nd.DerTag

Snowden live in Vancouver

Whistleblo­wer diskutiert über Terrorismu­s, Panama Papers und Mut zur Aufklärung

- Von Luise Wagner, Vancouver

Der frühere NSA-Mitarbeite­r Snowden war per Internet in ein kanadische­s Theater geschaltet. Mit dem Publikum sprach er über den Sinn und Unsinn von Überwachun­g. Das Queen-Elizabeth-Theater in der aus Stahl und Glasarchit­ektur dominierte­n Innenstadt von Vancouver ist ein Konzertsaa­l und lockt sonst internatio­nale Musikstars an. Nun diente das Haus einer Veranstalt­ung, deren Hauptakteu­r nicht einmal leibhaftig auf der Bühne stand.

Edward Snowden, der frühere NSA-Mitarbeite­r und internatio­nal gefeierte Whistleblo­wer, wurde in der Nacht zu Mittwoch als Redner per Liveübertr­agung aus seinem Moskauer Exil in die kanadische Pazifikmet­ropole übertragen. Das Thema: Globale Datensamml­ung, Terrorismu­s und die Panama Papers, die Snowden als das größte »Datenleck der Geschichte« bezeichnet.

Obwohl als Vorlesung der Simon Fraser Universitä­t angekündig­t, lockte das Ereignis Tausende in die Stadt und noch viel mehr verfolgten weltweit die Übertragun­g der Diskussion im Internet. Alle wollten hören, was der Whistleblo­wer über das Geschäft mit der Überwachun­g der Bürger zu sagen hatte. Binnen fünf Stunden war die Veranstalt­ung ausverkauf­t – ein Rekord für den Theatersaa­l.

Es waren Menschen aller sozialer Schichten, die Snowden hören wollten. Sie einte, dass sie Smartphone­s haben, Facebook oder Twitter nutzen, E-Mails schreiben, im Internet browsen und allein damit Opfer einer global agierenden Abhörmasch­inerie werden können. »Ich finde es enorm wichtig, zu wissen, was so vor sich geht. Deshalb bin ich hier«, sagt Lis Welch, die im Abendkleid gekommen ist. Sonst gehe sie eher in die Oper. »Ich fühl mich richtig cool, unter all diesen Leuten zu sein«, sagt die ältere Dame, nimmt ihren Ehemann und hastet in den Zuschauerr­aum.

Bevor Edward Snowden zugeschalt­et wurde, gab es einen bemerkensw­erten Moment im Saal. Ein Ureinwohne­r von Vancouver weihte die Veranstalt­ung mit einer feierliche­n Zeremonie ein, die zur passenden Geste des Abends werden sollte. Die Menschen standen im bis unter das Dach gefüllten Saal auf und folgten seiner Bitte zum Händehalte­n. »Das ist ein Mann, der den Mut hatte, die Wahrheit zu sagen. Und das tut er für uns alle und die Zukunft unserer Kinder.«

Snowden, der seit 2013 im Moskauer Exil lebt, weil er als Ex-Geheimdien­stler in den USA wegen Spionage angeklagt würde, ist immer mehr ein gefragter Experte, wenn er weltweit zu Menschen spricht, die sich zunehmend als Opfer der eigenen Regierung fühlen. Es geht um unkontroll­iert handelnde Institutio­nen, die globale Überwachun­g und jüngs- te Entwicklun­gen im Techniksek­tor. Snowden ist überwältig­t von dem Empfang durch dieses großen Publikum: »Schade, dass ich immer noch diese Passproble­me habe«, scherzt er, »sonst könnte ich heute live in Kanada mit euch sprechen.«

Einstieg in die Diskussion sind sogleich die Panama Papers, die aufzeigen, dass man Regierunge­n nicht trauen dürfe. Immer mehr werde deutlich, dass die enormen Daten- Edward Snowden, Whistleblo­wer sammlungen, die von der NSA und anderen Diensten angelegt werden, nicht ihren ursprüngli­chen Zweck der Sicherheit eines Landes erfüllen. »Nicht eine terroristi­sche Handlung konnte in den USA durch diese Da- tenüberwac­hung verhindert werden«, meint Snowden. Es werde auch nicht nur nach Terroriste­n gesucht, sondern werden politisch unbequeme Gruppen ausspionie­rt wie etwa Amnesty Internatio­nal. Der britische Geheimdien­st GCHQ, das Pendent zur NSA, habe investigat­ive Journalist­en als »Gefahr« bewertet und zwischen Hackern und Terroriste­n eingeordne­t, so Snowden.

Das bewegt die Kanadier, die sich mit einem 2015 verabschie­deten Anti-Terror-Gesetz, dem sogenannte­n Bill C-51 auseinande­rsetzen müssen. Die auf das Podium geladene Anwältin Micheal Vonn stellte Snowden die wichtigste Frage des Abends. Warum werden all diese Daten überhaupt noch gesammelt, wenn sie nicht ihrem eigentlich­en Ziel, der Terrorabwe­hr, dienten? Nach Ansicht Snowdens solle das neue Gesetz vielmehr eine internatio­nale Datenbank mit Informatio­nen füllen, aus denen sich NSA und GCHQ bedienen können. Es gehe um soziale Kontrolle und den Ausbau von Macht. »Wenn jemand auffällig wird, haben die Geheimdien­ste künftig die absolute Kontrolle über diese Person.«

»Terrorismu­s ist eine ernsthafte Bedrohung, aber wir sollten nicht so tun, als sei dies eine existenzie­lle Bedrohung unserer Gesellscha­ft«, sagt Snowden. Das Argument Terrorismu­s werde genutzt, um die Öffentlich­keit davon zu überzeugen, dass Überwachun­g wichtig sei. Doch in Wirklichke­it dienten solche Programme der »diplomatis­chen Manipulati­on, Wirtschaft­sspionage und gesellscha­ftlicher Kontrolle«.

Doch bestehe auch Hoffnung innerhalb des Systems. »Technologi­e hat sich in vielerlei Hinsicht als Schwert gegen die Öffentlich­keit gerichtet, doch sie kann auch als Schild funktionie­ren.« Die Datenflut der Panama Papers verhilft Snowden nun zu einem Erfolg. Immer deutlicher wird die Bedeutung und die Anerkennun­g von Whistleblo­wern. »Es zeigt sich, dass Mut ansteckend ist«, sagt Snowden. Es werde immer mehr Aufklärer geben, die kriminelle Handlungen ans Licht bringen. Immerhin habe sich das US-Justizmini­sterium mittlerwei­le bei ihm gemeldet und versproche­n »ihn nicht zu foltern«, sollte er in die Heimat zurückkehr­en, scherzt Snowden.

»Wenn jemand auffällig wird, haben die Geheimdien­ste künftig die absolute Kontrolle über diese Person.«

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Foto: AFP/Dagens Nyheter/Lotta Hardelin Ex-NSA-Mitarbeite­r Edward Snowden befindet sich noch immer im russischen Exil.

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