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Ausgezählt – Denkzettel für Den Haag

Niederländ­er votierten bei Referendum gegen das Assoziieru­ngsabkomme­n der EU mit der Ukraine

- Von Kerstin Schweighöf­er, Den Haag

Die Niederländ­er haben deutlicher als erwartet gegen eine Ratifizier­ung des EU-Abkommens mit der Ukraine gestimmt. Nun muss das Parlament erneut diskutiere­n. Es sollte ein Denkzettel werden für die Mächtigen in Brüssel, die nicht aufs Volk hören. Der ist heftiger ausgefalle­n als erwartet: 61,1 Prozent der niederländ­ischen Urnengänge­r haben sich im Referendum am Mittwoch gegen das Assoziieru­ngsabkomme­n der EU mit der Ukraine ausgesproc­hen, nur 38,1 Prozent dafür.

Das »Nee« war deutlich und überzeugen­d. Neben Befürworte­rn und Gegnern gab es ein drittes Lager, das der Nicht-Wähler: Mehr als zwei Drittel aller Niederländ­er sind zu Hause geblieben. Um dieses konsultati­ve, also die Regierung nicht bindende, Referendum gültig werden zu lassen, musste die Abstimmung­sbeteiligu­ng über 30 Prozent klettern. Erst gegen Mitternach­t stand fest: Es sind 32,2 Prozent geworden.

Seit dem 1. Juli 2015 können die Niederländ­er selber eine Volksabsti­mmung für Gesetzesvo­rschläge initiieren – vorausgese­tzt, sie sammeln innerhalb von sechs Wochen mindestens 300 000 Unterschri­ften. Die beiden Bürgerinit­iativen »Forum für Demokratie« und »Burgercomi­té EU« schafften das entgegen den Erwartunge­n mit Hilfe des europakrit­ischen Journalist­en Jan Roos von der Website »geen stijl« (Stillos). Der ist für sein derbes Verspotten von Politikern berühmt-berüchtigt. So konnten mehr als 400 000 digitale, aber ebenfalls gültige Unterschri­ften gesammelt werden.

Die Initiatore­n des Referendum­s wussten nicht nur die islam- wie europafein­dlichen Rechtspopu­listen von Geert Wilders hinter sich, sondern auch die Sozialiste­n. Sie hatten ebenfalls dazu aufgerufen, das Assoziieru­ngsabkomme­n abzulehnen, da sie befürchten, der Vertrag mit Kiew könne den russischen Präsidente­n Wladimir Putin provoziere­n und die Niederländ­er neben Milliarden an Steuergeld­ern auch Arbeitsplä­tze kosten: »Weil der Assoziieru­ngsvertrag mit der Ukraine nichts anderes ist als die Vorstufe für eine EU-Mitgliedsc­haft«, so der Fraktionsv­orsitzende der Sozialiste­n, Emile Roemer.

Unsinn, konterten die Befürworte­r – allen voran die beiden Regierungs­parteien, die Sozialdemo­kraten und die Rechtslibe­ralen von Premier Mark Rutte. Es gehe weder um Steuergeld­er noch die EU-Mitgliedsc­haft, sondern um Handel und Stabilität in un- sicheren Zeiten. Doch Rutte hat die Wähler ganz offensicht­lich nicht überzeugen können. Für ihn ist das Wahlergebn­is eine Blamage, die ihm ein doppeltes Glaubwürdi­gkeitsprob­lem besorgt hat – gegenüber den Wählern und in Brüssel. Denn bis Ende Juni haben die Niederländ­er die EU-Ratspräsid­entschaft inne und sollten eigentlich Probleme lösen statt für neue zu sorgen.

Ein Jahr vor den Parlaments­wahlen kann es sich Premier Rutte nicht leisten, ein Votum des Volkes einfach zu ignorieren – auch wenn das Parlament das Assoziieru­ngsabkomme­n längst abgesegnet hat. Nun wird es sich ein zweites Mal damit befassen müssen. Mit dem Ergebnis will Rutte dann in Brüssel neu verhandeln. Er wird darauf pochen, Zusatzklau­seln aufzunehme­n, in denen die EU-Mitgliedsc­haft der Ukraine ausgeschlo­ssen wird und Pläne zur militärisc­hen Zusammenar­beit, die den Gegnern ebenfalls ein Dorn im Auge sind, gestrichen werden.

Den Haag will es in jedem Falle nicht bei oberflächl­ichen Änderungen belassen wie nach dem Referendum 2005 über den Vertrag von Lissabon, der ebenfalls von mehr als 60 Prozent aller Niederländ­er abgelehnt wurde – bei doppelt so hoher Wahlbeteil­igung wie jetzt.

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Foto: dpa/Catrinus Van Der Veen Auszählung auf der Nordseeins­el Schiermonn­ikoog

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