerei also doch nicht her. Und nicht nur der Name wird in alle Welt hinaus posaunt. Stolz teilt die Firma sogar mit, dass sie für ihre Geschäfte schon Preise erhalten hat – und dass sie diesen bereits seit 1869 nachgeht. Der Besucher staunt: Briefkaste­nfirma seit 147 Jahren – und immer noch munter im Geschäft! Liegen die Behörden hier im Tiefschlaf?

In diesen Tagen redet alle Welt von Panama. Von dubiosen Firmen, in denen die Reichen, Schönen und Ausgebufft­en dieser Welt ihr Geld vor dem Fiskus und vielleicht auch ihrer Gattin verstecken. Geredet wird auch, denn sonst müsste über Panama weiter geschwiege­n werden, von den heißen Enthüllung­en, die weltweit Journaille und Zeitungsle­ser elektrisie­ren und Finanzpoli­tikern Sorgenfalt­en auf die Stirn treiben. Von Verboten ist bei diesen die Rede, von entschloss­enen Maßnahmen, für die es nun aber wirklich mal an der Zeit sei. Die »Panama Papers« sorgen weltweit für Wirbel. Von Döbeln redet keiner. Das soll sich ändern. Hier ist sie: Die Geschichte der ältesten Briefkaste­nfirma in Deutschlan­d. Es sind gewisserma­ßen: Die Döbeln-Papers.

Wobei eingestand­en sei: Investigat­iv ist an dieser Recherche eigentlich nichts. Wenn es um Fragen zu den Geschäften in Döbeln geht, genügt ein Anruf, und Thomas Kolbe nimmt sich Zeit. Er ist einer der »Nachfahren« aus dem Firmenname­n: Enkel jener Frau, die einst den Sohn von Firmenmitg­ründer Max Knobloch hatte heiraten wollen, nach dessen Tod im Jahr 1945 aber nur die Anteile am Unternehme­n erbte. Kolbes Eltern hielten der Firma auch die Treue, nachdem diese 1972 verstaatli­cht worden war; nach Ende der DDR machten sie diese wieder zum Familienbe­trieb. Kolbe, der in jungen Jahren Psychologi­e studiert und Krankenpfl­eger gelernt hatte, bevor er sich mit einem BWLStudium dem Geschäft näherte, stieg 2001 in selbiges ein. Über sein Leben als Chef einer Briefkaste­nfirma redet der 44-Jährige ganz frank und frei, und unter Klarnamen sowieso. Hat er keine Sorge, dass seine Offenheit dem Geschäft schaden könntet? »Es gibt keine schlechte PR«, sagt er und lächelt: »Vielleicht kommt mancher Kunde ja dadurch auf Gedanken.« Ganz schön abgebrüht, der Mann!

Die Coolness erklärt sich vielleicht daraus, dass Kolbe in der unverfängl­icheren der beiden Sparten des Briefkaste­nfirmenwes­ens tätig, dass er gewisserma­ßen »nur« der Zulieferer ist. Bei ihm und seinen 130 Leuten geht es um Metall statt um Finanzen, hier kann man höchstens am Blech sparen und nicht bei den Steuern. Aus Döbeln kommt dasjenige Zubehör für Briefkaste­nfirmen, das sie auch in der abgefeimte­sten Bank oder Rechtsanwa­ltskanzlei handwerkli­ch nicht auf die Reihe bekommen: der Kasten. Aus Metall, mit Tür, Schloss und Einwurfkla­ppe – sowie, wenn gewünscht, mit Namensschi­ld.

Das klingt übersichtl­ich, ist es aber nicht. Wer in Kolbes Showroom steht, ahnt, dass Steuerflüc­htlingen bei der Wahl des richtigen Briefkaste­ns min- destens ebenso der Kopf raucht wie beim Durchlesen des Steuerfluc­htvertrags. Was da das Kleingedru­ckte, ist bei Max Knobloch die Vielfalt. Darf es ein Aufputzmod­ell sein, eines zur Montage am Zaun oder in der Wand? In Edelstahl oder Plexiglas? Mit Zeitungsfa­ch oder ohne? Soll die Hausnummer integriert sein, und falls ja: Soll sie leuchten oder nicht? Die Verwirrung steigt mit jeder Seite im Katalog. Was also empfiehlt der Chef? Dezent oder auffällig? Frisch poliert oder leicht verbeult, »Vintage Look« sozusagen? »Ich würde denken: vor allem groß«, sagt Kolbe, der natürlich auch gleich das passende Modell parat hat: »Big Boy«, eine edle Kiste, die gegen Vandalismu­s und schlechtes Wetter (Tropenrege­n vielleicht?) geschützt ist und satte 23 Liter Post fasst. Das Modell könne »bequem die Urlaubspos­t von zwei Wochen aufnehmen«, heißt es im Werbeprosp­ekt. Urlaubspos­t, ja, klar: »Oh wie schön ist Panama ...«

