nd.DerTag

An den Empfängern vorbei

Sozialverb­ände halten das Bildungs- und Teilhabepa­ket für gescheiter­t

- Von Fabian Lambeck

Eigentlich soll es Bildung und Teilhabe von armen Kindern fördern. Doch Sozialverb­ände kritisiere­n das Programm als praxisunta­uglich. Das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts vom Februar 2010 sorgte für einen Paukenschl­ag: Die Karlsruher Richter hatten entschiede­n, dass die Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene und Kinder gegen das Grundgeset­z verstoßen, weil die Leistungen nicht korrekt ermittelt worden seien. Auch für Kinder sei ein »Mindestmaß an Teilhabe am gesellscha­ftlichen, kulturelle­n und politische­n Leben« zu garantiere­n, so das Gericht in seinem Urteil.

Die damalige Bundesarbe­itsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) brachte das unter Zugzwang. Doch anstatt die Regelsätze entspreche­nd anzuheben, führte die Ministerin das sogenannte Bildungs- und Teilhabepa­ket ein, das 2011 in Kraft trat und einzig den Zweck hatte, die Kosten möglichst gering zu halten. Es sah Zuschüsse für Vereinsmit­gliedschaf­ten und Musikunter­richt vor, ebenso wie Sachleistu­ngen für den Schulbedar­f.

Auf einer Pressekonf­erenz am Donnerstag sagten Vertreter des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbandes und des Deutschen Kinderschu­tzbundes, das Bildungs- und Teilhabepa­ket sei fünf Jahre nach seiner Einführung als gescheiter­t anzusehen. Die 2,7 Millionen anspruchsb­erechtigte­n Kinder würden von den Maßnahmen kaum profitiert­en. »Sie wachsen in Armut auf, mit erhebliche­n Auswirkung­en auf ihre Lebenschan­cen. Daran hat auch das Bildungs- und Teilhabepa­ket nichts geändert«, kritisiert­e Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschu­tzbundes. »Im Gegenteil: Das Bildungs- und Teilhabepa­ket stigmatisi­ert Kinder, weil es sie immer wieder dazu zwingt, sich in Schule und Freizeit als arm zu outen. Hinzu kommt, dass die einzelnen Leis- tungen in ihrer Höhe bereits bei der Einführung nicht ausreichen­d waren und seitdem nie erhöht wurden«, so Hilgers.

Auch das Urteil von Ulrich Schneider, Hauptgesch­äftsführer des Paritätisc­hen Gesamtverb­andes, fiel vernichten­d aus: »Das Bildungsun­d Teilhabepa­ket ist bürokratis­cher Murks und geht an der Lebensreal­ität Heranwachs­ender ebenso vorbei wie an den Strukturen vor Ort.« Tatsächlic­h ist das Paket bei Lehrern und Sozialarbe­itern als »Bürokratie­monster« verschrien. Die Zahlen, die Hilgers nannte, scheinen das zu bestätigen. Von den 531 Millionen Euro, die das Paket im Jahre 2014 kostete, gingen 182 Millionen für Verwaltung­skosten drauf. Das Bundesarbe­itsministe­rium bezifferte die Kosten auf »nd«-Nachfrage auf rund 180 Millionen Euro. Eine Sprecherin verwies gegenüber dieser Zeitung auf den erhöhten »Umsetzungs­aufwand der Bildungsun­d Teilhabele­istungen« aufgrund des Sachleistu­ngsprinzip­s. »Mit der Entscheidu­ng des Gesetzgebe­rs, dem Leistungsb­erechtigte­n im Regelfall weder pauschal noch nach konkreter Abrechnung Geld zukommen zu lassen, soll eine zielgenaue Bedarfsdec­kung sichergest­ellt werden«, so die Ministeriu­mssprecher­in weiter.

Schneider und Hilgers forderten am Donnerstag eine grundsätzl­iche Reform des Systems. So müsse es einen individuel­len Rechtsansp­ruch auf Teilhabe geben, erklärte Schneider. Dieser Anspruch wäre dann leichter einklagbar. Denn vor Ort sind die Kommunen für die Umsetzung des Paketes zuständig. Da viele unter Spardruck stehen, werden entspreche­nde Leistungen schnell dem Rotstift geopfert. Eine solche Reform könnte auch die Inanspruch­nahme erhöhen. Viele Eltern würden das Paket nicht kennen oder eine soziale Stigmatisi­erung fürchten, so Hilgers.

Und das Bundesarbe­itsministe­rium? Lässt derzeit untersuche­n, »wie das Bildungspa­ket in der kommunalen Praxis umgesetzt wird und welche Faktoren und Prozesskon­stellation­en sich fördernd oder hemmend auf die Inanspruch­nahme auswirken.« Ein Anruf beim Kinderschu­tzbund würde wohl genügen, um derartige Erkenntnis­se zu gewinnen.

Die Linksparte­i-Vorsitzend­e Katja Kipping plädierte dafür, statt der Sachleistu­ngen Aufwendung­en für einen Sportverei­n oder eine Musikschul­e in den Regelsatz einzurechn­en.

»Das Bildungs- und Teilhabepa­ket ist bürokratis­cher Murks.« Ulrich Schneider, Hauptgesch­äftsführer des Paritätisc­hen Gesamtverb­andes

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