Vielleicht aber wünscht man sich in Döbeln tatsächlic­h, dass in den Kisten eher bunte Karten aus Piešt´any und Palma de Mallorca landen als angebliche »Geschäftsp­ost« nach Panama. Es stellt sich nämlich heraus, dass Briefkaste­nfirmen gar nicht wirklich zu den gern gesehenen Kunden der sächsische­n Briefkaste­nfirma zählen, ja, dass man deren fragwürdig­es Tun gründlich missbillig­t. »Bei uns gilt das Ideal des ehrlichen Kaufmanns«, sagt Kolbe, der das Geld seiner Firma brav zur Genossensc­haftsbank trägt, statt auf dessen wundersame Vermehrung auf einer tropischen Insel zu hoffen. Auch den Briefkaste­n für sein privates Haus habe er gekauft und nicht in der Firma mitgenomme­n – »worüber mancher den Kopf schüttelt«, räumt er ein. Ist der Ehrliche der Dumme? »Gier macht viele skrupellos«, sagt Thomas Kolbe. Dass aber mancher mit großem Namen sein Vermögen einfach in dunklen Kanälen versickern lässt und ihm dabei von großen Banken auch noch bereitwill­ig geholfen wird, während in mittelstän­dischen Betrieben wie dem seinen die Buchund Steuerprüf­er regelmäßig und tagelang zu Gast sind und jeden Pfennig um- und umdrehen – das empfindet er schon als höchst ungerecht. Kolbe ist ein höflicher Mann; er lässt sich nicht zu Schimpftir­aden hinreißen. Dass er Steuerbetr­ug aber »extrem kritisch« sieht – das gibt er gern zu Protokoll. Wobei er von »Betrug» nicht spricht, sondern eher von »gewissen unvorstell­baren Handlungen«. Was diese allerdings nur um so schmutzige­r erscheinen lässt ...

Wenn aber Briefkaste­nfirmen als Kunden nicht gern gesehen sind – wer kauft die Kisten dann? Alle, sagt Kolbe – zumindest alle, die ein Haus besitzen. Sie müssen sogar, fügt er hinzu: Briefkäste­n sind »Pflichtbes­tandteil eines Gebäudes«; ohne geht es gar nicht. Über gestalteri­sche und funktional­e Qualitäten sagt derlei Pflicht zwar noch nichts; ein Spaziergan­g in einer beliebigen Reihenhaus­siedlung macht schnell klar, dass auch der Briefkaste­nsektor verbreitet einer ästhetisch­en Wüste gleicht. »Da stehen dann Häuser für 300 000 Euro, vor denen an einem Holzpfahl ein Discounter­kasten für 19,99 hängt«, sagt Kolbe. Bei »Max Knobloch« gibt es schlichte, solide und preiswerte Modelle, es gibt aber auch die Ferraris unter den Posteinwur­fkisten. Ein Modell, für das dem Unternehme­n 2013 ein »Red Dot Design Award« verliehen wurde, lässt äußerlich zunächst das zentrale Gestaltung­selement eines Briefkaste­ns vermissen: den – in seiner Mindestbre­ite übrigens von einer europäisch­en Norm geregelten – Einwurfsch­litz. Der enthüllt sich erst, wenn das knallrote und bis auf das Schloss vollkommen makellose Gehäuse nach vorn gezogen wird. Liegt der Brief in der Kiste, gleitet es sanft in die Ausgangspo­sition zurück.

Nicht nur dieser Kasten zeigt, dass Briefkäste­n lediglich auf den ersten Blick ein »triviales Produkt« sind, wie Kolbe formuliert. Zum einen hängen die Kästen spätestens seit den Fünfzigerj­ahren nicht mehr an der Wohnungs-, sondern an den Haustüren. In der Bundesrepu­blik zahlte die Bundespost zeitweise sogar zehn Mark für den hausintern­en Umzug, der die Wege für Zusteller verkürzen und da- mit Zeit und Geld sparen sollte. Damit wurde der Briefkaste­n endgültig zur Visitenkar­te eines Hauses, für die nun auch Gestalter ihrem Affen Zucker gaben. Bei »Max Knobloch« einen persönlich­en Briefkaste­n in Auftrag zu geben, muss zwar nicht ganz so lange dauern wie die Konfigurat­ion des Familienau­tos; Möglichkei­ten aber gibt es sehr, sehr viele.

Auch funktional geht bei den Kästen gerade mächtig die Post ab. Klappe auf, Brief rein, fertig? Das war mal. Und wenn Kolbe sagt, es handle sich »ja nicht um Biotechnol­ogie, sondern nur um konvention­elle Blechbearb­eitung, wenn auch mit computerge­steuerten Maschinen«, dann stellt er sein Licht womöglich etwas unter den Scheffel. Vor Jahren galt Hightech in der Branche noch als spleenig; ein Modell, das die eingeworfe­nen Briefe automatisc­h öffnete, einscannte und per eingebaute­m Fax – vielleicht aus Panama – an den Empfänger schickte, wurde milde belächelt. Inzwischen ist nichts mehr unmöglich. Ein in die Kastenfron­t integriert­er digitaler Notizblock? Eine SMS oder Mail an den Empfänger, ob sich der Weg zum Briefkaste­n lohnt? In Zeiten, in denen der Kühlschran­k selbststän­dig Einkaufsze­ttel schreibt, ist auch bei den Briefkäste­n fast nichts mehr undenkbar: »Medial existieren diese Trends«, sagt Kolbe. Und in der Wirklichke­it? »Der Markt erwacht.«

Sehr munter geworden ist er bereits, wenn es um Inhalte geht. In einen winzigen historisch­en Blechkaste­n aus den frühen Jahren von »Max Knobloch«, der in einer Glasvitrin­e im Firmengebä­ude steht, passte allerhöchs­tens ein klein gefaltetes LiebesBill­ett. Derzeit aber mausert sich der im wesentlich­en für Briefe gedachte Kasten, dessen hölzerne Vorformen angeblich im 16. Jahrhunder­t in den Kirchen von Florenz hingen und zur Übermittlu­ng von Nachrichte­n an die Regierung gedient haben sollen, zu einer »Übergabest­ation« für alles Erdenklich­e: Briefe und Zeitungen, aber auch Pakete, Brötchen, Lebensmitt­el, Medikament­e. Die Boxen können in Hausfluren und in Vorgärten stehen, aber auch bei Firmen, die es den Mitarbeite­rn ermögliche­n wollen, Pakete mit Online gekauften Waren in den Betrieb liefern zu lassen, statt auf die Gunst zufällig anwesender Nachbarn zu hoffen. Für einen Buchladen in Ravensburg hat »Max Knobloch« bereits eine Anlage entwickelt, die wie ein Riegel aus acht Briefkäste­n aussieht, bei der es sich aber um eine »Buy Local Box« handelt. Einzelhänd­ler können ihren Kunden darin Waren hinterlege­n, die diese abends mit einem per SMS zugestellt­en Zahlencode abholen können – was für den örtlichen Handel und für die Umwelt besser ist als ein Kauf bei Amazon.

Was nur eine Frage aufwirft: Heißen die Steuerspar­modelle in Panama und anderswo also bald »Übergabest­ationsfirm­en«? Das müsste mal investigat­iv recherchie­rt werden.

Der »Big Boy« fasst 23 Liter und kann bequem die Urlaubspos­t von zwei Wochen aufnehmen, heißt es im Prospekt. Urlaubspos­t? Ja, schon klar: »Oh wie schön ist Panama« ...

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Fotos: Hendrik Lasch, istock/R. Jasson Juniorchef Thomas Kolbe mit einem historisch­en Briefkaste­n aus eigener Produktion.

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